Der Charme der ersten Bürgerpflicht

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Verlorene Liebesmüh: Nestroys "Nur Ruhe!" im Wiener Volkstheater

Mit einem unbekannten Nestroy-Stück geht das Wiener Volkstheater in die Endphase der Ära Emmy Werner. Dass "Nur Ruhe!" nach der Uraufführung im Jahre 1843 nur drei weitere Vorstellungen erlebte, wird dem Publikum während der pausenlosen Spielzeit von etwa 100 Minuten verständlich.

Die Posse mit Gesang kreist um die Sehnsucht des Lederermeisters Anton Schafgeist nach Ruhe, die bekanntlich nicht nur, aber vor allem auch in der Ära Metternich als erste Bürgerpflicht galt. Schafgeist will sich an seinem 55. Geburtstag von seinem gut gehenden Geschäft, in dem er die praktische Arbeit meist seinem Werkführer überlassen hat, zurückziehen. Sein Neffe Heinrich Splittinger, den er mit der deutlich älteren, reichen Witwe Groning verheiraten will, soll es übernehmen. Da platzt nach einem Kutschenunfall das städtische Ehepaar Hornissl mit dem blasierten Neffen Laffberger und der willenlosen Tochter Peppi herein und wirbelt Schafgeists ländliche Idylle gehörig durcheinander. Überdies gelingt es dem drei Monate zuvor wegen Gewalttätigkeit entlassenen, zur Trunksucht neigenden Gesellen Rochus Dickfell wieder in den Ledererbetrieb aufgenommen zu werden und mit seiner Ziehtochter Leokadia für weitere Turbulenzen zu sorgen.

Bis die Hauptfigur der ersehnten Ruhe etwas näher kommt, muss das Publikum eine verwirrende Handlung um Liebesgeschichten und Heiratssachen, aber auch um Erbschaftsangelegenheiten, Raufhändel, Kindervertauschung und dergleichen mehr über sich ergehen lassen. Als zentrales Thema eines Stückes hat Ruhe einen sehr beschränkten, diskreten Charme. Natürlich kann man das Stück als hintergründige Darstellung österreichischer Zustände deuten. Aber für eine gute politische Parabel ist das Werk - vielleicht auch aus Rücksicht auf die Zensur der Metternich-Zeit - zu wirr. Dazu kommt, dass Nestroys Wortwitz hier seltener als sonst hervorblitzt und manchmal in der Hitze des Gefechts untergeht.

Der, verglichen mit Nestroys Meisterwerken, bescheidenen Qualität des Stückes kann auch ein ansehnliches Bühnenbild (Bernhard Kleber) und eine flotte, auch mit Videokamera arbeitende Inszenierung (Michael Kreihsl) mit einigen beachtlichen Schauspielerleistungen nicht auf die Sprünge helfen. Wolfgang Hübsch (Rochus) spielt die interessante Nestroy-Rolle mit Verve - ein wenig sympathischer Revoluzzer, wie ihn seinerzeit die Zensur akzeptieren konnte. Die Couplets mit Zusatzstrophen von Lida Winiewicz bellt er zu elektronischer Musik ins Mikrofon. Toni Böhm (Schafgeist) könnte etwas phlegmatischer beginnen, umso stärker würde dann seine Erbitterung wirken, als ihm seine Ruhe abhanden kommt. Uwe Falkenbach (Hornissl), Erika Mottl (seine Frau) und Florian Teichtmeister (Laffberger) verhalten sich als ungebetene Gäste wie die buchstäblichen Elefanten im Porzellanladen. Gerti Drassl (Peppi) und Piroska Szekely (Leokadia) dürfen naive beziehungsweise raffinierte Erotik ausstrahlen. Cornelia Lippert (Groning) angelt sich als selbstbewusste Witwe zuletzt den zwischen ihr und der Ziehtochter Dickfells hin- und herschwankenden Christoph Zadra (Splittinger). Das Premierenpublikum beklatschte maßvoll, aber nicht ungnädig eine weder besonders kurz- noch langweilige Produktion.

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