Der globale Fleischexzess
Ernährungsempfehlungen adressieren heute nicht nur die Gesundheit, sondern auch den Klimaschutz. Immer mehr Wissenschaftler fordern eine Schubumkehr beim Fleischkonsum.
Ernährungsempfehlungen adressieren heute nicht nur die Gesundheit, sondern auch den Klimaschutz. Immer mehr Wissenschaftler fordern eine Schubumkehr beim Fleischkonsum.
Heute mahnen viele Wissenschaftler eine Schubumkehr ein: Der Fleischkonsum müsse wieder zum Festmahl, zum nichtalltäglichen Genussereignis aufgewertet werden. Und das hat triftige Gründe: Zuviel Fleisch schadet nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Umwelt. "Falsche Ernährungsgewohnheiten befeuern Naturzerstörung, Klimakrise und Artensterben", heißt es von Seiten des WWF Österreich. Gemeinsam mit der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) hat die Naturschutzorganisation vor kurzem einen Fleischratgeber erarbeitet: Als Orientierungshilfe für den nachhaltigen Fleischeinkauf soll er jene Menschen ansprechen, die sich umweltbewusster ernähren möchten, ohne dabei ganz auf Fleisch zu verzichten. Die Produkte werden anhand eines Ampelsystems hinsichtlich ihrer Umweltfolgen bewertet: Dazu zählen die Auswirkungen auf Klima und Biodiversität, den Antibiotika-Einsatz sowie die Überdüngung von Böden und Gewässern. Aber auch das Tierwohl ist ein eigenes Kriterium.
Ausdrücklich empfohlen wird vom WWF-Fleischratgeber nur Biofleisch, am besten aus der Region. "Ein Blick auf das Etikett lohnt sich: Fleisch aus biologischer Landwirtschaft weist deutliche Vorteile gegenüber konventionellem Fleisch auf", sagt Mitautor Thomas Lindenthal, der an der BOKU und am Forschungsinstitut für biologischen Landbau tätig ist. Doch beim Blick auf das Etikett gibt es noch Nachholbedarf: Denn die Konsumenten wissen beim Fleisch nicht immer, was auf ihren Teller kommt. Das gilt für den Einkauf der Tiefkühl-Lasagne im Supermarkt ebenso wie beim Essen im Restaurant: Weder bei verarbeiteten Fleischprodukten im Handel noch bei der Außer-Haus-Verpflegung muss derzeit angegeben werden, woher das Fleisch stammt. Eine Kennzeichnung von Herkunft, Haltung, Futtermittel und Tierwohl sollte verpflichtend sein, fordert der WWF Österreich. Das würde importiertes Billigfleisch zurückdrängen und zugleich den heimischen Landwirten beim Absatz ihrer Produkte helfen. Wie heikel Qualitätsfragen bei Fleischprodukten sind, zeigte jüngst ein Gammelfleisch-Skandal in Polen: Auf einem Schlachthof in der Woiwodschaft Masowien sollen kranke Tiere nachts heimlich geschlachtet worden sein. Laut polnischen Behörden kamen circa 9,5 Tonnen Rindfleisch in Umlauf. Nach Angaben der EU-Kommission sind mindestens 15 Staaten betroffen.
Fleischtiger in Schwellenländern
Auch der Verein Nachhaltige Tierhaltung Österreich fordert die Kennzeichnung der Herkunft von Fleischwaren, kritisiert aber das Bewertungssystem des WWF. Die Kriterien im Fleischratgeber werfen mehrere Fragen auf, heißt es in einer Aussendung des Vereins: So sei nicht bekannt, aus welchen Quellen die Treibhausgas-Emissionswerte für die Produkte stammen und wo die Systemgrenzen bei den Analysen gesetzt wurden. Lebensmittelforscher Konrad Domig von der BOKU teilt diese Kritik: "Bei solchen Systembeurteilungen wäre es wichtig, offenzulegen, auf welcher Grundlage man die Grenzen setzt", sagt er im Gespräch mit der FURCHE.
Hierzulande gibt es großes Potenzial für nachhaltige Ernährung, weil die Österreicher rund drei Mal mehr Fleisch essen als vom Gesundheitsministerium empfohlen wird, betont der WWF Austria. Der Konsum von Fleisch-und Wurstwaren ist in Österreich zwar rückläufig, das Land liegt aber noch immer im europäischen Spitzenfeld. 2017 wurden jährlich rund 63 Kilogramm pro Person verzehrt, zehn Jahre zuvor waren es noch knapp 67 Kilogramm pro Person. Global gesehen gibt es aber eine regelrechte Explosion des Fleischkonsums: Große Sorge bereitet den Experten die steil steigende Nachfrage in den Schwellenländern, vor allem in China und Indien, den bevölkerungsreichsten Staaten der Welt. "Die große Tradition einer gesunden, vorwiegend vegetarischen Ernährung wird in diesen Ländern gerade über Bord geworfen. Aber wenn dort jeder auf eine westliche Ernährungsweise umsteigt, wird sich das nicht ausgehen", bemerkt Domig.
