Der Kampf um die Arktis

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Russland erschließt die reichen Öl- und Gasvorkommen an der Küste Sibiriens, Norwegen und internationale Ölkonzerne haben Bohrschiffe in die Tschuktschensee entsandt. Wissenschafter und Umweltschützer protestieren.

Wer sich von der empfindsamen Schönheit der Natur nahe dem nördlichen Polarkreis überzeugen möchte, sollte nach Tatitlek und Chenega Bay reisen. Dort, an den Küsten des Prinz William Sund vor Alaska leben indigene Eskimovölker nach Art ihrer Vorfahren von Subsistenz-Wirtschaft. Von der Jagd nach Robben, vom Walfang, von der Heringsfischerei und von ein wenig Tourismus. Zumindest taten sie das bis 1989.

Am 23. März jenes Jahres lief der Tanker Exxon Valdez unweit von Tatitlek auf das Bligh Riff auf - 40.000 Tonnen Schweröl liefen aus und verursachten eine Umweltkatastrophe, die bis heute nachwirkt. Der gesamte Heringsbestand wurde vernichtet, Tausende Seeotter verendeten, die Schwertwalpopulation sank auf wenige Exemplare, 250.000 Seevögel starben. 23 Jahre später ist das Öl immer noch nicht verschwunden. Laut dem Bericht des "Exxon Valdez Oil Spill Trustee Council“, ist das Wasser an den Stränden des Prince William Sund noch immer von Öl verseucht - auf einer Länge von insgesamt 700 Kilometern Küste.

In anderen, wärmeren Gewässern des Planeten wäre das Öl längst durch Mikroorganismen abgebaut. Doch die ölzersetzenden Mikroben brauchen Licht und Wärme um in Aktion treten zu können. Beides ist in Tatitlek und Chenega Bay Mangelware.

Die Konsequenzen der Umweltvergiftung: 12 der 27 Haupttierarten der Region haben sich von dem Desaster bis heute nicht erholt. Der Hering, das Hauptnahrungsmittel der Eskimos ist verschwunden, der Schwertwal ebenso. Insgesamt verloren die Eskimojäger mehr als ein Drittel ihrer Beute- und Fangbestände.

Kaum Erholung des Ökosystems

US-Meeresbiologen schlussfolgern aus den über die Jahre in den von der Ölpest verseuchten Regionen erhobenen Daten, dass das Ökosystem in der arktischen See pro Jahr null bis höchstens 1600 Tonnen des Ölschlicks abbauen kann. Dabei nehmen sich die 40.000 Tonnen Öl, die bei der Havarie der Exxon Valdez austraten gegen andere Ölunfälle der vergangenen Jahre noch geradezu gering aus. Wäre beispielsweise die Havarie der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko (mehr als 7 Millionen Tonnen Öl flossen ins Meer) in arktischem Umfeld geschehen, müssten mindestens 4.300 Jahre für die natürliche Zersetzung der Giftstoffe veranschlagt werden.

Solche Zahlenspiele bilden den Kern der Warnungen und Forderungen vieler Wissenschafter, die vor der Ausbeutung der Erdöl- und Erdgasquellen im hohen Norden warnen. Zuletzt wiesen 150 Wissenschafter des Arctic Monitoring Assessment Programme (Amap) in einem Bericht an die Arktis Anrainerstaaten auf die hohen Risiken von Erdölbohrungen in diesem Bereich hin: "Ausgetretenes Öl ist besonders gefährlich, weil sich die Ökosysteme nur langsam erholen, die Beseitigung von Ölschäden ist sehr schwierig, vor allem in Meeresbereichen mit Eisvorkommen.“

Geholfen haben solche Warnungen freilich nicht. Die Arktis ist immer mehr dem Zugriff von Staaten und Ölkonzernen auf jener Rohstoffe ausgesetzt, die im Bereich der sie umgebenden Küsten liegen. Mehr als 16 Prozent der Erdöl- und über 20 Prozent der weltweiten Gasreserven werden nördlich des 60. Breitengrades vermutet.

