Der Einfluss der Patriarchen

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Live übertragen in allen Fernsehsendern segnen die Priester das Volk, nach 40 Tagen Fasten verkünden sie an allen Ecken der rumänischen Hauptstadt Bukarest aus den Lautsprechern die Auferstehung Christi. Die beeindruckende Lichtzeremonie mit byzantinischen Hymnen zieht mitten in der Nacht hunderttausende Menschen an. Bereits in der Woche vor Ostern waren die Kirchen in Rumänien wieder so rappelvoll, dass die Notärzte mehrmals intervenieren mussten. Gläubigenschwund? Fehlanzeige! Vor allem in den Dörfern, wo fast die Hälfte der Bevölkerung Rumäniens lebt, können die Geistlichen problemlos viele Menschen in die Kirchen locken, und das an jedem Sonntag. "Nach 45 Jahren offiziellen Atheismus erlebte unsere Kirche nach der Wende eine wahre Auferstehung", sagt Vater Constantin Stoica, Pressesprecher des Patriarchats.

95 Prozent sind gläubig

Die Zahlen belegen die Aussagen. Laut jüngsten Umfragen sind 95 Prozent der Rumänen gläubig und fast 85 Prozent erklären sich orthodox. Auch Popularität und Vertrauen in die Kirche sind mit über 60 Prozent hoch. "In der schmerzhaften Transition von einer sehr konservativen Form von Staatssozialismus zu einem System der deregulierten Marktwirtschaft hat die Kirche eine wichtige Rolle gespielt", erklärt der Politologe Daniel Barbu von der Bukarester Universität. "Dabei übernahm die Kirche identitätsstiftende und soziale Aufgaben, die in den etablierten westlichen Demokratien Prärogativen des Staats sind."

Doch der Staat ist in Rumänien traditionell schwach. In den 1990er-Jahren konnten mangels Geldes seine Kernfunktionen kaum erfüllt werden. Renten und Löhne im öffentlichen Sektor wurden nur verspätet gezahlt, eine endemische Korruption zerstörte das Vertrauen in die Justiz und Polizei. Perspektivlosigkeit und bittere Armut waren Lebenskonstanten vieler Rumänen bis kurz vor dem EU-Beitritt des Landes 2007 und auch in den Jahren danach blieb die Situation trotz des raschen Anstiegs der Einkommen kompliziert. Um die Armut einigermaßen zu lindern und die beinahe Abwesenheit des Staates zu kompensieren, gründete das Patriarchat soziale Einrichtungen und baute damit einen Bereich wieder aus, den sie nach dem Zweiten Weltkrieg zugunsten des Staats abtreten musste. Das weltliche Werk der Kirche floriert seitdem wie nie zuvor:

"Nach der Wende zog sich der Staat aus vielen Bereichen des öffentlichen Lebens einfach zurück. Es galt und gilt heute noch eine strikte Marktideologie und eine Art Sozialdarwinismus, der die gegenwärtige Gesellschaft wesentlich prägt", sagt der linke Publizist und Blogger Costi Rogozanu. "Die sozialen Aufgaben des Staates blieben einfach jahrelang unerfüllt, und die Kirche sprang in diese Lücke ein. Doch ihr Werk ist weder systematisch, noch nachhaltig, dafür aber sehr konservativ - und steuerfinanziert. Die Arbeiten an neuen Kirchen und an der neuen imposanten Kathedrale mitten in Bukarest laufen auf Hochtouren, während fast alle anderen Bauprojekte eingestellt wurden", kritisiert er. Die Vertreter der Synode betonen hingegen, dass die neu gebauten Kirchen immer voll sind. "Das zeigt, dass viele Rumänen dieses Bedürfnis haben, und es wäre undemokratisch, sich dem Willen der Mehrheit zu widersetzen", sagt Constantin Stoica. Die Umfragen und Statistiken geben ihm recht, doch die Finanzierung der Kirche aus Steuergeldern bleibt umstritten, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor gegen diese Lösung nichts zu melden hat. Linksliberale Kritiker dieses Systems prangern die "Geiselnahme der Politik und des Staats durch die Orthodoxe Kirche, die vor allem auf dem Land noch immer über einen großen Einfluss auf die Wähler verfügt", wie es der grüne Abgeordnete Remus Cernea ausdrückt. Seine jüngste Initiative, ein freiwilliges kirchensteuerbasiertes Finanzierungssystem einzuführen, fand im Bukarester Parlament keine Mehrheit.

Homophie und Ausgrenzung

Viele liberale Autoren und auch manche Politiker kritisieren die Positionen der Orthodoxen Kirche. Zum einen vertritt das Patriarchat in Bukarest nach wie vor eine erzkonservative Stellung in vielen sozialen und politischen Fragen. So lehnte die Kirche die Entkriminalisierung der Homosexualität in den 1990er-Jahren ab, rief zu Gegendemonstrationen gegen die Bukarester Gay Pride Paraden auf und fühlte sich nicht gehemmt, dabei mit rechtsextremen Fußballfans und Hooligans gemeinsame Sache zu machen. Genau wie in Serbien und in Russland machten die orthodoxen Bischöfe in Rumänien oft Druck auf die Politiker, um Antidiskriminierungsgesetze zu verhindern und die Ehe als heterosexuelles Privileg zu definieren. Ihr Erfolg bleibt auf dieser Front allerdings bescheiden, denn Rumänien darf als EU-Mitglied nicht gegen europäische Verträge verstoßen. Auch wenn weite Teile der Bevölkerung sich mit den Werten der Kirche identifizieren, bleibt die Identifikation mit der EU stärker. Ähnlich verhält es sich in der Frage, ob Ausländern erlaubt werden soll, Grundstücke in Rumänien zu kaufen. Auch hier trat das Patriarchat für ein radikales Verbot auf -und musste bereits vor dem EU-Beitritt 2007 eine bittere Niederlage kassieren.

Zum anderen lehnt das Patriarchat eine Aufarbeitung der unangenehmen Vergangenheit ab. Ähnlich wie in Bulgarien und Russland, gehörte die rumänische Kirche nicht zu den Kräften, die sich in den 1980er-Jahren gegen das marode staatssozialistische Regime engagierten. Im Gegenteil: Als Ceausescu im Dezember 1989 beschloss, die Aufständischen mit Militärgewalt zu unterdrücken, schickte ihm der damalige Patriarch Teoctist ein schmeichelndes Gratulationstelegramm. Und als zehn Jahre später ein Gesetzentwurf vorsah, die Geheimpolizeiakten der Mitglieder der Synode offenzulegen, lief das Patriarchat Sturm gegen die Initiatoren. Das damalige Argument, die Kirche kümmere sich selber um Aufklärung, erwies sich als Luftnummer: Bis dato musste kein Bischof aufgrund seiner Zusammenarbeit mit der Geheimpolizei zurücktreten, obwohl es in vielen Fällen klare Beweise gibt, die mittlerweile von der Presse veröffentlicht wurden.

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