Der Hype um Vea Kaiser als BÄRENDIENST

19451960198020002020

Trivial ist Vea Kaisers neuer Roman nicht, aber auch kein großer Wurf. Zu erstaunlicher medialer Präsenz hat es die Autorin trotzdem geschafft. Nützt das dem verstaubten Ansehen der Literatur?

19451960198020002020

Trivial ist Vea Kaisers neuer Roman nicht, aber auch kein großer Wurf. Zu erstaunlicher medialer Präsenz hat es die Autorin trotzdem geschafft. Nützt das dem verstaubten Ansehen der Literatur?

Werbung
Werbung
Werbung

Vor einiger Zeit wurde im Feuilleton der FURCHE nach einer Erklärung für die immense mediale Aufmerksamkeit gesucht, die der Schriftstellerin Judith Hermann bei Erscheinen jeden neuen Buches sicher ist, ohne dass die Literaturkritik sich tatsächlich für ihre Texte erwärmen kann. Hermann, so die Vermutung, entspreche dem stereotypen Bild, das gemeinhin die Vorstellung eines schriftstellerischen Habitus prägt. Melancholisch, öffentlichkeitsscheu, intellektuell, vielleicht ein bisschen altmodisch. Das lässt sich vermarkten, zumindest für ein literarisch interessiertes Publikum.

Vea Kaisers Erfolg gründet auf dem gegenteiligen Prinzip: Weder ihr Auftreten noch ihre Bücher fügen sich ins Stereotyp Schriftstellerin. Sie ist jung, hübsch, ihr Lippenstift ist so knallig wie ihre High Heels, auf denen sie willig durchs Rampenlicht stolziert. Das lässt sich vermarkten, auch - oder besser - vor allem außerhalb des Feuilletons.

Fernsehtaugliches Funktionieren

Der Falter titelt: "Wir sind Kaiser", selbige sitzt mit Conchita Wurst bei Stermann und Grissemann in "Willkommen Österreich" und lacht bei Barbara Stöckl über Hellmuth Karaseks "Altherrenwitze" (Zitat Stöckl). Kaiser kennt man, Kaiser ist so etwas wie ein Star. Um Literatur geht's dabei nicht. Oberflächlicher könnte der neue Roman der 26-Jährigen kaum thematisiert werden. "Blasmusikpop" goes Griechenland, lustige Dorfgeschichten gespickt mit einigen Skurrilitäten, darauf wird der Text reduziert. Kaiser ist fernsehtauglich, sie funktioniert bei Markus Lanz genauso wie bei Denis Scheck und passt sich flexibel an ihre Gesprächspartner an.

Man kann ihr zugutehalten, dass sie seit ihren ersten Fernsehauftritten etwas an Authentizität dazugewonnen hat und nicht mehr ganz so gefügig in ewiggleichen Eigen- und Fremdinszenierungspraktiken das sexy-naive Mädel vom Lande gibt. Kaiser kokettiert ein bisschen weniger und wenn man ihr die Chance dazu gibt, wie Heinz Sichrovsky in der Sendung "erLesen", zeigt sich, dass sie auch anders kann und durchaus etwas von Literatur versteht. Solche Gelegenheiten sind indes selten, Kaiser wird eingeladen, um über Kaiser zu sprechen.

Nun muss sich der Literaturbetrieb zu diesem Hype, der außerhalb der eigenen Grenzen stattfindet, irgendwie verhalten. Ignorieren oder Affirmieren sind die Optionen, wobei es im Kern nicht um die tatsächliche Qualität des Romans geht, sondern darum, ob es sich überhaupt um besprechenswerte Literatur handelt.

Die literaturkritischen Medien praktizieren beides. Im Vergleich mit dem Debütroman "Blasmusikpop" wird "Makarionissi", was die bloße Quantität an Rezensionen angeht, recht verhalten aufgenommen. Während die Autorin im Fernsehen omnipräsent ist, hat die professionelle Literaturkritik zum Buch vergleichsweise wenig zu sagen. Erstaunlicherweise gibt es beinahe mehr TV-Auftritte als Buchbesprechungen. Immerhin bringen wichtige Medien wie die FAZ und Die Presse ausführliche Rezensionen, was sie vor dem Prädikat des Trivialen gerettet hat: Kaiser ist Literatur, Kaiser wird besprochen. Dennoch lässt sich eine gewisse Distanzhaltung von Seiten der Kritik, die durchaus auch als Statement zu verstehen ist, nicht leugnen.

