Ihr Politiker von heute, die Ihr in Euren Reden neuerdings voll des Lobes über meine Person seid. Ihr, die Ihr Euch gerne in den von meiner Familie errichteten Gemächern einquartiert und Euch von Gott auserwählt glaubt. Vergesst nicht, dass Ihr vom Wähler abgewählt werden könnt und dass das gleiche, geheime und direkte Wahlrecht unter meiner Regentschaft eingeführt wurde, wenn auch zunächst nur für Männer. Ihr habt die Demokratie errungen und lasst Euer Volk ebenso wenig mitreden, wie ich das getan habe. Loyalität, Korrektheit und Bescheidenheit sind Tugenden, die Ihr meist gar nicht anstrebt. Ihr scheut Euch nicht, vor Euren Bürgern Korruptionsskandale öffentlich auszutragen und im Fall Eurer Verurteilung die Gerichte zu beeinflussen. Ihr plant ein Geschichtsmuseum, das mit der Revolution von 1848 beginnen soll, und schämt Euch nicht, immer wieder Zensur auszuüben. Euren Nachbarn gegenüber habt Ihr oft weniger Verständnis als einst die kleinsten Beamten in unseren Kronländern. Die wussten nicht nur mehr über die Kultur ihrer Nachbarn, die mussten sogar deren Sprache erlernen. Ihr seid abgehobener, als ich es je war. Ihr seid keine Weltbürger, da Ihr permanent Angst vor der Welt und ihren Bürgern habt. Ihr würdet am liebsten Grenzzäune um Eure winzigen Bundesländer bauen und Euch in Eure Bunker und Banken verkriechen. Die Pläne über den Umbau der Hofburg sind bis zu mir gedrungen. Ich hoffe nur, dass es sich bei dem beabsichtigen Ausbau der Kapuzinergruft um ein Gerücht handelt. Ich kann mir schon vorstellen, dass Ihr anklopfen und als allerhöchster Bundespräsident, Kanzler, Doktor, Professor mit Eurem Parteibuch in die Ewigkeit treten wollt. Gott wird Euch nicht kennen. Bei ihm zählen nur Menschen. Die Titeln hat er schon bei mir abgeschafft. Mit den besten Wünschen für die Zukunft, Franz Joseph, derzeit Kapuzinergruft
Der Autor ist Kulturmoderator beim Privatsender ATV
