Der Kanon des Ungelesenen

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Julius Deutschbauers Bibliothek der ungelesenen Bücher.

In Öffentlichen Bibliotheken fiebern die Bücher den Lesern und Leserinnen entgegen; Gespräche drehen sich um Leseerfahrungen oder sind es Leser-Erfahrungen? Über Bücher, die man nicht gelesen hat, spricht man nicht: entweder tut man so, als habe man sie doch gelesen und zitiert mutig aus Rezensionen oder man schweigt. In diesem Wertekanon fällt die "Bibliothek der ungelesenen Bücher" von Julius Deutschbauer zwischen alle Regale. Seit 1997 ist Julius Deutschbauer (1961 in Klagenfurt geboren, seit 1983 in Wien lebend, dort gegenwärtig den österreichischen Kulturbetrieb karikierend) Bibliothekar in seiner Bibliothek ungelesener Bücher.

Der Nicht-Leser

Der Bibliothekar hat entgegen der gängigen Regel die Bücher nach dem Anfangsbuchstaben ihres "Nichtlesers", ihrer "Nichtleserin" ins Regal gestellt. Dass auch in Deutschbauers Bibliothek die Bücher nach Betrachtung wieder ordentlich zurückgestellt und Essen und Getränke ihnen ferngehalten werden müssen, ist übrigens die einzige Verwandtschaft zu Bibliotheken gelesener, scheinbar gelesener oder auch versteckt ungelesener Werke.

Konkret bedeutet diese Ordnung des Künstlers dass etwa der Jugendroman und Klassiker "Die rote Zora und ihre Bande" von Kurt Held von Alfons Egger nicht gelesen worden ist; das zeigt auch schon die Signatur des Buchrückens: E 1/4. "Die Welt von Gestern" von Stefan Zweig hat übrigens Rainer Neumann noch nicht gelesen.

"Diese Bibliothek erlaubt, ungelesen zu bleiben. Ihr Herz sind die Gespräche, die ich mit den Menschen über ihre ungelesenen Bücher führe. Frauen verweigern hier übrigens weit öfters als Männer das Interview." Die Fragen des Bibliothekars sind skurril und dabei äußerst zielgerichtet: er führt vor, wie gut man auch über Ungelesenes und seine Vorstellungen vom Ungelesenen reden und phantasieren kann. Diese Gespräche speichert Deutschbauer auf Mini-Discs, sie sind Teil der Bibliothek, stehen den Besuchern ebenso zur Verfügung wie die Bücher in den Regalen. Aber wieder zurückstellen!

Der Band "Die Bibliothek ungelesener Bücher in fünfzehn Portraits" von Julius Deutschbauer, herausgegeben von Lioba Reddeker, Galerie Thaddaeus Ropac und Kunsthalle Wien ist im Salon Verlag erschienen. Deutschbauer leitet jedes Gespräch mit der Frage nach dem Wetter ein: "Arne Opitz, welches Wetter haben wir heute?". Dann kommt er zum Punkt: "Welches Buch hast du noch nicht gelesen?" "Wenn ich da jetzt anfangen sollte zu zählen, dann wären das einige hundert, wobei ich eher annehme, du meinst sozusagen Lesesünden, die man sich selber auf die schwarze Liste geschrieben hat, in dem Sinne: das müsste man eigentlich gelesen haben oder genauer gelesen haben ..."

Der ideale Leser

Eine noch provokantere Frage des Bibliothekars: "Und wenn du es gelesen hättest, was würde es besagen?" und noch eine Steigerung: "Bist du Herr darüber, was du liest?" Deutschbauer spricht mit seinem Gegenüber über Imbisse und Körperhaltungen während des Lesens und will auch wissen "Gibt es für dein ungelesenes Buch einen idealen Leser?" Werner Kofler brach das Interview ab, er ging eine rauchen, "Der Mann ohne Eigenschaften", ja, dieses Buch sei ein halbes, ungelesenes Buch, mehr wolle er jetzt nicht sagen. Im Internet: www.thing.at/bibliothek.ungelesener. buecher lädt Julius Deutschbauer zu Reaktionen ein. Vermutlich werden diese gelesen.

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