Der fliegende Romancier

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Der Pilot und Romancier Antoine de Saint-Exupery, Autor des Welterfolgs "Der kleine Prinz", wurde vor 100 Jahren geboren.

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Der Pilot und Romancier Antoine de Saint-Exupery, Autor des Welterfolgs "Der kleine Prinz", wurde vor 100 Jahren geboren.

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Erst jüngst wurde (höchstwahrscheinlich) das Wrack jenes Flugzeugs gefunden, in dem er 1944 starb; von den Umschlägen seiner Bücher blickt ein kraftvolles und doch durchgeistigtes Gesicht, umrahmt von der pelzgefütterten Fliegerkappe mit Ohrenschützern: Antoine de Saint-Exupery, geboren am 29. Juni 1900. Viele Fotos zeigen seinen großen, starken Körper, der sich gerade in die Fliegermontur hineinzwängt.

Wie findet ein Grafensprössling aus Südfrankreich zur Fliegerei? Der Wunsch der Familie jedenfalls war es, dass er Architekt würde. Seine Begeisterung für die damals modernste Technik siegte. Aufgewachsen ist er in Schlössern wie ein kleiner Prinz. Noch vor Schuleintritt erfand er ein Fahrrad-Flugzeug. Im Alter von zwölf Jahren durfte er mit einem erfahrenen Piloten zum erstenmal in die Luft aufsteigen. Saint-Exupery war zu jung, um als Pilot im Ersten Weltkrieg zu arbeiten, aber Helden brauchte es auch nach dem Krieg in der zivilen Luftfahrt.

Mit 22 wurde er Pilot bei einer Privatflugzeug-Gesellschaft, die Postflüge auf der Strecke Toulouse - Casablanca und Dakar - Casablanca durchführte. Am Rand der Sahara, in einem alten spanischen Fort, schrieb er auf den Knien seine ersten Romane "Südkurier" und "Nachtflug" (1928 und 1931). So konsequent er seine Berufserfahrungen als Pilot literarisch verwertete, so wenig gab er aus seinem Privatleben preis: "Es widerstrebt mir grenzenlos, über die Dramen meines Lebens zu sprechen, worin sie auch bestehen mögen. Schreckliche Scham befällt mich, wo es um meine persönlichen Probleme geht."

Mit 22 hatte er sich verlobt, doch ließ ihn die junge Dame sitzen, weil er die Fliegerei nicht aufgeben wollte. Mit 31 heiratete er eine exzentrische, kapriziöse Malerin und Bildhauerin, Consuela Suncin, die Witwe eines argentinischen Journalisten. Aufmerksame Leser seines berühmtesten Werkes, "Der kleine Prinz", können aus diesem Weltraummärchen feine Hinweise auf die Schwierigkeiten der Ehe des Autors heraushören. Der kleine Prinz liebt die einzige Blume auf seinem winzigen Planeten, die Rose. Ihre Eitelkeit und ihre Lügen sowie ihre diktatorische Art irritieren ihn aber sehr: "So hatte der kleine Prinz trotz des guten Willens seiner Liebe rasch an ihr zu zweifeln begonnen, ihre belanglosen Worte bitter ernstgenommen und war sehr unglücklich geworden." "Der kleine Prinz" erschien zuerst in englischer Übersetzung (1943): Saint-Exupery hatte 1940 Frankreich verlassen und war in die USA ins Exil gegangen. Bei Kriegsende erschien das Buch im französischen Original, 1950 auf deutsch. Es wurde zu einem der größten Bucherfolge weltweit.

Vier Abstürze überlebt Die amerikanische Regierung hatte dem berühmten Schriftsteller übrigens die Aufenthaltserlaubnis nicht wegen seiner Romane erteilt, sondern unter einer Bedingung: Er musste dem Verteidigungsministerium in Washington rund um die Uhr zur Identifizierung von Luftaufnahmen aus dem nordafrikanischen Raum zur Verfügung stehen. Häufig klagte er über die Anrufe mitten in der Nacht. Dann musste er von Long Island mit dem Zug nach Washington fahren, um Fotos zu identifizieren. Was er nicht konnte, denn Dünen tragen bekanntlich keine Straßenschilder. Ein Leben am Schreibtisch war ihm schwer erträglich: "Der Beruf des Zuschauers war mir immer grässlich. Was bin ich, wenn ich nicht teilhabe Um zu sein, muss ich teilhaben."

