Der Ideengeber für die Kletterelite

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Das kurze Leben von Wolfgang Güllich dauerte nur 32 Jahre. Und doch hat der Deutsche der Idee des Sportkletterns als eigener Spielart des Alpinismus zum Durchbruch verholfen und zum weltweiten Massensport gemacht.

Nur in der überschaubaren Welt der Sportkletterer war Wolfgang Güllich ein Idol, und doch hatten ihn Millionen von Menschen auf der Kinoleinwand bewundert – im Hollywoodstreifen „Cliffhanger“ hing er mit einer Hand an einer schmalen Felsleiste über dem Abgrund, als Double von Sylvester Stallone.

Eine Begegnung mit Reinhard Karl, dem Aushängeschild der deutschen Bergsportszene der 1970er Jahre, inspirierte Güllich, sich intensiv dem Klettern zu verschreiben. Die Protagonisten dieser Epoche, ein Reinhold Messner, Reinhard Karl oder Heinz Mariacher, hatten den 7. Schwierigkeitsgrad in den Alpen etabliert, den Freiklettergedanken aus dem kalifornischen Yosemite, aus Großbritannien und dem deutschen Elbsandsteingebirge im Alpenraum populär gemacht.

Mitte der siebziger Jahre hatte Güllichs alpiner Lehrmeister, Kurt Albert, selbst inspiriert vom Freiklettern im Elbsandstein, im Frankenjura das „Rotpunkt-Klettern“ erfunden, wobei alle Routen, die bislang nur mit Hakenhilfe, jetzt frei erklettert, mit einem roten Farbklecks markiert wurden. Bald griff die Rotpunkt-Bewegung von den Klettergärten auf die Alpen über, viele hakentechnische Wände erhielten erste Rotpunkt-Begehungen. 1981 gelang Albert mit Güllich die Route Locker vom Hocker (VIII) an der 300-Meter-Wand der Schüsselkarspitze im Wetterstein.

Am Anfang der Sportkletterszene

Güllich seinerseits vermochte dank seines Bewegungstalents, seiner athletischen Voraussetzungen und durch bis dahin unbekannte Trainingsmethoden sein Kletterkönnen bis zur Weltspitze auszubauen. In den 1980er Jahren gelang es ihm, die Leistungsgrenze im Freiklettern gleich mehrere Male noch oben zu schieben. Damit legte er den Grundstein für jene akrobatische Disziplin, die als Sportklettern bekannt wurde und weltweit den Schwierigkeitsstandard der Freikletterer in die Höhe trieb.

Und er setzte als Kletterer selbst Maßstäbe: an den Felsen in seiner Heimat, der Pfalz, in seiner Wahlheimat Frankenjura, aber ebenso an Riesenwänden im Karakorum und in Patagonien. Lange Zeit gelangen ihm Erstbegehungen der zur jeweiligen Zeit schwierigsten Route der Welt. Mit „Kanal im Rücken“ erreichte er 1984 im Frankenjura erstmals den glatten zehnten Schwierigkeitsgrad, mit „Punks in the Gym“ erweiterte er 1985 in Australien die Schwierigkeitsskala auf X+ und zwei Jahre später erreichte er als erster Kletterer der Welt an der „Wallstreet“ im Frankenjura den unteren elften Grad. Wirklich berühmt wurde er 1986 durch seine Free-Solo-(=Allein) Begehung der spektakulären Route „Separate Reality2“ (VIII+/IX-) im Yosemite Nationalpark, die einem Handriss durch ein sechs Meter langes, horizontales Dach zweihundert Meter über dem Erdboden folgt.

Doch mit der Begehung immer schwieriger Routen im Klettergarten allein wollte sich Güllich nicht zufriedengeben. Der Gedanke, das Sportklettern in die großen Himalayawände zu tragen, hatte ihn schon länger fasziniert. So wollte er dem „größten Bergsteiger aller Zeiten“ Reinhold Messner beweisen, dass die Entwicklungsmöglichkeiten im Himalaya noch lange nicht erschöpft, sondern erst angerissen waren. Hier lag für Güllich die Zukunft: „Der Atlas zeigt wieder weiße Flecken.“ Bereits 1988 gelang es ihm, extremes Sportklettern in den Himalaya zu übertragen. Mit Kurt Albert kletterte er an den Trangotürmen im Karakorum die erste Rotpunktbegehung der „Jugoslawenführe“ am 6241 Meter hohen Nameless Tower: 26 Seillängen, zwei davon im oberen achten Grad und nur sechs Längen leichter als sieben. Voraussetzung für diesen Erfolg war die alpine Erfahrung der Protagonisten, gepaart mit der im Klettergarten trainierten Fähigkeit, lange Strecken im siebten und achten Grad mit einem Minimum an zeitraubenden Sicherungen hochzustürmen. Nochmals mit Albert bewies er 1989 mit der Erstbegehung von „Eternal Flame“ (IX-) am Nameless Tower, in der mehr als tausend Meter hohen Wand dieses Sechstausenders, dass er höchstes Kletterkönnen und alpine Erfahrung an hohen Bergen kombinieren konnte – ein Entwicklungsschritt im alpinen Klettern, den noch wenige Jahre früher niemand zu denken wagte. Es folgte „Riders on the Storm“ an den Painetürmen im sturmumtobten Patagonien: IX. Grad.

Absoluter Star der Kletterszene

Anfang der 1990er Jahre hieß der absolute Star der internationalen Kletterszene Wolfgang Güllich. Nach fünf Monaten innovativen Krafttrainings und optimierter Bewegungskoordination, nach elf Tagen Arbeit an seinem neuen Felsprojekt, einer zwölf Meter hohen und 45 Grad überhängenden Wand, erreichte er am 14. September 1991 mit seiner Erstdurchsteigung der „Action Directe“ im Frankenjura als erster Mensch der Welt den vollen elften Schwierigkeitsgrad. Überall auf der Welt, ob im Himalaya, in Patagonien, Grönland, auf Baffin Islands oder in der Antarktis, schien die vertikale Welt nun viele neue Herausforderungen zu bieten. Aber Wolfgang Güllich starb 1992, weil er am Steuer seines Wagens eingeschlafen war. Eine, seine Epoche war damit zu Ende.

Doch darüber hinaus hat mit Güllich das Sportklettern seine Abenteuerdimension zurückerhalten. Gegenüber dem Trend des Sportkletterns als Massensport mit abgesicherten Bohrhakenrouten, die aus dem Fels einen touristischen Vergnügungspark machen, leiten kreative Sportkletterer um die Jahrtausendwende eine Renaissance des Risikokletterns ein. Zu den Jungen, die Güllich zu Höchstleistungen inspirierte, zählen auch die Brüder Alexander und Thomas Huber aus Bayern. Und Reinhold Messner meint heute: „Wo Strukturen zwischen Fels und Mensch stehen, ist Tourismus. Der Alpinismus aber – wo, wie und wann auch immer – beginnt, wo der Tourismus aufhört.“

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