Der Einzug der Plagiatoren

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Die Geschichte des Plagiats kennt viele Namen - und viele von Rang: Bert Brecht, Karl May ...

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Die Geschichte des Plagiats kennt viele Namen - und viele von Rang: Bert Brecht, Karl May ...

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Auch wenn der Anlaß wieder einmal nur eine Sache des Kalenders ist (nämlich der hundertste Geburtstag): Es wird über ihn gesprochen. Über Bert Brecht. Und da momentan der "böse", der frauenausbeuterisch-egozentrische Brecht dran ist, wird nun auch der verhatschte Eigentumsbegriff des "armen B. B." nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen.

"Nehm jeder sich heraus, was er grad braucht!" ermuntert der Dreiunddreißigjährige die Kollegenschaft. Es ist jenes Sonett, mit dem Brecht den Vorwurf des Theaterkritikers Alfred Kerr zu parieren versucht, er habe sich bei den Songs der "Dreigroschenoper" schamlos der berühmten Villon-Übersetzung von K. L. Ammer bedient. Schamlos - das heißt: nicht nur reichlich, sondern auch ohne jede Quellenangabe. In einer offiziellen Erklärung zu der Affäre, die er nachschiebt, beruft sich Brecht auf seine "grundsätzliche Laxheit in Fragen geistigen Eigentums". Schützenhilfe erhält er dabei von der Germanistik; seine Biographin Marianne Kesting führt aus: "Geistiges als Privateigentum anzusehen, ist eine Auffassung allerjüngsten Datums. Shakespeare oder die antiken Tragiker haben sie nicht gekannt, und Brecht hat sie nie gelten lassen, wie er die gesellschaftliche Basis, der diese Ansicht entstammt, nicht anerkannte. Für ihn war alles bereits Formulierte lediglich Stoff, den man brauchen konnte und durfte." Immer wieder habe er fremde Sujets bearbeitet und dichterische Methoden übernommen, jedoch alles "in so unverwechselbar Brechtisches verwandelt", daß Kerrs Plagiatsvorwurf "absurd" sei.

Dem könnte man sich ohne weiteres anschließen, hätten die Brecht-Erben, die seit dem Hinscheiden des Dichters über die "reine Lehre" wachen, nicht immer wieder mit kleinlichem Gezänk das genau Umgekehrte praktiziert: keinerlei Brecht-Anleihen durch Dritte zugelassen, ja sogar Brecht-Aufführungen, die ihnen nicht paßten, mit aller Gewalt verhindert.

II Frau Kesting hat recht: Dem literarischen Rückgriff auf schon Bestehendes haftet in alter Zeit nicht nur nichts Unehrenhaftes an, sondern er geht als Verneigung vor dem "Vorgänger" durch, als Hommage ans Original. Auch noch so "großzügig" zitiert, ja geplündert zu werden, gilt als Auszeichnung, als Ehre. Erst mit dem bürgerlichen Eigentumsbegriff des 18. Jahrhunderts wird der geistige Diebstahl zum "rechtsfähigen Tatbestand". In Zedlers Universallexikon von 1741 begegnen wir dem Plagiarius litterarius, "der eines andern Sachen ausschreibet und vor seine eigene Arbeit ausgiebet, anbey aber den rechten Autorem, woraus er seine Nachrichten und Künste gezogen, nicht nennet". Auch die ersten Klagen werden laut: "Der gelehrten Diebe werden immer mehr."

III Die Geschichte des Plagiats kennt viele Namen. Und viele von Rang. Gabriele d'Annunzio muß sich nachsagen lassen, in den philosophischen Schriften seines Landsmannes Benedetto Croce gewildert zu haben; Jakob Wassermann kommt 1925 in die Schlagzeilen, weil seine Novelle "Das Gold von Caxamaica" allzu sehr einem der Expeditionsberichte des US-Historikers William H. Prescott ähnele"; auch Daphne du Mauriers Krimi-Bestseller "Rebecca" kommt belesenen Rezensenten äußerst bekannt vor; und noch in jüngster Vergangenheit wird um die Frage gestritten, ob Werner Schwab, der frühverstorbene Shooting Star der österreichischen Dramatikerszene, bei der Ausschlachtung von Schnitzlers "Reigen" nicht zu weit gegangen sei. Selbst im Sachbuchbereich der philologischen Sekundärliteratur werden die Urheberrechtsexperten zu Hilfe gerufen: Bis zu welchem Quantum darf die Verfasserin einer Friedrich-Heer-Monographie O-Ton ihres Untersuchungsgegenstandes wiedergeben? Anders gefragt: Wann wird aus der (zulässigen) Zitatenlese ein (lizenzpflichtiger) "Reader"?

