Der diskrete Charme der Baumkraft

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Bodenständiger Flair trifft urbanen Chic: Forscher und Architekten regen dazu an, die ökologischen Vorteile von Holz auch im städtischen Bereich zu nutzen. Die weltweit größte Holzbaukonferenz vermittelte Einsichten in einen einzigartigen Werkstoff.

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Bodenständiger Flair trifft urbanen Chic: Forscher und Architekten regen dazu an, die ökologischen Vorteile von Holz auch im städtischen Bereich zu nutzen. Die weltweit größte Holzbaukonferenz vermittelte Einsichten in einen einzigartigen Werkstoff.

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Es ist eine durchaus trendige Vision, die in der Seestadt Aspern verwirklicht werden soll: Im größten Wiener Stadterweiterungsgebiet nördlich der Donau soll in zwei Jahren ein "Holzturm", ein Hochhaus mit vorherrschenden Holzelementen, mit 24 Stockwerken in den Himmel ragen. Das moderne Gebäude in Holz-Hybrid-Bauweise soll zu rund einem Dreiviertel aus dem Naturmaterial bestehen und damit weithin sichtbar demonstrieren, "was mit Holz alles möglich ist", wie es auf der Webseite des "HoHo Wien" heißt. Holz, hierzulande gerne mit alpenländischen Klischees behaftet, ist inmitten der pulsierenden Urbanität angekommen. Und der Wettlauf um das weltweit höchste Holz-Hochhaus ist voll im Gang: Auch in Vancouver, New York, London oder Bordeaux werden derzeit hochtrabende Pläne für Holztürme geschmiedet.

Aufbruch ins "Holz-Zeitalter"?

"Wir erleben den Beginn eines neuen Holz-Zeitalters", verkündete der britische Architekt Andrew Waugh im letzten Jahr: Mit Holz zu bauen sei "super schnell und super genau" - und der Naturstoff schaffe eben sinnliche Atmosphären, in denen man sich ganz besonders wohlfühlt. Dass naturbelassenes Vollholz tatsächlich auch gesundheitsfördernd wirkt, ist für manche Baumarten wissenschaftlich nachgewiesen.

Auch in punkto Nachhaltigkeit gilt Holz heute als viel versprechende Alternative zu anderen Baumaterialien wie Stahl oder Beton. Allein der Bausektor beansprucht derzeit 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in der EU, und Holz verspricht hinsichtlich der Ökobilanz enormes Potenzial: Beim Hochhaus in der Seestadt Aspern etwa spart die Holzbauweise gegenüber einer Ausführung in Stahlbeton rund 2800 Tonnen CO2-Äquivalente ein. Das ist soviel, wie wenn man circa 20 Millionen Kilometer mit dem Auto fahren würde - oder täglich 40 Kilometer, und das über 1300 Jahre. Für die europäischen Waldbestände wäre ein deutlicher Anstieg des Holzbedarfs jedenfalls kein Problem, denn 30 Prozent des jährlichen Holzwachstums werden zur Zeit nicht verwertet. Zudem kann Holz völlig sauber abgebaut und entsorgt werden. Experten gehen davon aus, dass der Holzanteil im Bauwesen weiterhin steigen wird, und zwar auf ein langfristig stabiles Niveau.

Die Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten dieses einzigartigen Naturmaterials wurden nun bei der vierten "World Conference on Timber Engineering" (WCTE) diskutiert, der weltweit größten Holzbau-Konferenz, die von 22. bis 25. August in Wien stattgefunden hat. In einem Plenarvortrag berichtete ein Architekt, wie ein Holzhaus mit acht Geschoßen in nur acht Tagen montiert wurde. "Das schaffen Sie mit keinem anderen Werkstoff: In gewissen Anwendungen ist Holz einfach unschlagbar", bemerkt dazu der Wiener TU-Professor Josef Eberhardsteiner, einer der Leiter der Konferenz, bei der sich Holzbauingenieure und Architekten, Planer, Produzenten und Wissenschafter ein Stelldichein gaben.

Einsichten im Nano-Bereich

Wie der komplexe Werkstoff mikromechanisch funktioniert, ist freilich noch nicht restlos geklärt. Man weiß, wann Holz bricht - aber welche Faktoren spielen dabei eine Rolle, etwa Temperatur oder Feuchtigkeit? Hier gibt es noch ein breites Betätigungsfeld für die Wissenschaft, wie Eberhardsteiner bemerkt: "Im Vergleich zu anderen Baumaterialien ist der Einsatz von computerisierten Berechnungsverfahren bei Holz noch weitaus weniger verankert."

Mit Hilfe von Computermodellen gelingt es heute, die Eigenschaften des Materials immer besser zu verstehen. Genau diese "numerischen Methoden" sind ein Spezialgebiet des Werkstoff-Forschers, der Holz anhand kleinster Details berechenbar machen will. "Vieles lernt man erst, wenn man in ganz kleine Längenskalen, also in den Nanometer-Bereich, hineingeht", so Eberhardsteiner. Lignin zum Beispiel, ein Bestandteil aus der Holzzellwand, findet sich in einem winzigen Größenbereich von 50 bis 100 Nanometern -ist jedoch hauptverantwortlich dafür, wie sich Holz unter Schubbeanspruchung verhält.

Anhand feinkörniger Analysen lassen sich die Eigenschaften von Holz von einer Längenskala zur nächstgrößeren übertragen. Damit ergeben sich Prognosen von der Zellwand über die Holzzellen und -schichten bis hin zum Holzstück und schließlich zur Holzplatte. Auch Erkenntnisse aus der medizinischen Knochenforschung fließen hier ein, denn Knochen ist wie Holz ein zellulär strukturiertes Biomaterial. Tatsächlich besitzt der Naturbaustoff Holz ein einzigartiges Portfolio an Eigenschaften: enorme Tragkraft bei geringem Eigengewicht, feuchtigkeitsregulierend, stabil und elastisch zugleich. Aber es handelt sich eben um einen Naturstoff, und die Erkenntnisse aus den Computer-Modellen gelten nur für fehlerfreies, astfreies Holz. "Die Astspuren im Holz haben den Forschern schon so manche schlaflose Nacht bereitet", berichtet der TU-Vizerektor für Infrastruktur. Zur Problemlösung gelte es, die Computer-Berechnungen mit den Experimenten im Labor zusammenzuführen.

Wissen um die Wartung

"Holz ist ein genialer Werkstoff, aber es braucht Wissen, wie man damit umgeht", sagt Eberhardsteiner. Das betrifft die Wartung, die Verbindung mit anderen Baumaterialien oder den Brandschutz, eine der großen Herausforderungen bei den aktuellen Hochhaus-Projekten. Beim Projekt in der Seestadt Aspern soll der berechenbare Feuerwiderstand etwa durch die angemessene Dimensionierung der Holzbauteile erreicht werden. Automatische Löschanlagen und kleine Brandschutzabschnitte sollen dafür Sorge tragen, den strengen Auflagen zu genügen.

Holzforschung bleibt jedenfalls spannend: Aktuelle Projekte zielen darauf ab, die Eigenschaften des Holzes durch Hybridmaterialien und Komposita zu verbessern. Daraus könnten multifunktionale Materialien mit neuartigen Anwendungen entstehen. Weitere Studien untersuchen, wie Holz mit anderen Baustoffen wie Glas, Stahl oder Beton kombiniert werden kann. "Kein Werkstoff ist ein Alleskönner", resümiert Eberhardsteiner. Vielmehr geht es darum, künstliche und natürliche Baumaterialien intelligent zu verbinden, damit sich diese optimal ergänzen können.

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