Der Kaiser, ein echter Gentleman

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Kaiser Franz Joseph - ein "Gentlemanjäger", Thronfolger Franz Ferdinand - ein Rambo des Weidwerks: wie der Wiener Hof auf die Jagd ging.

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Kaiser Franz Joseph - ein "Gentlemanjäger", Thronfolger Franz Ferdinand - ein Rambo des Weidwerks: wie der Wiener Hof auf die Jagd ging.

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Sie waren legendär, die alljährlichen Hofjagden am Wiener Kaiserhof! Alte Chroniken lassen jedoch ein völlig gegensätzliches Bild einstiger Hofjagden erstehen, als es in landläufigen Schilderungen bisher bekannt wurde. Denn die kolportierte Passion, das "edle Weidwerk in ... Schießerei ausarten zu lassen, beruhte, was Seine Majestät betrifft, nicht auf Wahrheit. So schrieb Eugen Ketterl, Franz Josephs Kammerdiener, in seinen Erinnerungen: "Franz Joseph war ein ,Gentlemanjäger' ... Er glich seinem Zeitgenossen, dem alten Prinzregenten Luitpold von Bayern, nicht aber dem Thronfolger Franz Ferdinand, der nur Wert darauf legte, viel und alles möglichst bequem zu schießen."

Mit Widerwillen schilderte Ketterl, wie etwa Erzherzog Franz Ferdinand auf der Jagd in Rominten/Ostpreußen von hundert aus dem "Fang" gelassenen Sauen neunundneunzig "abknallte". Eine solche, zur blindwütigen Raserei entartete Leidenschaft, kann wohl wichtige Rückschlüsse auf den Charakter des Schützen zulassen. So sah es auch Ketterl, der irritiert resümierte: "Zwischen Weidmann und Schützen ist ein gewaltiger Unterschied." Für ihn galt Franz Joseph als "weidgerechter Jäger".

Aus alten Zeitungsberichten jener Tage lässt sich mit anderen Überlieferungen das vorgeschriebene Zeremoniell einer Hofjagd genau rekonstruieren. Auf vorgedruckten Karten von feinstem Büttenpapier war die "Allerhöchste Einladung" künstlerisch gestaltet mit exakten Uhrzeiten versehen. Manchem der hohen Herrschaften mag die allzu frühe Stunde des Aufbruchs, wie etwa am 11. August 1910 von der Kaiservilla in Bad Ischl zur Jagd auf Hochwild und Gämsen um 1 Uhr 15 früh, die Ruhe geraubt haben. Doch der Kaiser war Frühaufsteher! Seine damals noch eiserne Gesundheit kam mit wenig Schlaf aus. Immerhin bot er seinen Jagdgästen vorher noch ein reichhaltiges "Dejeuner dinatoire". Es wurden serviert: Tee mit Rum, Brioches, Milchbrot, Simonbrotschnitten mit Butter, Schinken, kaltem Braten, dazu gekochte Eier, aber auch Guglhupf, gebähte Kipferln, Kissingerstangerln, Bäckereien von der berühmten Zuckerbäckerei Cabos und sogar Joghurt. Mit Potage a la Reine, Filet de boeuf a la Jardiniere, Geflügel und Desserts war auch Gourmets Genüge getan.

Frisch gestärkt brach die Gesellschaft auf - entweder mit dem Hofjagdzug oder auch Equipagen. Waren andere Monarchen anwesend wurde sechsspännig vorgefahren. Seiner Majestät und dem üblichen Gefolge reichten aber vier oder zwei Pferde aus.