Die weltweit zunehmende Fleischproduktion führt zu einem Ressourcenproblem bezüglich Futtermittel, Wasser und Energie. Und mit dem Fleischanteil der Nahrung steigt der Nutzflächenbedarf: So kommt etwa eine traditionelle Kleinbauernwirtschaft in Thailand bei traditioneller Thai-Kost auf 680 Quadratmeter pro Person. Beim Übergang zu "fleischstarken" amerikanischen Essgewohnheiten steigt der Flächenbedarf auf 2300 Quadratmeter - um fast das Vierfache. Zugleich schnellt auch das Risiko für Gicht, Übergewicht, Gehirnerkrankungen und wahrscheinlich auch Dickdarmkrebs in die Höhe.
Die heutigen Ernährungsgewohnheiten seien eine Bedrohung für Mensch und Erde gleichermaßen, folgerten internationale Experten kürzlich im medizinischen Fachjournal The Lancet: Um Millionen Todesfälle und "katastrophale Schäden" für die Erde zu vermeiden, müssten Essgewohnheiten und Nahrungsmittelproduktion im globalen Maßstab geändert werden: Im Januar hat die EAT-Lancet-Kommission mit ihrem Konzept einer "Planetary Health Diet" erstmals Ernährungsrichtlinien veröffentlicht, die vorzeitigen Todesfällen und dem Klimawandel entgegenwirken sollen. Demnach müsste der Fleisch-und Zuckerkonsum weltweit um etwa die Hälfte reduziert werden.
Tofu &Co.: Pflanzliche Alternativen
Was ist zu tun? Es bräuchte unter anderem eine Diskussion über preisgesteuerte Maßnahmen und einen Verzicht auf Werbemaßnahmen für erhöhten Fleischkonsum, forderte kürzlich das Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin (ÖAIE). Zudem müsse die Landwirtschaft ihre Fleischproduktion zugunsten vermehrten Gemüseanbaus zurückschrauben. Der WWF-Fleischratgeber zeigt, dass pflanzliche Alternativen wie Seitan, Hülsenfrüchte oder Sojaprodukte fast immer eine viel bessere Umwelt-und Klimabilanz als Fleisch haben. Konrad Domig hat im europäischen "LikeMeat"-Projekt einen Fleischersatz mit authentischem "Mundgefühl" mitentwickelt. Um nachhaltige Veränderungen anzustoßen, sei die potenzielle Konsumenten-Zielgruppe der Vegetarier zu klein, meint der Wiener Forscher: "Die spannendste Zielgruppe sind heute die Flexitarier. Sie reduzieren ihren Fleischkonsum und sind offen für Neues."
Auch an der künstlichen Herstellung von Fleisch wird weltweit getüftelt. Die Entwicklung von Fleisch im Labor sei wissenschaftlich faszinierend, für Domig aber sind pflanzliche Alternativen derzeit vielversprechender -zumal die Stammzellen für das Laborfleisch von Tieren gewonnen werden müssen: "Da wird es noch große Fortschritte brauchen."
Der WWF-Fleischratgeber ist online unter: www.fleisch-ist-uns-nicht-wurscht.at
Für den sprachwütigen Philosophen Friedrich Nietzsche war klar: Der Mensch ist ein Raubtier. Heutige Biologen drücken sich anders aus, bestätigen aber die zugrunde liegende Diagnose: Der Mensch hat schon immer andere Lebewesen getötet, um Fleisch zu essen; er ist nun einmal ein "teil-fleischfressender Allesfresser" (Bernd Lötsch). Doch unsere Vorfahren mussten sich diese Mahlzeit hart verdienen. Die urzeitlichen Jäger benötigten Kraft und Kondition, um das Wild zur Strecke zu bringen. Wenn sie fette Beute machten, sorgten die Botenstoffe in ihrem Gehirn für prickelnde Belohnung: Die Vorfreude auf ein großes Festmahl durchflutete ihren Körper. Die innige Verbindung von Fleisch und Fest blieb über Jahrtausende weitgehend aufrecht. Erst die moderne Konsumgesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zerschlug diesen Zusammenhang: Fleisch wurde zum "Fast Food" und zum Alltagskonsum. Angesichts des immer billigeren Rundum-Angebots verloren das Sonntagshuhn und der Festtagsbraten ihren besonderen Reiz.
Umfassende Kennzeichnung gefordert