Wer sich als so breitentauglich erweist, wird meist umso strenger beäugt und hat nicht selten mit Abfälligkeiten zu kämpfen. In der FAZ wird Kaiser zur "Helene Fischer der Literatur" ausgerufen. Sie wird damit leben können und im Großen und Ganzen verhalten sich die Berufskritiker erstaunlich fair und unvoreingenommen. Die Urteile fallen recht unterschiedlich aus: Rainer Moritz findet in der Presse lobende Worte für Kaisers Fabulierkünste, ist froh um die eine Kaiser, wenn auch mehr von der Sorte nicht zu ertragen wären. Daniela Buchzik prolongiert in der FAZ Sigrid Löfflers Kritik am Vorgängerroman und legt ein konservativ geprägtes Geschlechterbild frei, während der Falter Kaiser zugesteht: "Und schreiben kann sie auch." Dieses nicht wegzuleugnende "auch" ist die Krux an der ganzen Sache. Vea Kaiser wird als It-Girl vermarktet, das nun mal eben Bücher schreibt. Den dahinter verborgenen Sexismus kritisiert und bedient die Schriftstellerin zugleich.

Keine Sensation

Das Buch steht in keinem Verhältnis zur damit verbundenen Aufmerksamkeit für die Autorin. "Makarionissi oder Die Insel der Seligen" ist zweifellos nicht einfach nur ein Trivialroman. Er verfügt über Stärken und Schwächen, die man unterschiedlich gewichten mag. "Blasmusikpop" war keine literarische Sensation, doch eine gewisse erfrischende Originalität kann man dem Roman zubilligen. Diese geht dem Nachfolger allerdings ab.

Vor der Folie der griechischen Geschichte seit den 1950er-Jahren erzählt "Makarionissi" von der rebellischen Eleni und ihrem Cousin Lefti, die ihr Heimatdorf Varitsi verlassen und zunächst im beschaulichen Hildesheim landen. Dort trennen sich die Wege des von ihrer Familie praktisch zwangsverheirateten, ungleichen Paares.

Den ruhigen, verlässlichen Lefti verschlägt es mit seiner zweiten Frau Trudi nach St. Pölten, Eleni zunächst in ein Brautmodengeschäft nach Chicago und schließlich auf die titelgebende, fiktive Insel Makarionissi. Die vielen Handlungsorte, Figuren und mythischen Einschübe verdecken leider nicht das einfach gestrickte Grundmuster, das über die komplementären Hauptprotagonisten die Frage nach wahren Heldentum verhandelt. Das macht "Makarionissi" nicht zu einem schlechten Text, um einen großen Wurf handelt es sich jedoch mit Sicherheit auch nicht.

Klischees statt Feminismus

Spannender ist da schon die Frage nach dem feministischen Potenzial des Kaiser'schen Textes, zumal Sigrid Löffler für "Blasmusikpop" Verheerendes konstatierte. Die angehende Alt-Philologin Kaiser hat sich den Feminismus auf die Fahnen geschrieben und verortet ihre Heldin in der Tradition antiker Frauengestalten wie den Amazonen und Antigone. Das ist gut gemeint, das Konzept geht nur leider nicht auf. Da hat der Text etwas mit seiner Autorin gemeinsam: Botschaft und Mittel widersprechen einander. Wo der Roman feministisch zu sein meint, werden konservative Klischees reproduziert. Kaiser selbst präsentiert sich gerne als Nerd, während sie in ihrem Auftreten dem Mainstream nicht angepasster sein könnte.

Vea Kaiser sichert der Literatur Aufmerksamkeit über ein literaturaffines Publikum hinaus. Man könnte sich darüber freuen, doch stellt sich die Frage, ob der Literatur mit der Art und Weise, wie Kaiser medial inszeniert wird, nicht ein Bärendienst erwiesen wird. Die mantrahafte Anrufung von Jugend, Schönheit und Fröhlichkeit im Kontrast zum verstaubten Image der Literatur bestätigt dieses, statt es zu widerlegen. Und Vertreter des Literaturbetriebs spielen dieses Spiel in einer Art Selbstgeißelung mit. Befremdlich ist es etwa, wenn einer der bekannten Kritiker, nämlich Hellmuth Karasek, zu Kaiser nichts anderes zu sagen hat, als dass es gut sei, dass eine junge, hübsche Frau das Literaturbild aufhelle. In diese Kerbe schlagen leider beinahe alle Interviews mit Österreichs Literatur-Kaiserin.

Drastisch lässt sich das mediale Rauschen auf eine nicht nur latent sexistische Botschaft runterbrechen: Kaiser kann schreiben, obwohl sie weiblich, jung und gutaussehend ist. Auf eine solche Form von Publicity kann die Literatur getrost verzichten.

Makarionissi oder Die Insel der Seligen

Roman von Vea Kaiser Kiepenheuer & Witsch 2015

464 Seiten, geb., € 20,60

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung