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Eine neue Art von Stammzellen - die iPS-Zellen - hält die Welt der Wissenschaft in Atem. Und in Österreich geht die Bioethikkommission das Thema neu an. Bislang existieren keine Therapien. Dennoch gelten Stammzellen als große medizinische Hoffnungsträger. Dabei waren embryonale Stammzellen von jeher ethisch umstritten. Der Grund: Zu ihrer Gewinnung müssen Embryonen sterben. Die Folge: In vielen Ländern blieb diese Art von Forschung verboten; in vielen Ländern ist sie aber auch erlaubt. Nur in Österreich gibt's einen Sonderstatus: Mit einer unklaren Nicht-Regelung. Seit Kurzem kennt die Forschung eine neue Form von ethisch unbedenklichen Stammzellen. Eine Lösung? Redaktion: Thomas Mündle

Im Jahre 1997 berichtete Ian Wilmuth über die Geburt von Dolly - und sorgte dadurch für weltweite Aufregung. Das erste Klonschaf provozierte wildeste Horrorfantasien: Was, wenn Forscher schon bald genetisch idente Kopien von Menschen schaffen konnten? Gleichzeitig verbanden sich mit der neuen Technologie große Hoffnungen: Die gezielte Züchtung von mit dem Immunsystem kompatiblen (Haut-, Leber-, Herz-, etc.) Zellen habe das Potenzial, die (Transplantations-) Medizin zu revolutionieren. Der allgemeine Hype verdeckte dabei die eigentliche wissenschaftliche Sensation:

Ein Schaf aus einer Euterzelle

Das Schaf war aus einer Euterzelle hervorgegangen. Wie konnte eine bereits ausdifferenzierte Zelle in ein embryonales Stadium zurückversetzt werden? Die Scientific Community wusste zwar, dass in ausdifferenzierten Zellen viel mehr Gene ausgeschaltet sind als in embryonalen Zellen. Im Dunkeln blieb aber, wie genau der Jungbrunnen-Effekt erzeugt werden konnte.

Jedenfalls mussten Gene wieder angeschalten werden. Und das tat ein Forschungsteam um Shinya Yamanaka 2006 - sie aktivierten gezielt vier Gene in Mausschwanz-Zellen. Das Resultat waren reprogrammierte Zellen, die ähnlich wie embryonale Zellen ausschauten und sich auch ähnlich verhielten. Die Forscher tauften diese Zellen deshalb induzierte pluripotente Stammzellen - kurz: iPS-Zellen.

Die Zell-Verjüngungskur

Im Juni 2007 wurde die Ebenbürtigkeit der iPS-Zellen von einem japanischen und zwei amerikanischen Forscher-Teams bestätigt: Ihnen war es unabhängig voneinander gelungen, aus iPS-Zellen verschiedenste Körperzellen zu entwickeln. Dann ging es Schlag auf Schlag: Bereits im November wurden mit der Methode erstmals erfolgreich menschliche Haut-Zellen in quasi-embryonale Zellen zurückverwandelt.

Das Rätsel um Dolly war gelöst - und einfacher als gedacht: Für eine Umprogrammierung von ausdifferenzierten Zellen in embryonale Zellen müssen lediglich vier Gene angeschalten werden.

Und noch im Dezember machte eine Studie deutlich, dass diese Erkenntnis mehr sein könnte als eine bloße Laborspielerei: Die Symptome von an Sichelzellanämie leidenden Mäusen besserten sich, nachdem sie mit iPS-Zellen behandelt wurden - was allerdings nicht heißt, dass bereits demnächst Therapien für den Menschen zu erwarten sind.

Ein Meilenstein

Trotzdem ist die Entdeckung der iPS-Zellen ein Meilenstein. Für das Fachmagazin Science (21.1.07) stellten die reprogrammierten iPS-Zellen einen der ganz großen Durchbrüche des vergangenen Jahres dar; laut Nature (10.1.08) beginnt mit 2008 "Ein neues Jahr und eine neue Ära" in der Stammzellforschung.

Auch in der Forschungslandschaft hat die Nachricht ein mittleres Beben ausgelöst - und kaum einen Stein auf dem andern gelassen. Ian Wilmuth etwa kündigte an, ab sofort nur noch mit iPS-Zellen zu forschen. Kalifornien, das ein Drei-Milliarden-Dollar-Programm zur Förderung der embryonalen Stammzellforschung aufgesetzt hat, will mit diesen Geldern nun die Forschung an iPS-Zellen fördern. Und das japanische Wissenschaftsministerium hat die finanzielle Unterstützung für ihren neuen Superstar Yamanaka kurzerhand um das Achtfache erhöht. Bis 2009 soll an der Kyoto Universität so ein neues Top-Forschungszentrum mit mehr als hundert Wissenschaftern entstehen.