Da der Triebanfang in der Regel auf sechs Uhr früh festgelegt war, verließen die Hofwagen zwei Stunden zuvor die Kaiser-Villa. Die Dauer des Triebes, bei dem die Treiber das Wild aufspürten, erstreckte sich auf durchschnittlich zwei Stunden. Fanden Jagden im Gebirge statt, so waren für die Jäger binnen kurzem große Anstiege zu bewältigen. So lagen die Anstände für die Gamsjagd sehr hoch und wurden dem alten Monarchen beschwerlich. Franz Josephs Leibkammerdiener Ketterl bewunderte die Kletterkünste seines Herrn: "Der Anstieg zu den hochgelegenen Ständen währte oft ein- bis anderthalb Stunden, und noch in seinen letzten Lebensjahren bewältigte der Kaiser solch' beschwerlichen Anstieg spielend", erinnerte er sich später.

Der kaiserliche Jäger ließ sich auch nie das Gewehr, die Perkussions-Vorderladerflinte, nachtragen. Er selber trug sie am Riemen mit sich.

Weder der Kronprinz, noch die Erzherzöge waren für ihn beliebte Jagdgefährten. Der Kaiser bevorzugte seinen Schwiegersohn, Prinz Leopold von Bayern, wenn er auf Jagd ging. In Ungnade fiel dieser allerdings, weil er einen Keiler erlegte. Dieses Privileg hatte allein Seine Majestät! Allein seiner Tochter Gisela, der Gattin Leopolds, gelang es schließlich, den Zorn des Vaters zu besänftigen. Allerdings fiel der verantwortliche Jagdleiter Pettera in Ungnade. Er hat danach keinem noch so hochgestellten Jagdgast mehr einen "heimlichen" Schuss erlaubt.

Im Herbst 1910 mokierte Ketterl sich über die seltsame Adjustierung des deutschen Kaisers Wilhelm II., der zur Hofjagd mit "königlich preußischer Hofjagduniform" auf die Pirsch ging. "Zurück kam der Kaiser als ,Schneider'", schrieb Ketterl in seinen Erinnerungen. Was hieß: "er hatte kein Jagdglück gehabt".

Ganz anders der alte Weidmann Franz Joseph! Ihn kannte man auf seinen Jagdschlössern und am Ansitz nur im schlichten "jagerischen Gewand". Lodenjoppe, kurzen Lederhosen, die schon recht speckig waren, nackten Knien, Wadenstrümpfen, genagelten Schuhen und rundem, gamsbartgeschmücktem Hut. In dieser Ischler Tracht ließ der Kaiser sich, wenn auch widerstrebend, mehrmals malen.

Ketterl plauderte aber aus der Schule, dass es etwa bei der Anschaffung neuer Lederhosen jedesmal einen harten Kampf gab. Der Kaiser, sparsam bis zur Knickrigkeit für sich selber, konnte und konnte sich nicht dazu entschließen. War aber einmal die neue Lederhose da, so musste Ketterl sie präparieren. Bevor sie nicht durch Abreiben an Treppenstufen künstlich gealtert war, zog sein Herr sie nicht an. Sie wäre ihm "stutzerhaft" erschienen ...

Wenn man heute anhand alter Überlieferungen also die Jagdleidenschaft Kaiser Franz Josephs betrachtet, darf man sagen: Über alles liebte er die Natur! Dazu gestand er: "Im Weidwerk habe ich Frieden, Erholung, Stärke und Freude gefunden." Viele Stunden lang streifte er, nur vom Büchsenspanner begleitet, durch Wald und Gebirge. Gewiss war die Freude über einen gelungenen Abschuss groß. Doch gehört es absolut zum "Jägerlatein", der Kaiser hätte hemmungslos geschossen. Viele Male überließ er seinen Jagdgästen die Beute und kam selber nicht zum Schuss. Das beweisen Jagdlisten, die sich erst jetzt im Nachlass eines seiner Flügeladjutanten fanden.

Nach der Heimkehr von Jagden, wandte der Monarch sich sogleich wieder seinen Pflichten zu. "Er zog sich um", berichtete Ketterl, "nahm etwas zu sich und setzte sich sofort an die Arbeit, um eingelaufene Akten zu erledigen."

Seine Gäste aber holten den Schlaf nach.

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