Der Forscher als "zoon politikon"

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Welche Rolle spielt die heimische Wissenschaft? Diese Frage stellte der Österreichische Wissenschaftstag 2001 auf dem Semmering - und blieb eine klare Antwort schuldig.

Im Kern geht es der Wissenschaft um die Wahrheit, der Politik um die Macht. Der Intellektuelle kann sich über zeitliche und räumliche Limitierungen hinwegsetzen, das politische Denken endet oft an der Landesgrenze oder beim Termin der nächsten Wahl. So einfach, wie es auf dem Österreichischen Wissenschaftstag 2001 anklang, ist die Welt natürlich nicht - auch Wissen wird mit dem negativen Begriff Macht verbunden, während Politik sich auch positiv als Verantwortung für das Gemeinwohl definiert. Doch die scharfe Gegenüberstellung kennzeichnet das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, das beim Wissenschaftstag ein zentrales Thema bildete.

Der Wissenschaftstag der Österreichischen Forschungsgemeinschaft versammelt alljährlich um den Nationalfeiertag etwa hundert Wissenschafter auf dem Semmering. Der riesige Themenkomplex "Österreich und die Wissenschaft - Reflexionen und Konsequenzen" war Gegenstand der heurigen Tagung, die teilweise so stark auf Randfragen einging, dass der Biochemiker Hans Tuppy spontan Applaus erhielt, als er seinen Vortrag mit dem Versprechen einleitete, er werde wirklich zum angekündigten Thema sprechen. Viele Vorträge und die anschließenden Diskussionen lieferten allenfalls Mosaiksteine zur angerissenen Problematik, schlüssige, über subjektive Meinungen hinausgehende Befunde zum Status Österreichs in der Welt der Wissenschaft blieben aus.

Friedrich Heers Wort vom "Kampf um die österreichische Identität" schwang beim ersten Themenblock, "Wissenschaft und nationale Identität", mit. Seitens der Politikwissenschaft warnte George Schöpflin aus London davor, nationale Identitäten bei der Integration Europas zu wenig ernst zu nehmen. Sein Kollege Peter Gerlich aus Wien merkte kritisch an, dass es eine französische Dominanz in den EU-Strukturen gebe, die für Kreativität nicht gerade förderlich sei - eine Aussage, die Sektionschef Raoul Kneucker vom Bildungsministerium als bereits überholt und nicht mehr aktuell zurückwies.

Der Wiener Germanist Werner Welzig, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, bezog sich auf Goethes "Wilhelm Meister" und den Satz, die Geschichte der Wissenschaft sei eine große Fuge, in der die Stimmen der Völker nach und nach zum Vorschein kommen. Er ließ sogar Teile einer Schubert-Messe erklingen - allerdings nicht, was nahe gelegen wäre, die deutsche mit den Einleitungsworten "Wohin soll ich mich wenden?". Denn Welzig sieht die Wissenschaft in Österreich in einer "Ornamentfunktion", die nach Bedarf von der Politik verwendet werde. Welche Rolle die Wissenschaft spiele, wo sie Prioritäten zu setzen habe, sei aber im Grunde völlig unbedacht. Lamentieren sei jedoch kein Ausweg. Für einzelne Fächer bestehe sicher ein Überangebot, man müsse auch bereit sein, Standorte in Frage zu stellen.

Dürftige Präsenz

Hatte Bundesministerin Elisabeth Gehrer in ihrem vorgelesenen Eröffnungstext mehr Präsenz der Wissenschaft, auch ihrer Ergebnisse, in der Öffentlichkeit gefordert, äußerte Welzig die Befürchtung, Wissenschaft sei ein den Massen unzugängliches Gut. Der langjährige Wissenschaftsjournalist und derzeitige ORF-Hörfunk-Intendant Manfred Jochum konstatierte durchaus Fortschritte, was die rasche Verbreitung wichtiger wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Öffentlichkeit anlage. Wobei besser von "Öffentlichkeiten" zu sprechen sei, denn über die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" erreiche man andere Menschen als über die "Krone", über Ö1 andere als über Ö3. Jochum plädierte für eine Problemlösungspartnerschaft von Wissenschaft und Wissenschaftsjournalisten.

Dass die Wahrheitssucher nicht nur im vielzitierten elfenbeinernen Turm, sondern auch als politische Wesen agieren, hob der Grazer Soziologe Manfred Prisching in seinem vielbeachteten Referat hervor. Er nannte zumindest fünf wichtige Rollen, in denen der Wissenschafter als "zoon politikon", also als ein Wesen in Beziehung zur Gesellschaft, auftritt.

