Der gar nicht kühle Nordländer

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Schon Ende der 1990er-Jahre ärgerte sich Mariss Jansons darüber, dass Kunst zum Entertainment verkommen ist. "Es ist quasi dasselbe, ob man in den Swimmingpool geht oder ein Konzert besucht, Tennis spielt oder in die Oper geht.“ Dabei bestehe doch ein großer Unterschied: "Oper und Konzert - das ist geistiges Leben. Es gehört aber nicht mehr zu unserem Leben. Für mich ist das ein schrecklicher Verlust.“

Viele würden es damit belassen und resignieren. Nicht so der immer nach höchster Qualität strebende Lette. Scheinbar aussichtslose Situationen haben ihn stets besonders herausgefordert. Denn seine Karriere, die ihn längst zu einem der weltweit meistbegehrten Dirigenten hat werden lassen, war ihm keineswegs in die Wiege gelegt.

Wegen der Kriegswirren musste ihn seine jüdische Mutter, eine Opernsängerin, deren Vater und Bruder umgebracht worden waren, in einem Versteck in Riga auf die Welt bringen. Er war vier, als sein Vater, Arvid Jansons, einen nationalen Dirigentenwettbewerb gewann und von Jewgeni Mrawinski, dem strengen Langzeit-Chef der Leningrader Philharmoniker, zum Assistenten bestellt wurde.

Erst Jahre später kam die Familie nach. Mariss musste, was ihm gar nicht leichtfiel, Russisch lernen, studierte am Leningrader Konservatorium Violine, Klavier und Dirigieren. Als 1968 die Berliner Philharmoniker hier gastierten, leitete Karajan einen Dirigentenworkshop, bei dem er das große Talent des jungen Jansons erkannte. Im Jahr darauf kam Mariss Jansons nach Wien, um sich an der Musikakademie bei Hans Swarowsky den letzten Schliff zu holen. Die Hoffnung, anschließend als Preisträger des Karajan-Wettbewerbs für ein Jahr Karajan zu assistieren, blieb unerfüllt, das erlaubten die sowjetischen Kulturverantwortlichen nicht.

Jansons kehrte in die Sowjetunion zurück, wurde, wie einst sein Vater, stellvertretender Dirigent der Leningrader Philharmoniker. 1979 ging er als Chefdirigent zum Oslo Philharmonic Orchestra. Er machte es binnen Kurzem zu einem der führenden europäischen Klangkörper und spielte mit ihm die Tschaikowsky-Symphonien exemplarisch ein. In Oslo, während einer konzertanten "La Bohème“, erlitt der begeisterte Workaholic einen Herzinfarkt.

Trotz aller Ratschläge hat ihn dies nicht zum Leisertreten verführt. Im Gegenteil: 1997 wurde Jansons Musikdirektor des von ihm wiederum zu höchster Qualität geführten Pittsburgh Symphony Orchestra. Seit 2003 und 2004 übt er diese Funktion beim Concertgebouw Orkest in Amsterdam und beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in München aus, stand zweimal, 2006 und 2012, am Pult des Neujahrskonzerts. Rar, das einzige Zugeständnis nach seinen Herzanfällen, macht er sich nur in der Oper. Lässt sich Jansons dazu verführen, werden es Glanzpunkte der Saison, wie zuletzt sein "Eugen Onegin“ in Amsterdam. 2014 soll er Tschaikowskys "Pique Dame“ bei den Salzburger Festspielen dirigieren.

Am 14. Jänner feierte der charismatische Maestro seinen 70. Geburtstag in St. Petersburg, ruhig, im kleinen Familienkreis, ganz wie es seiner bescheidenen Art entspricht. Das Preisgeld des ihm kürzlich für sein Lebenswerk verliehenen und mit 250.000 Euro dotierten Siemens-Musikpreises wird er für den neuen Konzertsaal in München spenden. Damit hätten seine exzellenten Rundfunksymphoniker endlich einen eigenen Saal.

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