So erwirkte er 1943, 13 Jahre zu alt, durch Intervention beim Sohn des amerikanischen Präsidenten Roosevelt, dass ihn die Aliierten nach Nordafrika versetzten. Fünf Aufklärungsflüge wurden ihm bewilligt, tatsächlich unternahm er acht. Vom letzten kehrte er, der vier Abstürze überlebt hatte, nicht zurück. Man nimmt an, dass er am 31. Juli 1944 von deutschen Jägern auf offener See in der Nähe von Korsika abgeschossen wurde. Über den kleinen Prinzen schrieb er, er habe seinen Körper nicht wiedergefunden, nachdem dieser, von einem Schlangenbiss gelähmt, lautlos in den Sand gesunken sei.

Auch Saint-Exuperys Körper wurde nicht gefunden; vor einigen Jahren entdeckte ein Fischer in seinem Netz ein Halskettchen mit den eingravierten Namen Saint-Exuperys und seiner Frau. Saint-Ex, wie ihn die Freunde nannten, war ein Aristokrat, und der Kult der Kameraderie, den er und seine Kollegen betrieben, war ein Restbestand einer militärischen Gesellschaft. Diese Piloten hielten in großer Verlässlichkeit zusammen, retteten einander bei Havarien sogar das Leben: Jeder dritte Flug endete damals in einer Notlandung. Aus dieser Erfahrung bezog Saint-Exupery Sinn für sein Leben: "Die Größe eines Berufs besteht vielleicht vor allem andern darin, dass er Menschen zusammenbringt; es gibt nur einen wirklichen Reichtum: die menschlichen Beziehungen." Bedenkt man, dass er ein Zeitgenosse von Marcel Proust, von Kafka, Musil und James Joyce war, so zeigt sich unmissverständlich: er gehört einer älteren Schule an. Gebrochene Helden, Verlust der Identität, die Hauptthemen des modernen Romans, beschäftigten ihn nicht. Seine Helden sind junge, sportliche, tapfere, heroische Männer. Wer je ein Buch von Jules Verne gelesen hat, wird die Ähnlichkeit im Typus der Figuren bemerken.

Dennoch gibt es einen großen Unterschied: Wo Jules Verne 400 Seiten braucht, benötigt Saint-Exupery 50. Sein Stil zeichnet sich durch äußerste Knappheit aus. Der technische Umschwung, an dem er so lebhaften Anteil nahm, forderte Mut. Insofern ist jener Umbruch mit dem heutigen überhaupt nicht vergleichbar. Ein Bill Gates ist kein Held. Saint-Exupery ahnte bereits in den vierziger Jahren, dass sich Fortschritt und menschliche Größe entkoppeln würden. Er klagte, das neue Flugzeug, eine Lightning Lockheed, überfordere ihn - der Pilot werde zum Buchhalter degradiert.

Den Hass überfliegen In seinem letzten schriftlichen Zeugnis, einem nie abgeschickten Brief an einen General, äußerte er, die Menschheit verwandle sich in einen seelenlosen Termitenhaufen. Über einen Ausweg dachte er in jenem Buch nach, das er schon 1936 begonnen hatte und das bei seinem Tod nicht vollendet war: "Citadelle"- "Die Stadt in der Wüste": Meditationen, Parabeln, einem alten Berberfürsten in den Mund gelegt, der von heilsamem Zwang träumt, welchen die Menschen brauchen. Die Kritik entzündete sich an dieser Gestalt, die Ähnlichkeiten mit Nietzsches Zarathustra aufweist.

Wie bei Nietzsche wird die Mystik eines Führers entwickelt, der glaubt, den Menschen schmieden zu dürfen nach seiner Anmaßung. Wo Saint-Exupery keine Geschichten erzählte, wurde sein Ton bombastisch, kitschig: "'Citadelle' wirkt wie ein orientalischer Basar, ein Basar von Ideen", schrieb sein früher Biograph Luc Estang, der ihn selbst gekannt hatte. Ist dieser Leidenschaftliche heute unmodern? Die Verkaufszahlen für sein nicht sehr umfangreiches Werk bleiben kontinuierlich hoch. Vielleicht braucht die Mode des coolen Schreibens als Hintergrund einen Mann, der nicht nur dem Wort, sondern auch der Tat verpflichtet war, oder, in den Worten des französischen Romanciers Andre Maurois: "Der Mann der Tat kennt keinen Egoismus, weil er sich immer als Glied einer Gemeinschaft kennt. Der Kämpfende vernachlässigt die Kleingeisterei der Menschen, weil er das Ziel sieht. Sie, die zusammenarbeiten, die zusammen Verantwortung tragen, überfliegen den Hass."

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