"Der Held ist der Hörer"

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Der diesjährige "steirische herbst" widmet sich dem Thema Stadt. Fulminantes Glanzstück war Peter Ablingers Auftragswerk "OPERA/WERKE". Drei Wochen lang spielte sich - an Schauplätzen und in Hörräumen über Graz verteilt - eine akustische Bestandaufnahme der Stadt ab.

Die Furche: Herr Ablinger, Ihr groß angelegtes Auftragswerk "OPERA/WERKE. Stadtoper Graz" bezeichnet nicht nur ein Thema, sondern bereits auch die Aufführungsorte: Oper und Stadt.

Peter Ablinger: Die Grundidee war so etwas wie eine Hörspielfassung der Stadt Graz zu erarbeiten, wobei es mir bei dem ganzen Projekt vor allem um ein Umdenken ging. Einmal was die Oper als Gesamtkunstwerk angeht und das andere Mal, was die Hörfähigkeit des Publikums selbst betrifft.

Die Furche: Ihre Stadtoper setzte sich aus sieben unterschiedlichen Akten zusammen. Beziehen sich die einzelnen Elemente aufeinander?

Ablinger: Betrachtet man die Oper historisch, so sind im frühen 17. Jahrhundert, als diese Kunstform entstand, plötzlich ein paar Dinge zusammengekommen, die zuvor getrennt waren: Text, Musik, Kostüm und Bühnenbild. Für damals, so glaube ich, war das ein Schock. Nachdem die Oper dann einmal ihre spezifische Art des Zusammenwirkens der Künste gefunden hat, wurde sie eigentlich nicht mehr angetastet, selbst in den zeitgenössischen Werken nicht. Nun habe ich versucht, diese Kunstform "auseinander zu nehmen": In Gesang, Orchester, Libretto, Handlung, Kulisse, Bestuhlung und Publikum - aufgedröselt auf verschiedene Orte und sogar Zeiten. Miteinander sind sie damit nur mehr lose verbunden.

Die Furche: Nach der Beschäftigung mit Ihren Opera fällt mir ein, Sie mehrmals mit Rucksack und Mikrophon durch die Stadt radelnd oder gehend gesehen zu haben: Diese Art Ihrer Stadtpräsenz war wohl schon Teil Ihrer Arbeit?

Ablinger: Ja, durchaus. Für den 1. Akt ("Der Gesang") habe ich etwa 400 verschiedene Aufnahmen von der Stadt verarbeitet. Man könnte dieses akustische Unternehmen mit der Fotografie vergleichen, man müsste es eben nur als Phonographie bezeichnen. Von einem vergleichbaren oder annähernd vergleichbaren Umgang mit der Phonographie sind wir aber weit entfernt. Niemand würde sich ein Rauschen oder einfach eine cd, sagen wir einmal, von der Triesterstraße (Anm. d. Red.: Grazer Hauptverkehrsstraße Richtung Süden) anhören.

Die Furche: Das ist sozusagen die eine hörbare Facette Ihrer Stadtoper Graz; die andere befindet sich dort, wo Sie ein eindeutiges künstlerisches Verfahren angewendet haben.

Ablinger: Es war einer meiner konzeptionellen Erstgedanken, auch ein Orchester oder eine gesamte Orchestersituation zu gebrauchen, um den Phonographien, den Stadtgeräuschen ein möglichst großes Podium zu geben. Das Orchester hatte dabei die Funktion, in einer Art Handcolorierung die Stadtgeräusche zu verdeutlichen.

Ein direktes Übermalen gab es dabei auch. Dies war gleich zu Beginn des 2. Aktes ("Das Orchester") in der Helmut-List-Halle, und das war wahrscheinlich ein bisschen schwer zu ertragen. Vier Minuten spielten 60 Instrumentalisten, und man hört nichts, nur weißes Rauschen. Erst allmählich schälten sich aus dem Rauschen die Stadtgeräusche heraus.

Die Furche: Weißes Rauschen ist ein musikalischer terminus technicus. Was ist darunter zu verstehen?

Ablinger: Es heißt, dass jede Frequenz gleich stark enthalten ist. In der Natur kommt das annähernd bei einem Wasserfall vor, bei einem sehr großen Wasserfall. Ansonsten bei allen Dingen, wo Elektronik im Spiel ist. Ich meine natürlich jetzt nicht technische Geräte, die Klang erzeugen, sondern bei allen Dingen, wo Elektrostatik im Spiel ist.

Die Furche: Im 4. Akt ("Die Handlung") wurde man zehn Minuten lang zu sechst auf der Bühne der Grazer Oper einer "Poetik des weißen Rauschens" ausgesetzt. Was war hier die Handlung?

