Der Islam als Feindbild gibt dem Christentum Auftrieb

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Ein religiös-moralisches Gesellschaft ist in den USA der Ersatz für Ideologie. Das hat weitreichenden Folgen. Das Gespräch führte Claus Reitan

Der Politikwissenschafter Peter Filzmaier ist ein Kenner der politischen Verhältnisse der USA: Er verfasste drei Bücher zu Politik und Wahlkämpfen, leitet heuer wieder den USA-Besuch einer Studiengruppe. DIE FURCHE fragte Filzmaier nach dem Verhältnis von Religion und Politik in den USA.

Die Furche: Warum spielen, Ihrer Analyse zufolge, Religion, Religiosität und Gott eine offenbar so bedeutsame Rolle in der Politik oder zumindest in der politischen Kommunikation in den USA?

Peter Filzmaier: Man hat zu unterscheiden in gesellschaftspolitische und in eine wahlstrategische Bedeutung. Wahlstrategisch betrachtet sind dies für die Republikaner die entscheidenden Momente der Mobilisierung. Rund 80 Prozent der Wähler sind Christen, die Konservativ-Evangelikalen haben eine deutlich stärkere Bindung zu den Republikanern und auch eine deutliche höhere Wahlbeteiligung. Mit ihrer Mobilisierung können die Republikaner Wahlen gewinnen. Sie sind bis zur Tea Party ein parteiintern bedeutsamer Flügel. Bei den Demokraten sieht es anders aus. Dort ist es die Gruppe der Katholiken, die auch liberaler sind, die zugleich die entscheidenden Wechselwähler darstellen. Grundsätzlich ist das religiös-moralische Gesellschaftsbild eine Art von Ideologie-Ersatz für die USA. Es gibt dort keine Ideologien in unserem Sinne. Dieses religiös-moralische Gesellschaftsbild hat nichts mit klassischer Partei-Ideologie zu tun. Aber es hat einen genauso hohen Stellenwert und ist politisch.

Die Furche: Ist es auch identitätsstiftend für diese sehr heterogene Gesellschaft?

Filzmaier: Die USA sind eine Auswanderergesellschaft, ihre Gründer sind weg aus Europa, teils aus wirtschaftlichen Gründen, teils, weil man mit zentralen Staatsgewalten sehr schlechte Erfahrungen gemacht hat. Das identitätsstiftende Momentum des Staates ist aufgrund dieses Misstrauens auf nationaler Ebene sicher schwächer als in Europa. So vielfältig die Kirchen sind, so einigend ist die Religion, selbst wenn die Polarisierung zugenommen hat.

Die Furche: Diese Zivilreligion zeigt aber einen selektiven Laizismus: Der Staat soll sich nicht in die Religion einmischen, die Religion jedoch sehr wohl in die Politik.

Filzmaier: Diese Trennung von Kirche und Staat ist nur auf der Oberfläche konsequent umgesetzt. Religiöse Gruppierungen haben generell an Bedeutung gewonnen, daher auch in der Politik. Es mag für uns unvorstellbar sein, aber in Kirchen werden Wahlempfehlungen abgegeben, werden Folder verteilt.

Die Furche: Die Fragmentierung, die soziale Kluft in den USA nimmt zu. Steigt die identitätsstiftende Bedeutung der Zivilreligion, des religiös-moralischen Gesellschaftsbildes?

Filzmaier: Ich glaube, ja. Einfach weil sich andere identitätsstiftende Elemente verändert haben. Effekte, die Identität schaffen, wirken stärker, wenn sie nach außen gerichtet sind. Dieses Äußere war lange Zeit das Reich des Bösen, also Moskau. Dieses Verhältnis ist jetzt abgelöst worden durch jenes zum Islam. Und damit ist die religiöse Komponente der Identitätsstiftung im Inneren, in diesem Falle also jene des Christentums, in ihrer Bedeutung massiv angestiegen. Das lässt sich mit Zahlen belegen: Für zwei Drittel ist die Zugehörigkeit zum Christenum ein wahlentscheidendes Kriterium. Aber es wird nicht über Religion im Einzelnen abgestimmt, sondern über Identität. Es ist weniger wichtig, in welcher religiösen Gemeinde jemand steht, aber sich gegen das Prinzip zu stellen, das bedeutet einen Abschied von der Identität - und das überlebt im Wahlkampf keiner.

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