Der Generationenkonflikt als Sprengstoff

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Die bisherigen Jugendproteste waren erst der Anfang. Die Enttäuschung der Jugend über die Zukunft wird zunehmen. Die Generationenkluft zeigt sich in Politik und Kommunikation.

Ein Blick auf die Alterspyramide der österreichischen Bevölkerung genügt, um die dramatischen Veränderungen der demografischen Struktur zu erkennen: Wir sind eine der alternde Gesellschaft. Vor rund zehn Jahren, also zur Jahrtausendwende, gab es mehr als doppelt so viele 30-Jährige wie 60-Jährige. In nicht allzu ferner Zukunft – nämlich 2020 – werden Letztgenannte die ersterwähnte Gruppe zahlenmäßig klar überholt haben. Ein unglaublicher Umbruch in Rekordzeit.

Es wird Realitätsverweigerung betrieben, obwohl jedem klar sein muss, welche Radikalreformen das für unser Pensionssystem bedingt. Wenn es einmal doppelt so viele Erwerbstätige im besten Alter wie Rentner gab – man darf getrost 60-plus-Generation und Menschen in Pension gleichsetzen – und sich das ins Gegenteil verkehrt, so sind massive Zweifel an der künftigen Funktionalität des Generationenvertrags angebracht.

Es geht nicht um eine versicherungsmathematische Frage. In Wahrheit tut sich eine gesellschaftliche Konfliktlinie auf, die gefährlicher ist als sämtliche Gegensätze zwischen In- und Ausländern bzw. anderen Gruppen.Das bisherige elterliche Versprechen, den Kindern solle es besser gehen, gilt nicht mehr. Es wird den Kindern schlechter gehen wird.

Die Proteste waren erst der Anfang

Es wird ihnen nicht richtig schlecht gehen. Österreich bleibt ein wohlhabender Staat. Bemitleidenswert ist die Jugend ärmerer EU-Länder und der Dritten Welt. Doch wird es heutigen Kindern in Zukunft nicht besser gehen, als es den Eltern in deren Jugendzeit ging. Dennoch haben wir das Versprechen der Großeltern nicht rechtzeitig zurückgenommen. Der brüchige Dialog mit der Nachfolgegeneration beruht auf unerfüllbaren Zukunftsversprechen.

Im Unterschied zu 1968er-, Friedens- und Umweltbewegung hat das weniger mit den Gefahren durch atomaren Overkill oder Klimawandel plus Ozonloch zu tun. Die Generationen leben vielmehr mit dem Lebensgefühl, sich unmittelbar wechselweise etwas wegzunehmen. Enttäuschungen darüber können in offenen Protest umschlagen. Schüler- und Studentendemonstrationen sind bloß die Spitze des Eisbergs, weil Pflichtschulabsolventen und Lehrlinge keine Lobby und kaum Medienzugang haben. Umso mehr werden sie sich Wege außerhalb der demokratischen Spielregeln suchen, um ihrem Ärger Luft zu verschaffen. Bis hin zur Gewalteskalation. Indirekt lässt sich das Protestpotenzial bereits anhand des Wahlverhaltens messen.

Die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre vermittelt ein irreführendes Bild. Österreichs Wähler werden immer älter, lediglich Wien und der großstädtische Bereich sind Ausnahmen. In Oberösterreich waren 1990 nur 25 Prozent der Wahlberechtigten über 60 Jahre alt. 2030 werden es 40 Prozent sein. Tendenz steigend. Südlich von Gmunden, Kirchdorf und Steyr beträgt das durchschnittliche Alter der Wähler schon jetzt mehr als 50 Jahre.

Partei der Alten ist die SPÖ

Das Wahlverhalten der jüngsten und der ältesten Generation könnte nicht unterschiedlicher sein. Dazu ein Beispiel aus der Nationalratswahl 2008: Die erstplatzierte SPÖ kratzte bei den über 60-Jährigen weiterhin an der 40-Prozent-Marke, und das trotz eines historischen Tiefstands von 30 Prozent im Gesamtergebnis. Arbeiter/innen über 45 Jahre wählten 2008 zu 55 Prozent SPÖ, jene unter 45 zu lediglich 30 Prozent. Der sozialdemokratische Generationenkonflikt betrifft also eine Kernklientel. Hätten nur junge Männer unter 30 Jahre gewählt, wäre die Faymann-Partei hinter dem dortigen Wahlsieger Strache-FPÖ gelandet. Bei den weiblichen Teens und Twens erzielte die SPÖ gar ein Katastrophenergebnis von unter 15 Prozent. Die ÖVP lag da deutlich besser, dafür jedoch bei den berufstätigen Frauen von 30 bis 59 Jahren mit unter 20 Prozent desaströs. Unter den männlichen Pensionisten war es nicht besser.

