Der geniale Durchführer im Schatten Luthers

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Am 19. April jährte sich der Todestag Philipp Melanchthons zum 450. Mal. Der deutsche Gräzist und Theologe war der bedeutendste Wegbegleiter, Mitstreiter und Freund Martin Luthers.

Ein Zettel, zwei handschriftliche Notizen. Auf der linken Seite: „Du wirst von der Sünde erlöst sein, befreit von Sorgen und der Streitsucht der Theologen.“ Und rechts: „Du wirst zum Licht kommen, Gott schauen und seinen Sohn durch Anschauung erkennen. Du wirst die wunderbaren Geheimnisse verstehen, die Du in diesem Leben nicht begreifen konntest: Warum wir so geschaffen sind, wie wir sind, und worin die Vereinigung der beiden Naturen in Christus besteht.“ Mit diesen sehr persönlichen Glaubenssätzen hielt der deutsche Pädagoge und Reformator Philipp Melanchthon für sich am Papier fest, warum er den Tod nicht fürchten müsse. Ob er in seiner Todesstunde, am Abend des 19. Aprils 1560 noch einen letzten Blick auf den Zettel warf, ist nicht überliefert. Heuer jährt sich sein Todestag zum 450. Mal.

Aus Schwartzerdt wird Melanchthon

Philipp Schwartzerdt, so sein bürgerlicher Name vor der Antikisierung, wurde am 16. Februar 1497 in Bretten im heutigen Baden-Württemberg geboren. Obwohl die Kleinstadt nur 2000 Einwohner hatte, kam der Sprössling aus einer wohlhabenden Familie schon sehr früh mit Studenten in Kontakt, die regelmäßig die Hauptstraße Brettens durchreisten. Bereits dort, im Haus des Großvaters, erkannte der Hauslehrer der Familie, Johannes Unger, das unglaubliche Potenzial des jungen Philipp. Noch keine elf Jahre alt, beherrschte Melanchthon das Lateinische glänzend. Vergil, Horaz und Ovid standen auf dem Lehrplan des sprachlichen „Wunderkindes“.

Nachdem sein Großvater und Vater verstorben waren, begann für Melanchthon in Pforzheim der Ernst des Lebens. Hier vervollkomnete er nicht nur seine Lateinkenntnisse, sondern begann unter Johannes Reuchlin, der später sein großes Vorbild werden sollte, das Griechischstudium. „Reuchlin galt als Galionsfigur der von den Humanisten angestrebten Befähigung, sich durch die Kenntnisse der drei Sprachen der klassischen Vergangenheit – Latein, Griechisch und Hebräisch – die geistige Welt der Antike so umfassend wie eigenständig anzueignen“, schreibt Martin Greschat in seiner 2010 erschienen Melanchthon-Biografie. Er sollte im Leben Melanchthons eine führende Rolle spielen – nicht zuletzt verdankt er Reuchlin seinen griechischen Nachnamen, der sich von den griechischen Worten melanos für Schwarz und chthonos für Erde ableitet.

Vermutlich war es auch Reuchlin, der ihn im jungen Alter von zwölf Jahren mit sich an die Universität Heidelberg nahm, wo er nach knapp zwei Jahren, am 18. Juni 1511, den ersten Teil seines Grundstudiums absolvierte und zum Baccalareus artium wurde.

Bevor es Melanchthon an die neu gegründete Universität nach Wittenberg verschlug, brachte er noch ein paar Jahre in Tübingen zu, wo er nicht nur sein Magisterstudium absolvierte, sondern 1518 auch eine eigene griechische Grammatik herausbrachte. In dieser Zeit knüpfte Melanchthon erste Kontakte mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam und gewann Freunde, darunter Ambrosius Blarer und Johannes Oekolampad, mit denen er ein Leben lang verbunden blieb.

Am wirkungsgeschichtlich relevantesten ist seine Zeit in Wittenberg, wo er im August 1518, ein dreiviertel Jahr nachdem Luther seine 95 Thesen zur Diskussion stellte, den neu geschaffenen Lehrstuhl für die griechische Sprache besetzte. War man ganz zu Beginn dem Neuen gegenüber sehr skeptisch – Melanchthon war nur 1,50 Meter groß und lispelte stark – änderte sich dies nach nur drei Tagen. Mit seiner Antrittsvorlesung „Über die Studienreform“ am 28. August, der auch Martin Luther lauschte, rief er bei den Zuhörern Begeisterung hervor. Er beschrieb den Verfall der „wahren Philosophie“ und forderte ein Gesamtkonzept von Bildung, das Sprach-, Dialektik- und Rhetorikkenntnisse umfassen sollte – auch und besonders für Theologen.