Kein toter Embryo mehr?

Vor zwei Wochen folgte eine weitere Überraschung: US-Forscher ließen mit der Mitteilung aufhorchen, dass sie endlich einen Weg gefunden hätten, embryonale Stammzellen zu gewinnen ohne den Embryo zu töten (Cell Stem Cell, 10.1.2008). Sollte die neueste Technik tatsächlich praktikabel sein, so hätte die Wissenschaft ein gravierendes ethisches Problem auf technische Weise fein gelöst.

"Biologisch ganz toll, aber ethisch unklar", beurteilte jedoch der Wiener Humangenetiker Markus Hengstschläger in einem Statement für die Presse (12.1.08) den angeblichen Durchbruch kritisch. Wieso? Zum einen sei nicht bekannt, ob sich aus der entnommenen Zelle nicht ein Embryo entwickeln könne. Zum andern wisse niemand, ob der Embryo durch den Eingriff nicht doch beschädigt worden sei.

Skepsis bei den Experten

Ähnliche Vorbehalte kamen auch von anderen Experten. Nicht ganz überraschend: Denn die gleichen US-Forscher hatten bereits vor eineinhalb Jahren behauptet, ES-Zellen ohne die Zerstörung von Embryonen gewinnen zu können (Nature, 23.10.06).

Und so gibt das Thema Stammzellen vorerst weiters genügend Zündstoff. Das zeigte sich nicht zuletzt an der von der neuen Bioethikkommission und vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin organisierten Stammzelltagung, die letzte Woche in Wien stattfand: Die unerwartet hohe Teilnehmerzahl - mehr als hundert Interessenten hatten sich angemeldet - hatte zur Folge, dass der Tagungsort in den Justizpalast verlegt wurde.

Der Mitorganisator Ulrich Körtner meinte zu Beginn ein wenig schalkhaft, dass die Sicherheitsschleusen am Eingang die Brisanz des Themas gut unterstreichen. Und an Brisantem fehlte es tatsächlich nicht: Denn wohl nur wenige hätten zuvor gedacht, dass es auch in Österreich einen Forscher gibt, der mit menschlichen embryonalen Stammzellen arbeitet (siehe Interview S. 23).

Regeln für die Forschung

Defacto ist die Regelung für diese Art von Forschung in Österreich höchst unklar - und das muss sich ändern, da waren sich alle Anwesenden einig. Nur wie? Mit einem Embryonenforschungsgesetz oder einem Embryonenschutzgesetz? Da schieden sich wiederum die Geister (siehe auch S.22 oben).

Stammzellen 1

Stammzellen unterscheiden sich von andern Zellen durch zwei Eigenschaften:

Erstens können sie sich in andere Zelltypen ausdifferenzieren. Aus einer Blutstammzelle etwa können die verschiedenen Blutzellen - rote Blutkörperchen, weiße Blutkörperchen etc. - hervorgehen.

Zweitens besitzen Stammzellen die Fähigkeit, sich selbst zu erneuern. Das heißt: Durch eine assymetrische Teilung entsteht aus einer Stammzelle eine Tochterzelle mit Stammzell-Eigenschaften (zum Beispiel eine neue Blutstammzelle) und eine Tochterzelle, die stärker ausdifferenziert ist (und sich etwa zu einem roten Blutkörperchen weiterentwickelt).

Stammzellen lassen sich in drei Gruppen unterteilen: Embryonale Stammzellen, Adulte Stammzellen - und neu: induzierte pluripotente Stammzellen.

Stammzellen 2

Embryonale Stammzellen (kurz: ES-Zellen) konnten bis vor Kurzem nur durch Tötung von wenige Tage alten Embryonen gewonnen werden. ES-Zellen nennt man pluripotent, weil sie sich in die mehr als 220 Zelltypen des Körpers entwickeln können.

Adulte Stammzellen (kurz: AS-Zellen) haben je nach Quelle - Knochenmark, Nabelschnur, Milchzähne etc. - multipotente Eigenschaften. Das heißt, sie können sich nur in ganz bestimmte Zellen ausdifferenzieren. Eine Knochenmark-Stammzelle etwa kann nicht zu einer Leberzelle werden.

Die neuen induzierten pluripotenten Stammzellen (kurz: iPS-Zellen) werden im Labor aus AS-Zellen - zum Beispiel aus Hautstammellen - erschaffen. Man benötigt dafür keine Embryonen - und scheint alle Vorteile der ES-Zellen zu haben.

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