Gerade in diesen Tagen werden zwei große Vorstöße zu ihrer weiteren Ausbeutung unternommen. Der eine findet vor der Küste Sibiriens statt, wo eine Kooperation der russischen Konzerne Rosneft und Gazprom ein großes Erdgasvorkommen im Schelf bei Nowaja Semlja ausbeuten will. Ein zweiter Versuch startet zwischen den Küsten Alaskas und Sibiriens in der Tschuktschensee und an weiteren fünf Stellen vor der Küste Alaskas, wo der Erdölkonzern Shell Offshore-Bohrlizenzen erworben hat.

Die neue Offensive

Schon im Herbst 2011 begannen für die beteiligten Unternehmen Vorbereitungsarbeiten - begleitet von Protestaktionen von Umweltschützern. Mit dabei sind auch zwei Eisbrecher aus Finnland, die das Shell-Bohrschiff "Noble Discoverer“ vor Eisschollen und Eisbergen schützen sollen. Auch die russische Gazprom verlegte im August eine Ölplattform Richtung Sibirien, die nun ihren Betrieb aufnehmen soll.

Die neuen Unterfangen im Eismeer sind nicht leicht zu bewerkstelligen. Die betroffenen Gebiete liegen jeweils mehr als 1.000 Kilometer von den nächsten Infrastruktureinrichtungen - Ölhäfen oder Pipelines entfernt. Dazu kommt die Polarnacht und die extreme Witterung, die Maßnahmen im Störfall stark behindern würden.

Die beiden Projekte sind aber nur ein Bruchteil jener Vorhaben, die den Anrainerstaaten und Konzernen in Zukunft Milliardeneinnahmen bringen sollen. Russland, das für 80 Prozent der Erdöl- und Erdgasförderung in der Region verantwortlich ist, hat heuer ein Programm zu Erschließung der Arktis erstellen lassen. Die Konzerne Exxon (USA) und Rosneft (RUS) vereinbarten im März die vollständige Erforschung des Schelfmeeres vor Sibirien - ein Projekt, das über 300 Millionen Dollar kosten wird.

Ein aktueller Rohstoffreport der russischen Regierung veranschlagt die fossilen Reserven auf dem Festlandsockel mit 100 Milliarden Tonnen und berichtet von der Entdeckung von über 50 potenziellen Lagerstätten. Die arktischen Vorkommen, so der Bericht, könnten die immer weniger ertragreichen Quellen im eisfreien Teil Sibiriens ersetzen.

Große Funde möglich

Ganz ähnlich die Situation in Norwegen, wo der Ölkonzern Statoil große Vorkommen in der Barentssee aufgespürt hat. Zusammen mit bereits erschlossenen Vorkommen handle es sich um 60 bis 100 Milliarden Liter Öl, ein Sechstel der gesamten norwegischen Vorkommen. Statoil-Vorstandsvorsitzender Helge Lund spricht von "möglichen weiteren großen Funden“ in dem Gebiet. Wegen der neuen Entdeckungen planen die Norweger nun eine Steigerung ihrer Produktion bis 2020 um 30 Prozent.

Die Möglichkeit von Umweltschäden scheint unter den Anrainerstaaten nur von Norwegen ernst genommen zu werden. Die Norweger planen etwa die Errichtung von alternativen Anlagen. Statt mit fragilen Bohrinseln im Packeis wollen sie mit langen Fördertunneln arbeiten, die unterirdisch schräg vom Festland zur Ölquelle gebohrt werden.

Dieses Verfahren ist aber - ähnlich wie die herkömmlichen Pumpverfahren - aufgrund der extremen Witterungsbedingungen äußerst kostenaufwendig. Für Erdölfelder in Ostgrönland haben Wissenschafter errechnet, dass die Kosten der Ausbeutung nur dann wirtschaftlich Sinn machen, wenn der Erdölpreis über 300 Dollar pro Barrel steigt. Aus Kostengründen wurde bisher auch die Ausbeutung des sibirischen Schtokman-Erdgasfeldes immer wieder aufgeschoben. Geplant ist das Projekt seit 1988. Doch mit dem Warten ist nun Schluss. Endgültiger Bohrbeginn: 2012/2013.

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