Die SPÖ war demnach 2008/09 geschlechts-unabhängig eine Partei der Alten. Wahlergebnisse der ÖVP wurden oft, so etwa in der Tiroler Landtagswahl 2008, nur von den älteren bis sehr alten Damen halbwegs erträglich gemacht. Die FPÖ punktete bei Jugendlichen mit formal niedrigem Bildungsgrad, während die Grünen überproportional Studierende und Frauen ansprachen. Dafür krebsen Glawischnig & Co. in der 60-plus-Gruppe unverändert unterhalb der Mindestprozentklausel herum. Moral von der Geschichte ist, dass wir eine politische Generationenkluft bis hin zu radikal abweichenden Parteipräferenzen haben. Dass das generell politischen und gesellschaftlichen Sprengstoff in sich birgt, ist offensichtlich.

Das Dilemma sind ein überzeugtes Benachteiligungsgefühl und Ungerechtigkeitsempfinden auf beiden Seiten. Ein Austausch über die selektive Wahrnehmung findet nicht statt. So nutzen 95 Prozent der unter 20-Jährigen das Internet. Nur jeder Fünfte liest Bücher. Trivial- und Schunddrucke eingerechnet. Bei den über 60-Jährigen geht man mit knapp über 20 Prozent von ähnlich vielen bzw. wenigen Intensivnutzern des Internets aus, dafür haben literarische Werke einen ungleich höheren Stellenwert. Wie sollen die Altersgruppen also konstruktiv kommunizieren? Selbst Geburtstagswünsche sind mit Barrieren verbunden: Ein 14-Jähriger erwartet dazu SMS, ein 40-Jähriger E-Mails, ein viermal 14, also 56 Jahre alter Österreicher rechnet mit einem Anruf vom Festnetz plus handschriftlichen Billets.

Schon für Kommunikation zu einem Geburtstag fehlen Verständnis und Kompromissbereitschaft, obgleich es keine unterschiedlichen Interessen gibt. In Verteilungsfragen der Gesellschaft sind hingegen die Interessengegensätze von Jüngeren und Älteren groß, und man findet nicht einmal einen gemeinsamen Kommunikationskanal.

Die Mediendemokratie tut ihren Teil, um den Generationendialog zu erschweren. Auch abgesehen von Internet und Büchern leben Jugendliche und ihre (Groß-)Eltern in einander fremden Teilöffentlichkeiten. Für ORF-Nachrichtensendungen ist man stolz, wenn das Durchschnittsalter der Zuseher 50 und nicht 60 Jahre ausmacht. Bei Privatsendern endet die relevante Zielgruppe bei 49 Jahren. Dasselbe gilt für praktisch alle Medien, weil etwa traditionelle Zeitungsabonnenten die Pension wenigstens in Sichtweite haben.

Tabus blockieren den Dialog

Eine Gemeinsamkeit haben junge und ältere Menschen in ihrer Unfähigkeit zum Dialog: Alle Beteiligten scheuen sich, über den Ausgangspunkt dieses Beitrags, den Befund einer alternden Gesellschaft, zu sprechen. Obwohl wir ausnahmslos sterben müssen und das wissen, zählen Tod und Alter zu den Tabuthemen. Darüber spricht man möglichst nicht. Schon gar nicht mit der Jugend.

Hinzu kommt, dass öffentliche und veröffentlichte Meinung nicht immer identisch sind. Es gibt Standpunkte, die in keinem Medium zu hören oder zu lesen sind. Bei widerlichen Rassismen und/oder Sexismen ist das gut so. Aussagen wie „Ausländer stinken!“ oder „Frauen gehören an den Herd, vorzugsweise nackt!“ werden (fast) nirgendwo publiziert. Heißt jedoch dieses Fehlen im Veröffentlichten, dass solche Unsinnigkeiten nicht an Stammtischen oder sonst wo vorkommen? Parallel dazu werden keine Fernsehanstalt, kein Radiosender und kein Printmedium in der veröffentlichten Meinung davon sprechen, dass die Jungen eingesperrt oder die Alten weg gehören. Mit all den grauslichen Hintergedanken, welche einem angesichts der Geschichte des Landes dazu einfallen.

Wir sollten uns keinesfalls sicher sein, dass in der öffentlichen Meinung eine Mehrheit oder mindestens relevante Minderheit nicht trotzdem genau das vertritt. Wer Gefühle der Hoffnungslosigkeit hat, neigt zu Radikalismen. Besonders im Generationenkonflikt.

* Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl-Franzens-Universität Graz sowie geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien

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