Der Dramaturg einer neuen Welt

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Václav Havels historische Leistungen sind unbestritten, noch wichtiger aber sind seine Impulse für die Zukunft seines Landes und Europas.

Mit Václav Havel entschwindet den Augen ein Mensch, der für viele Leute das lebende Zeichen der Zivilcourage war. Ein Mensch, der mit seiner Idee einer unpolitischen Politik der Zeit, in der er lebte, voraus war.“ Igor Matoviˇc, das neue Enfant terrible der slowakischen Politszene, hat in einem Statement ausgedrückt, was viele Zeitgenossen in Ost und West an dem verstorbenen Dissidenten und Präsidenten fasziniert. Nicht mehr Havels historische Rolle beim Sturz des Kommunismus oder bei der Teilung der Tschechoslowakei steht für den Jungpolitiker im Vordergrund, sondern seine Vision einer Gesellschaft selbst- und verantwortungsbewusster Bürger.

Treue zu den Idealen

Auch in Prag haben sich diese Woche am Wenzelsplatz nicht bloß ergraute Alt-Revoluzzer versammelt, um mit ihren Schlüsseln zu klirren wie 1989, als Václav Havel hier die begeisterte Menge ermutigt hatte, sich wieder ihre Freiheit zu nehmen. Er habe auf dem "Václavák“ und auf anderen Plätzen vor allem Menschen gesehen, die 1989 noch gar nicht auf der Welt gewesen seien, berichtete Akademikerseelsorger Tomáˇs Halík bei einem ersten Trauergottesdienst in der überfüllten Salvatorkirche.

Halík ist so wie Weihbischof Václav Mal´y, der in der Samtenen Revolution die Massenkundgebungen moderiert hat und der beim Requiem im Veitsdom die abschließenden Zeremonien leiten wird, einer der Getreuen des Verstorbenen, die nicht bloß die Erinnerung an heroische Zeiten hochhalten, sondern aufrufen, "in sich selbst die Treue zu den großen Idealen zu erneuern, mit denen er sein Leben verknüpft hat und dank derer sich unser Land ins Bewusstsein der Welt eingeschrieben hat“.

Halík ist auch eine Schlüsselfigur in den Beziehungen von Kirche und Staat, noch grundsätzlicher aber von Religion und Gesellschaft sowie von Moral und Individuum, wie sie Václav Havel vorgeschwebt sind. Der Literaturhistoriker und frühere Leiter der Havel-Bibliothek Martin C. Putna hat in einem 2009 erschienenen Büchlein die "Spiritualität Václav Havels“ erkundet und eine Spur entdeckt, die vom "Befreierpräsidenten“ Tomáˇs G. Masaryk über Havels Vater Václav M. Havel zum jetzt verstorbenen "Dichterpräsidenten“ führt.

Putna sieht diese Spur in "tschechischen und amerikanischen Kontexten“. Masaryk, der vom Katholizismus in die Reformierte Kirche übergetreten war, sei durch seine amerikanische Ehefrau Charlotte mit der Unitarierbewegung in Berührung gekommen und habe den YMCA, die Young Men’s Christian Association, gefördert, die beide einen liberalen Protestantismus vertraten. Havels Vater sei durch einen Aufenthalt in den USA und die Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge in Richtung einer deistischen Religiosität geprägt worden, und Havels Bruder Ivan M. Havel, der von 1969 bis 1971 in Berkeley studiert hatte, habe in den intellektuellen Freundeskreis Václav Havels schließlich die New-Age-Philosophie, die New Science und ihre theologischen Entsprechungen eingebracht.

In dieser zugleich religionsfreundlichen und konfessionskritischen Sozialisation erblickt Putna die Wurzel von Václav Havels Offenheit gegenüber weltanschaulichen Strömungen, die einander nach dem Verständnis vieler zu widersprechen scheinen. Dass Havel nicht wie Masaryk einen antikatholischen Affekt entwickelte, führt der Katholizismusexperte auf die Erfahrung zurück, dass auch konservative Katholiken bereit waren, für die Befreiung vom Kommunismus etwas zu riskieren. Die Praxis habe bei Václav Havel immer den Vorrang vor dem Dogma gehabt, weshalb jede Vereinnahmung seines Lebens für eine Religionsgemeinschaft fehl am Platz sei.

TV-Gespräch mit Erzbischof Duka

Gleichsam zur Bestätigung von Martin C. Putnas Thesen hat Václav Havel am 11. November mit dem Prager Erzbischof Dominik Duka ein letztes ausführliches Fernsehgespräch geführt, das am Neujahrstag ausgestrahlt werden sollte, jetzt aber auf den Begräbnistag, den 23. Dezember, vorgezogen wird. Havels letzter öffentlicher Auftritt eine Woche vor seinem Tod wiederum galt der Teilnahme am alljährlichen, von ihm initiierten "Forum 2000“, das ihn noch einmal mit dem Dalai Lama zusammenführte.

Der polnische Dominikaner-Publizist Tomasz Dostatni hat in einem Statement für die Gazeta Wyborcza gemeint, Václav Havel sei "vor allem ein Dramaturg gewesen, der Präsident wurde, eine Hauptfigur des Dramas der neuen, nachkommunistischen Welt“. Auch wenn der Dramaturg jetzt abgetreten ist - seine Dramaturgie wird, nicht nur in seiner Heimat, weiterwirken.

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