Der fremde Freund

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Die Furche-Herausgeber

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Amerika - welch unterschiedlichen Klang hat dieses Wort im Lauf meines Lebens bekommen! Da waren Zeiten der Nähe und Dankbarkeit, aber auch des Ärgers und Unverständnisses. Wie viel Kraft und guten Willen habe ich, unterwegs durch Amerika, gespürt und bewundert! Und wie oft hat mich der "große Bruder“ enttäuscht und erbittert: durch falsches Pathos, den Verrat an eigenen Idealen und eine von Lobbys und Einzelinteressen gesteuerte Politik!

Vieles davon gilt bis heute. Und doch spüre ich gerade in diesen Wochen gegenüber Amerika noch etwas beunruhigend anderes: Desinteresse. Habe ich je einen US-Wahlkampf mit so wenig innerem Feuer verfolgt? Romney, Santorum, Gingrich: Ist da irgendeiner, der mein Herz erwärmt; der Führungskraft ausstrahlt? Und der ergraute Weltenretter Obama: Weiß ich noch, wofür er den Friedensnobelpreis erhalten hat?

Ratlosigkeit im US-Volk

So viele unbekannte Figuren, eine so undurchschaubare Wahlmechanik, so viel Ratlosigkeit im US-Volk. Ich denke mir: Amerika, noch immer Weltmacht Nr. 1 und Traumland der Moderne - und lauter Steuermänner ohne Charisma und erkennbaren Kompass. Gut möglich, dass am 6. November andere, äußere Kräfte - Iran und Israel vor allem - über den nächsten US-Präsidenten entscheiden.

Ich erinnere mich an eine Veranstaltungsreihe nach 9/11: In großen heimischen Kinos haben wir mit Tausenden österreichischen Jugendlichen über ihre Helden und ihre Feindbilder diskutiert: George W. Bush war ihr Buhmann. Größer als die Wut über ihn und seine Kriege war nur noch der Spott: Ein gefährlicher Clown als Präsident. Ich erinnere mich an die Amtseinführung von Barack Obama: Welch unvergessliche Stunden patriotischer, fast religiöser Selbstdarstellung: Der "amerikanische Traum“ schien Wirklichkeit geworden zu sein.

Und heute? Es ist schon wahr: Wir Europäer wollen von den USA das Unmögliche. Wir hoffen auf Amerikas Stärke und hassen sie zugleich. Wir suchen Geschwisterlichkeit und wollen doch ganz anders sein. Es ist ein Wechselbad alter Sehnsüchte und neuer Schadenfreude - übrigens beiderseits des großen Wassers.

Geld, Gewehr und Gebet

Die Entwicklung ist bekannt: Der Kommunismus als Zement atlantischer Gemeinsamkeit hat abgedankt. Amerikas Imperialismus zeigt schon zu lange seine dunklen Seiten: von Vietnam über Watergate bis Abu Ghraib und Guantánamo. EU-Europa entdeckt seine Eigeninteressen. Und die globalisierten Kapitalmärkte verwandeln Partnerschaft in Rivalität. Für US-Medien ist Europa heute ein einziges Griechenland mit sozialer Hängematte. Und uns Europäern erscheint Amerika als Olymp einer hässlichen "Dreifaltigkeit“ von Geld, Gewehr und Gebet.

Wie soll das weitergehen, denke ich mir. Und finde durch Zufall einen meiner alten Zeitungskommentare aus dem Jahr 1982. Titel: "Der fremde Freund“. Amerika verstehe Europa nicht mehr - und Europa nicht Amerika, heißt es da. Der Mangel an Neugier sei eklatant. Geschrieben vor 30 Jahren! Das nimmt meiner Sorge manche Brisanz - und ist beruhigend und beunruhigend zugleich.

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