Ablinger: Ich konnte diesen Akt selbst nicht einordnen. Es passierte ja doch ein Bühnengeschehen, quasi ein inszeniertes Nichts. Das ist vielleicht wie eine suprematistische Geschichte in Weiß. Im gesamten Kontext hat natürlich diese kleine Inszenierung des Nichts im Opernhaus Graz etwas ganz fantastisch Feierliches. Aber auch bei diesem Akt sind die Geräusche der Umgebung der Hauptgegenstand des Geschehens und das weiße Rauschen die Summe aller Klänge.

Die Furche: Ich meine damit in Ihrer Arbeit auch deutlich religiöse Momente entdecken zu können. Sie sind zudem zumeist in Weiß gekleidet ...

Ablinger: Getönt, abgetönt Weiß ... Aber ich schlage Ihnen einen anderen Begriff aus diesem Umfeld vor, und das ist Mystik. Die Mystiker des 12. Jahrhunderts waren die eigentlichen Realisten. Das ist meine Sichtweise der Dinge. Es sind die Mystiker die sagen: "Vergiss alles, sei einfach!" Das ist das Intensivste und Innigste, was uns überhaupt zusteht.

Die Furche: Sie tendierten in jungen Jahren auch in Richtung Graphik. Ihre Arbeit als Komponist zeigt ganz unterschiedliche Arbeitsweisen, die auch ins Konzeptionelle gehen. Manchmal fühlt man sich sogar einem zeitgenössischen Skulpturbegriff nahe. Verlassen Sie da nicht Ihr Terrain?

Ablinger: Es sieht so aus, aber ich tue es nicht. Ich nenne mich immer noch Komponist, auch wenn ich mitunter mehr installationsartig und konzeptkunstartig arbeite. Im Fall der Stadtoper Graz etwa im 5. Akt ("Die Kulisse") (Anm.: sechs begehbare bühnenbildhafte Korridore auf unterschiedlichen Plätzen der Stadt), die man nur sah, wenn man wollte. Traditionell betrachtet ist es eine Skulptur. Aber für mich ist es trotzdem ein Hörspiel. So auch im 6. Akt der Stadtoper ("Die Bestuhlung"), für den ich 36 weiße Klappstühle über die Stadt verteilt aufstellte. Den Rest überließ ich dem Hörer und der Hörerin. Es war aber auch in diesem Fall nicht die Skulptur Stuhl, um die es mir ging, es war der Mensch, der sich hinsetzte und hörte. Und das ist das eigentliche Werk: der Hörvorgang des einzelnen Hörers.

Die Furche: Über Ihre Arbeit sagen Sie selbst, dass Ihr Material nicht der Klang, sondern Ihr Material die Hörbarkeit ist. Findet diese nicht mitunter schwer ihre Hörer, oder umgekehrt gefragt: Gibt es Gegner dieser Hörbarkeit oder betrachten Sie diese als solche?

Ablinger: Wer sind die Gegner? Das ist die Frage. Das wäre natürlich der normale Kulturbetrieb oder der Orchestergeher, im Gegensatz zum Liebhaber der Stadtgeräusche.

Ich will jedoch nicht absichtlich jemandem etwas zumuten. Ich will aber auch nicht absichtlich jemandem etwas leicht machen. Denn wenn es gut gelingt, dann entsteht eine leicht künstlich forcierte Illusion. Und das ist auch schön.

Das Gespräch führte Barbara Rauchenberger

Komponist der Orte, Hörer der Wirklichkeit

Vor zwanzig Jahren war es das erste Mal, behauptet Peter Ablinger, dass er außerhalb eines ästhetischen Zusammenhangs, etwa eines Konzerts, wirklich hörte. Damals war Hochsommer und er spazierte in der Nähe von Haydns Geburtsort über die Felder. Ein heißer Ostwind strich durchs Getreide und brachte es zum Rauschen. Und das Merkwürdige war: Das Rauschen des Weizens unterschied sich hörbar vom Rauschen des Roggens. Seit damals haben alle seine Stücke mit dieser Erfahrung zu tun, auch solche, die nicht dem Rauschen gewidmet sind. Geboren 1959 im oberösterreichischen Schwanenstadt unterbrach er mit 15 Jahren das Gymnasium und absolvierte ein Grafikstudium an der HTL Linz. Damals spielte er Jazz und malte Bilder. Als er merkte, dass er alles, was er bisher gelernt hatte, auf die Musik übertragen hatte, entschied er sich für ein Studium der Komposition. Er studierte bei Gösta Neuwirth und Roman Haubenstock-Ramati in Graz und Wien. Seit 1982 lebt Peter Ablinger in Berlin, wo er 1988 das Ensemble Zwischentöne gründete. Er initiierte und leitete eine Reihe von Festivals und Konzertreihen.

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