* Als Produzent von Leistungswissen muss er sich ("Oppenheimer-Syndrom") über seine Verantwortung bei der Wissensproduktion und der Nutzung seiner Erkenntnisse den Kopf zerbrechen sowie sein Fach als nützlich rechtfertigen, auch wenn sich die Ergebnisse nicht immer ökonomisch verwerten lassen.

* Als akademischer Öffentlichkeitsarbeiter darf er seine Erkenntnisse nicht als Privateigentum für sich behalten. Um Forschungsmittel zu erhalten, muss er sich vielmehr zum Marketing-Experten mausern.

* Als Berater der Politik und Lieferant von Gutachten steht er mitunter vor dem Dilemma, ob er dabei erkennbare Wünsche des Auftraggebers über sein Ethos als Forscher stellt.

* Als geistnaher Dienstleister sitzt er - oft unbezahlt, aber mit wachsender Reputation - in diversen Kommissionen und Gremien, um seine Zunft zu vertreten, aber auch um seine Kenntnisse einzubringen.

* Als zeitdiagnostischer Intellektueller hat er schließlich Gelegenheit zu Auftritten in den Medien oder bei Tagungen. Wenn sich bei letzteren auch Politiker aufhalten und manchmal nicht gleich nach der Begrüßung weggehen, sondern - so Prisching humorvoll - noch "auf die Schnelle ein paar überzeugende Argumente aufschnappen, formt dies auch ihr Weltbild".

Im hochkarätigen Podiumsgespräch, das diesem Vortrag folgte, wurde als Ergänzung noch die Rolle des Wissenschafters als Lehrender eingefordert sowie - nicht einmal von einer Frau - jene der Wissenschafterin, die sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch unter den Vortragenden der Tagung keine Rolle spielte. Nur die Wiener Psychologin Christiane Spiel meldete sich wiederholt aus dem Publikum mit konstruktiven Beiträgen zu Wort.

Hans Tuppy nahm die Rolle der "scientific community" in einer "civil society" unter die Lupe. Für ihn fallen in diese "Gelehrtengemeinschaft" nur jene sowohl innerhalb und außerhalb von Universitäten agierenden Forscher, die ihre Ergebnisse mit anderen kommunizieren, nicht jedoch mit militärischer Forschung befasste Geheimnisträger.

Wie Politik sich der Wissenschaft, ihrer Beratung und ihrer Gutachten bedient, darüber plauderte schließlich der Demograph Rainer Münz, Inhaber des Lehrstuhls für Bevölkerungswissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, aufgrund vieler eigener Erfahrungen aus der Schule. Oft entscheide der Zufall, ob Politiker sich hervorragend oder kaum geeignete Wissenschafter als Berater aussuchen und wie sie deren Empfehlungen dann umsetzen. Des Dilemmas zwischen der Orientierung an der Wahrheit einerseits und der politischen Opportunität anderseits müsse sich der in politische Kontroversen eingreifende Wissenschafter bewusst sein und seine Rolle in diesem Spannungsfeld ständig kritisch reflektieren.

Dumme Politik

Münz hält die österreichische Einwanderungsdebatte für "relativ katastrophal" und wirft Österreich und Deutschland eine "dumme Migrationspolitik" vor. In den nächsten fünf bis zehn Jahren, so Münz, finde ein harter Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte statt. Länder, deren gesetzliche Bestimmungen und deren allgemeines Image eher ausländerfeindlich seien, würden in diesem Rennen zurückbleiben.

Den Abschluss des Wissenschaftstages bildete ein launiges Referat des Linzer Mathematikers Bruno Buchberger, der im Dreischritt seines Faches "Beobachten-Schließen-Anwenden" den Schlüssel zur sich immer rascher drehenden Fortschrittsspirale erblickt. Er hofft, dass sich die Menschheit von der unbewussten Naturgesellschaft der "Ötzi-Zeit" über die heutige Techno-Gesellschaft zu einer bewussten Naturgesellschaft entwickelt.

Wie jedes Jahr erfolgten die üblichen Geplänkel zwischen Vertretern der "exakten" Naturwissenschaften und der weniger ökonomisch gefragten, mehr unter Rechtfertigungsdruck stehenden Geisteswissenschaften. Doch gerade das Zusammentreffen völlig unterschiedlicher Disziplinen macht den besonderen Reiz des Österreichischen Wissenschaftstages aus, zumal die Debatten in den Pausen- und Speisesälen sehr engagiert, und häufig offener und weniger zurückhaltend als im offiziellen Plenum, fortgesetzt werden.

Das offizielle Programm ist notwendig, aber die wahre Tagung findet zwischendurch statt.

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