Der Erde Glück? – Ein Schatten

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Aribert Reimanns „Medea“, ein Auftragswerk der Wiener Staatsoper, erlebte im Haus am Ring eine begeistert aufgenommene Uraufführung. Marlis Petersen in der Titelpartie, Michael Boder am Pult des Orchesters und Regisseur Marc Arturo Marelli sorgten für packende Intensität.

Benjamin Britten und Aribert Reimann wollte er, ließ Ioan Holender schon zu Beginn seiner demnächst zu Ende gehenden, 19-jährigen Direktionszeit wissen, an die Staatsoper bringen. Mit „Peter Grimes“ und „Billy Budd“ konnte er schon vor Jahren das Britten-Versäumnis glänzend wettmachen. Nun glückte ihm das auch mit Reimann. Noch dazu mit einer rundum gelungenen und dementsprechend gefeierten Uraufführung in Gegenwart des Komponisten.

Integrationsproblematik

Dieser Tage begeht Aribert Reimann seinen 74. Geburtstag. Ein besseres Geschenk als diese Oper in vier Bildern hätte er weder sich noch dem Publikum machen können. Mehr als drei Jahre hat ihn die Arbeit an „Medea“ zuletzt beschäftigt. Interessiert hat ihn der Stoff schon seit Jahrzehnten. Aber immer wieder hat sich anderes dazwischengeschoben. Erst als Holender wegen einer neuen Oper anfragte und ihm dann den konkreten Auftrag erteilte, konzentrierte er sich ganz auf dieses Sujet. Bei Grillparzer fand er schließlich, was er suchte. Und zwar sowohl in dessen „Medea“ als auch im „Gastfreund“ und in den „Argonauten“.

Eine Geschichte, wie sie aktueller nicht sein könnte. Denn vor diesem klassischen Hintergrund werden Themen angesprochen, die zum durchaus traurigen Alltag geworden sind: Die Nichtakzeptanz des Kopftuches in anderen Kulturkreisen. Die Tatsache, dass Nichtintegration zumeist in Aggressivität endet, für die niemand die Verantwortung übernehmen will. Die willkürliche Nichtgewährung von Exil. Der Mord als letzter Ausweg einer Mutter, der man zuerst die Kinder entfremdet und die sie töten muss, um ihnen dieses Schicksal durch andere zu ersparen.

„Was ist der Erde Glück? – Ein Schatten. Was ist der Erde Ruhm? – Ein Traum“, heißt es im vom Komponisten nach den Vorlagen Grillparzers verfassten Libretto, das mit den Worten schließt: „Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.“

Ein Ansatz, den auch die Inszenierung von Marc Arturo Marelli – er wurde im Anschluss an die Premiere als jener Regisseur, der die meisten Neuproduktionen in der Ära Holender szenisch verantwortete, zum Ehrenmitglied der Staatsoper ernannt – aufgreift. Weil Willkür und egoistisches Streben nach oben nach wie vor nicht ausgedient haben, versetzt Marelli die Handlung in die Gegenwart. Um den Gegensatz von Griechenland und Kolchis zu verdeutlichen, erscheinen die Protagonisten in Anzug, Krawatte, aber auch in fremden Kostümen (Dagmar Niefind).

„Wellenförmiges Fließen“

Die Handlung selbst lässt Marelli auf der ziemlich ohne Requisiten auskommenden, durch Lichteffekte belebten Bühne, der einer Lavalandschaft nachempfundenen Hinterbühne (Reimann komponierte „Medea“ hauptsächlich auf Lanzarote) und in dem rechter Hand der Bühne platzierten, zu einem Penthouse umgedeuteten Herrscherpalast Kreons ablaufen. Synchron mit Reimanns die Handlung illustrierender wie kommentierender, die Gedanken der Protagonisten immer wieder vorausahnender, leitmotivisch verschränkter, ganz auf die Möglichkeiten der Stimme fokussierter Musik.

Vor allem den Sängern verlangt Reimanns rhythmisch komplizierte, klanglich ungeheuer delikate, von der Idee eines „wellenförmigen Fließens“ (Reimann) beherrschte Partitur Außerordentliches ab. Außerordentlich wurde es auch realisiert. Voran von der mit aller nur möglichen Koloraturenbrillanz aufwartenden intensiven Medea von Marlis Petersen, der mit naiver Verspielheit dargestellten, von hohen Harfen und Celesta begleiteten, ebenso virtuosen Kreusa von Michaela Selinger und Elisabeth Kulmans wortdeutlicher, von Angst gezeichneter Gora.

Klangkultur vom Feinsten

Glasklar artikulierend und ideal die Farbe seines Baritons einsetzend Adrian Eröd als um die Spur zu sympathisch erscheinender Jason. Untadelig Michael Roider als unnachgiebiger Kreon. Fabelhaft der mit den Möglichkeiten seines Countertenors geradezu spielerisch umgehende Staatsoperndebütant Max Emanuel Cencic in der Rolle des Herolds. Und das solistisch agierende Staatsopernorchester, souverän befehligt vom prächtig disponierenden Michael Boder, trumpfte mit Klangkultur und Intensität vom Feinsten und Packendsten auf.

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