Bereits kurze Zeit nach seiner Ankunft in Wittenberg kam er mit Martin Luther und der Reformation in Kontakt. 1519 begleitete er Luther zur Leipziger Disputation, einem Streitgespräch zwischen ihm und dem katholischen Theologen Johannes Eck. Im selben Jahr wurde Melanchthon mit Luthers Hilfe Baccalaureus biblicus und damit verpflichtet, biblische Bücher im Überblick zu behandeln. Die intensive Beschäftigung vor allem mit dem Römerbrief gelten als wichtige Vorarbeit zu Melanchthons epochaler Dogmatik, der „Loci communes“ (1521), in der er eine systematische Zusammenfassung der reformatorischen Verkündigung und Lehre auf biblischer Grundlage bot. „Wer heute Theologe werden will, hat zwei große Vorteile: Zum Ersten hat er die Bibel, die er nun ohne große Hindernisse lesen kann. Daneben hat er die Loci von Philippus. Wenn er die zwei hat, dann ist er ein Theologe, dem weder der Teufel noch ein Ketzer etwas abbrechen kann“, urteilt Martin Luther bei einem Tischgespräch. Doch auch das Augsburger Bekenntnis von 1530 beziehungsweise 1540, bis heute maßgeblich für Kirchen aus dem lutherischen Strang der Reformation, stammt aus der Feder des Gräzisten.

Gleichwohl sich Melanchthon und Luther sehr schätzten und sie gemeinsam viel bewegten, blieb das Verhältnis zwischen ihnen immer ambivalent. Auf der einen Seite Luther: aufbrausend, sprachgewaltig, ein Theologe mit Ecken und Kanten. Auf der anderen Seite Melanchthon: zierlich, kompromissbereit, sprachgewandt. Doch auch in theologischen Detailfragen waren sie nicht immer einer Meinung. Zwar lehnten beide das katholische Eucharistieverständnis ab, doch blieb Luther dabei, dass Christus im Abendmahl real präsent ist – eine Vorstellung, mit der Melanchthon nichts anzufangen wusste. In der teils heftigen Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther über den freien beziehungsweise unfreien Willen wollte sich Melanchthon weder auf die eine, noch auf die andere Seite schlagen.

Erste protestantische Dogmatik

„Melanchthon war ein genialer Durchführer im Schatten Luthers“, beschreibt Christian Danz, Professor für Systematische Theologie A.B. an der Evangelischen-Theologischen Fakultät der Universität Wien den Brettener Reformator. Als Organisator der Wissenschaften habe er Universitäten wie Schulen nach den lutherischen Erkenntnissen in den protestantischen Ländern Deutschlands neu organisiert und nachhaltig geprägt. Auch die Profanwissenschaften, zu denen er Lehrbücher verfasste, setzte er in Beziehung zur Theologie, die freilich als die Norm aller Wissenschaften verstanden wurde.

Mit seinen „Loci communes“ schuf er die erste protestantische Dogmatik, die grundlegend für weitere reformatorische Theologien wurde, erklärt Christian Danz. Melanchthon hat die Härten der Wittenberger Theologie abgemildert und war zeitlebens um Ausgleich bemüht. Sein Bemühen um Vermittlung zwischen den erbittert zerstrittenen theologischen Lagern brachte ihm viel Kritik ein.

So nachhaltig Melanchthon das protestantische Bildungssystem im 16. und 17. Jahrhundert geprägt hat, so grundlegend haben sich deren Voraussetzungen mit der Aufklärung verändert. „Mit der Humbold’tschen Universitätsreform wurden auch die Hochschulen in den protestantischen Gebieten komplett umstruktiert. Auch die gegenwärtige protestantische Theologie knüpft nicht mehr bei den ‚Loci‘ an, sondern an die nach der Aufklärung entstandenen theologischen Konzeptionen oder an Luther.“ Dass evangelische Theologiestudierende aber bis zum heutigen Tag Hebräisch, Griechisch und Latein zu lernen haben, verdanken sie dem „Lehrer Deutschlands“ (Praeceptor Germaniae), weiß Danz.

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