Der getreue Jose Blasio erzählt

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Die Erinnerungen des Privatsekretärs von Kaiser Maximilian sind eine Quelle, die hierzulande lang unbeachtet blieb.

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Die Erinnerungen des Privatsekretärs von Kaiser Maximilian sind eine Quelle, die hierzulande lang unbeachtet blieb.

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Als sich in den letzten Jahrzehnten die Ereignisse um das "Mexikanische Abenteuer" des Erzherzogs Ferdinand Max zu runden Jubiläen jährten, gaben sie trotz der blühenden Habsburgerwelle lediglich zu einigen Reportagen Anstoß. Erst seit Konrad Ratz die Prozessakten von Queretaro deutsch publizierte, fand Mexikos Maximilian-Renaissance eine deutschsprachige Entsprechung. Die bisherige Forschung zum Versuch des jüngeren Bruders Kaisers Franz Josephs, in Übersee ein Kaiserreich nach europäischem Zuschnitt zu errichten, konzentrierte sich auf den politischen und militärischen Bereich. Das Menschliche blieb im Hintergrund, die privaten Vorkommnisse im Kaiserhaus, beschränkt auf hochgespielte Indiskretionen, gaben eher zu Gerüchten, Spekulationen und Kolportageromanen Anlass.

Der einstige Privatsekretär des Kaisers, Jose Luis Blasio, hat seine Erinnerungen schon 1905, vier Jahrzehnte nach dem Geschehen, veröffentlicht, zunächst in einem französischen Verlag. In Mexiko kamen sie bald in Umlauf. Im deutschen Sprachraum wurden sie bisher kaum zur Kenntnis genommen. Der 22-jährige Blasio erlebt den Jubel der Menschen mit, als Maximilian und Charlotte am 11. Juni 1864 in die Hauptstadt einziehen. Als Sohn eines konservativen Palastbeamten steht er dem neuen Herrscher positiv gegenüber. Diese Meinung wird verstärkt, als der Kaiser Blasios jüngeren Bruder freigibt, der als 15-jähriger Angehöriger einer Juarez-Truppe in die Hände der Franzosen gefallen war. "Seine Rettung war die erste Dankesschuld meiner Familie gegenüber jenem großzügigen und großmütigen Mann, der drei Jahre später auf so tragische Weise sterben sollte," schreibt er eingangs.

Der Kabinettschef des Kaisers, Felix Eloin, der kein Wort Spanisch spricht, sucht einen Dolmetscher. Blasio spricht tadellos Französisch, bekommt den Posten und rückt bald zum Privatsekretär des Kaisers auf. Von da an erlebt er das Schicksal Maximilians bis zum bitteren Ende hautnah mit. Der junge Mann ist seinem Chef in großer Zuneigung ergeben, er bewundert seine Haltung, seine Liebenswürdigkeit, auch im Umgang mit Untergebenen. Er ist vom Glanz des Hofzeremoniells beeindruckt - aber er sieht auch die Schwächen des Herrschers, seine Beeinflussbarkeit, seine Wankelmütigkeit, seine schlechte Menschenkenntnis.

Die Kinderlosigkeit des kaiserlichen Ehepaares, auch die getrennten Schlafzimmer, gaben Anlass für Vermutungen. Diese wurden wohl auch durch die Neigung des Kaisers genährt, sich in Herrengesellschaft über die amourösen Abenteuer seiner Offiziere und Minister zu amüsieren. Blasio scheint dazu manches beigesteuert zu haben. Die trotz aller Belastungen ungetrübte eheliche Beziehung zwischen Maximilian und Charlotte wird durch den nun von Ratz veröffentlichten Briefwechsel bestätigt. Dieser war Blasio natürlich unbekannt. Blasios Karriere nimmt eine völlig neue Wendung, als Maximilian ihn als Sonderkurier nach Europa schickt. Er soll wichtige Dokumente der Kaiserin nachbringen, die unterwegs ist, um Napoleon III. und Papst Pius IX. um Hilfe zu bitten. In Triest trifft er mit ihr zusammen, er soll ihre Reise nach Rom als Vorauskommando begleiten. Schon hier stellt er die "Launen" fest, "die Charlottes verwirrter, dem Untergang geweihter Geist tagtäglich gebar".

Charlotte will nicht den bequemeren Seeweg nach Ancona nehmen, um nicht durch Quarantänemaßnahmen aufgehalten zu werden. Aber in Oberitalien herrscht im September 1866 noch Kriegszustand, und so soll der Weg über Kärnten und Tirol führen. Hier scheinen Blasio seine Erinnerung und vielleicht auch seine geographischen Kenntnisse im Stich gelassen zu haben: Der Weg geht mit der Bahn von Triest nach Villach, "von wo wir die Fahrt nach Marburg fortsetzten". Marburg liegt aber weit im Osten von Villach. Dann geht die Reise per Postkutsche weiter - über Spittal und Lienz nach Bruneck. "Immer der Drau entlang, deren Quellen wir noch als kleines Bächlein gesehen hatten und die sich nun in einen majestätischen Strom ... verwandelte". Nun entspringt aber die Drau bei Toblach/Innichen und fließt der Donau entgegen - in umgekehrter Richtung.

Charlottes Verfolgungswahn, ihre Zusammenbrüche in Rom lassen das Scheitern ihrer Mission erkennen. Blasio kehrt nach Mexiko zurück, obwohl ihm der Kaiser einen Urlaub gewährt hat. Er begleitet ihn bis nach Queretaro, schon im Wissen, dass das Ende des Kaiserreichs bevorsteht. Am 16. Juni 1867 nimmt er von Maximilian Abschied, am 19. wird dieser erschossen. Blasio erfährt es erst, als schon alles vorbei ist. Nach kurzer Gefangenschaft begibt er sich wieder nach Europa und besucht Kaiser Franz Joseph und Erzherzogin Sophie, die Mutter Maximilians, um ihnen zu berichten. Ein Besuch bei Charlotte ist nicht möglich. Sie wird noch sechs Jahrzehnte in geistiger Umnachtung im Schloß Laeken zubringen.

Blasio schildert mit guter Beobachtungsgabe in der breiten, mit vielen Details angereicherten Sprache seiner Zeit. Die flüssige Übersetzung bietet auch dem heutigen Leser eine angenehme Lektüre. Ihn treibt nicht "der Ehrgeiz eines Geschichtsschreibers oder Dichters", er will dem Leser "ein Gefühl der Sympathie für einen Mann vermitteln, der als Herrscher große Fehler begangen haben mag, doch als Mensch das edelste, treueste und großmütigste Herz besaß".

Kampf um Mexiko. Kaiser Maximilian in den Erinnerungen seines Privatsekretärs. Von Konrad Ratz (Hg.) Aus dem Spanischen von Wolfgang Ratz. Amalthea Verlag, Wien 1999. 368 Seiten, geb., öS 350,-/e 25,44

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