IV Unter den Schriftstellern, die für ihre Beutezüge in späteren Jahren geläutert Sühne leisten, ist Karl May das berühmteste Beispiel. Einerseits ein beherzter Abschreiber, der für seinen "Winnetou" ganze Passagen - und zwar wortwörtlich! - aus Ross Browne's "Reisen und Abenteuer im Apachenlande", Gabriel Ferry's "Waldläufer" und Julius Fröbels "Aus Amerika" "übernimmt", verfügt er gegen Ende seines Lebens, als der kinderlos Gebliebene sein Testament aufsetzt, alle noch zu erwartenden Einkünfte aus seinem Werk seien nach dem Tod der Witwe einer "mildtätigen Stiftung, die ich mit ihr besprochen habe", zuzuführen. Es schwebt ihm dabei eine Art Sozialfonds für deutsche Schriftsteller vor, "die durch Alter, Unfall, Krankheit oder andere Ursachen in drückende Notlage gekommen sind". Schon ein Jahr nach seinem Ableben, also weit früher, als der Letzte Wille es vorsieht, legt Klara May tatsächlich den Grundstein für die Karl-May-Stiftung, die in der Folge mancherlei Gutes wirkt.

V Ein Thema für sich ist das Epigonentum. Dort die Todsünde des platten Abkupferns, hier die läßliche der versuchten Nachahmung von Idee und/oder Stil. Noch Goethe muß mitansehen, wie jeder dahergelaufene Schreiberling seinen "eigenen" Werther absondert; über den Ibsen-Kult der Jahrhunderwende mokiert man sich mit dem Spottwort "Ibsen Sie auch?"; nach dem Zweiten Weltkrieg wimmelt es nicht nur in Amerika von lauter Mini-Hemingways; bei uns wird es in den frühen neunziger Jahren Mode, a la Thomas Bernhard zu dichten; und Margaret Mitchell's Welt-Hit "Vom Winde verweht" erhält sogar eine Fortsetzung von fremder Hand.

In diesem Bereich urheberrechtliche Prozesse zu führen, ist allemal schwierig: Aussicht auf Erfolg besteht am ehesten in der U-Musik, wo Melodiendiebstähle, und in der Malerei, wo Fälschungen gang und gäbe sind. Im allgemeinen gilt: Der Kapitalstärkere sitzt am längeren Arm.

Es bereitet mir, wenn ich bei Schullesungen mit meinem Buch "Die kleinen Helden" (in dem ich den Ursprüngen der berühmten Kinderbuchfiguren nachgegangen bin) jedesmal fast physischen Schmerz, wenn ich auf die Testfrage, wer denn das "Bambi" kreiert habe, in neun von zehn Fällen die Antwort erhalte: Walt Disney. Und nicht: Felix Salten. Doch das Urbild des munteren Rehleins ist keineswegs durch die Wälder von Hollywood gehüpft, sondern durch die Jagdreviere von Stockerau und Unterach, von deren Hochsitzen aus der Wiener Schriftsteller Siegmund Salzmann alias Felix Salten anno 1920 seine Beobachtungen der heimischen Tierwelt angestellt hat. Obwohl nur im Besitz der Filmrechte, brachte Disney sehr bald auch Buchversionen von "Bambi" auf den Markt, in vielen Sprachen und Readers-Digest-artig verkürzt, und wurde dem Originalautor auf den Buchumschlägen zunächst noch eine "by-line" ("Nach Felix Salten") zugestanden, so verschwand diese mit der Zeit ganz, und aus der nachweislich niederösterreichisch-oberösterreichischen Kreuzung war für immerdar ein Yankee geworden.

VI Darf ich zum Abschluß dieser kleinen Betrachtung auch ein paar eigene Erfahrungen beisteuern? Daß meine 1973 (mit dem Buch "Schauplätze der Weltliteratur" erstmals realisierte Idee, der biographischen Durchleuchtung der Dichter auch die Ausforschung der Spielstätten ihrer Werke, also dessen, was man gemeinhin den "Ort der Handlung" nennt, folgen zu lassen, laufend kopiert wird, damit habe ich mich längst abgefunden, und ich folge dabei gern dem Rat meiner Stammleser, es als Ehre anzusehen, ja mich von solch betriebsamer Nachahmerei geschmeichelt zu fühlen.

Doch die Trittbrettfahrer werden, wohl im Zuge einer weiter zunehmenden Verwilderung der Sitten, verwegener und verwegener, und so sehr ich neuerdings Bücher auf dem Markt, die sogar die Titel (!) meiner eigenen Buchstabe für Buchstabe usurpieren, höre von Reiseveranstaltern, die unter ebendiesen Titeln Sightseeing-Touren anbieten, und wenn das so weitergeht, ist wohl der Tag nicht fern, da mir eine Einstweilige Verfügung ins Haus flattern wird, die mir die Verbreitung meiner eigenen Arbeiten untersagt. Doch zum Glück habe ich mich beizeiten anderen Themen zugewandt, und das Original ist dem Surrogat kaum noch im Weg. Es darf also munter weiterplagiiert werden!

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