Der Himmel eines Erdarbeiters

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Messkleider in moderner Malerei: Eine künstlerische Transferleistung von Bernhard Münzenmayer.

Zwischen 1239 und 1269 machte sich die damalige Äbtissin vom Benediktinerinnenkloster in Göss mit einigen Mitschwestern daran, eine gesamte Gewandgarnitur für den liturgischen Gebrauch in feiner Sticktechnik zu gestalten. Was man seit 1908 im Museum für Angewandte Kunst als Ensemble mit der Bezeichnung "Gösser Ornat" bewundern kann, ist ein phantastischer Einblick in mittelalterliche Textilkunst anhand von Kasel und Pluviale für den Priester, Dalmatik und Tunika für Diakon und Subdiakon sowie dem Antependium, dem Tischgewand für die Altarmensa.

An den zerschlissenen Stellen kann man gut erkennen, dass die Vorzeichnung für die Stickereien mit Tusche auf das Leinen aufgetragen wurde - allerdings nur für jene Bereiche, die szenische Darstellungen, wie etwa Maria stillt das Christuskind, zeigen. Die großen restlichen Flächen, die mit Ornamenten versehen wurden, entstanden offensichtlich ohne eine detaillierte Planung, sodass man staunend vor einer für die damalige Zeit äußerst unorthodoxen Verteilung steht.

Irgendwann - so lässt sich vermuten - stand Bernhard Münzenmayer vor dem Gösser Ornat und trat in einen intensiven Dialog mit dieser mittelalterlichen Gestaltung von Gewandstücken. In den Jahren 2000 bis 2005 erarbeitete er in zumeist großformatigen Zeichnungen und Gemälden eine vielschichtig transferierte Version des Gösser Ornats. Er unterzieht seinen Gesprächspartner einer malerischen Analyse, er teilt die einzelnen Farbschichten der bunten Fäden auf getrennte Einzelarbeiten auf und schält so das Strukturprinzip heraus. Einzelne Figuren treten hervor, wesentlich intensiver aber erschließt sich in diesem dekonstruierenden Verfahren die Vielgestaltigkeit der Ornamente. Diesen gehört auch Münzenmayers größere Aufmerksamkeit, liegen sie doch in ihrer Abstraktheit und geometrischen Konstruktion den anderen Arbeiten des zeitgenössischen Malers viel näher als die dramatischen Szenen oder die Tierdarstellungen.

Bevor die Ornamentik zur bloßen Dekoration verfiel, die in einem maschinellen Prozess plakativ vervielfältigt wurde, stellte sie bereits sehr früh einen geistigen Höhepunkt in der Geschichte der Menschheit dar. Schließlich bedeutet die Ausführung derartig massiver Reduzierungen und die Fortführung der dabei entstandenen Grundformen in einem System, das sich nicht mehr an irgendetwas Augenscheinliches anlehnen konnte, eine intellektuelle Spitzenleistung. Kein Wunder also, wenn sich jemand in dieser Tradition wohl fühlt und seinen eigenen Beitrag dazu erarbeitet.

Der Maler Bernhard Münzenmayer ist gleichzeitig auch ein Erdarbeiter. Er verwendet als Pigment einfach Erde, die mit Hilfe der Eitemperatechnik an der Leinwand kleben bleibt. Es ist aber nicht irgendeine Erde, sondern Münzenmayer bleibt immer der jeweiligen Örtlichkeit treu, mit denen seine Projekte zu tun haben. Daher stammt die Erde, die er für seine Transformationen des Gösser Ornats verwendet hat, auch aus der Umgebung dieses obersteirischen Klosters. Die Arbeit erfährt so eine Erdung der direkten Art.

Neben diesem geografischen Aspekt sprechen die Malereien von Münzenmayer auch eine Architektursprache. Einige davon sehen aus, als ob sie Grundrisse von Sakralgebäuden wären, andere erwecken den Eindruck von Entwürfen für Fassadengestaltungen. Münzenmayer schafft damit den Spagat zwischen einer mehrfachen Treue zum Original und der gleichzeitigen Entwicklung völlig eigenständiger Arbeiten.

So sehr auch die einzelnen Motive direkt übertragen sind, die Erde vom Ursprungsort stammt und auch deren Architektur suggerieren, genauso gut halten die Transformationen als unabhängige Gestaltungen einem kritischen Blick stand. Und es fällt ein weiterer gelungener Spagat auf - der zwischen den himmlischen Sphären und deren irdischer Trägerschaft.

Bernhard Münzenmayer

Transformationen des Gösser Ornats

Museum für Angewandte Kunst

Stubenring 5, 1010 Wien

Bis 10. 9. Di 10-24, Mi-So 10-18 Uhr

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