Der katholische Super-GAU

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Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Die katholische Kirche erlebt zurzeit, wie wahr dieser oft zur Binsenweisheit verkommene Satz werden kann: Mit der Verhaftung des australischen Kardinals George Pell nach seiner -erstinstanzlichen - Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs ist der katholische Super-GAU nicht mehr zu beschönigen. Es nützt dennoch nichts, in die Vorgänge viele Wenns und Abers einzustreuen: Pell beteuert nach wie vor seine Unschuld, das Verfahren geht in die Berufung und ist somit nicht abgeschlossen. Aber die Vorstellung, dass die ehemalige Nummer Drei der katholischen Hierarchie nun hinter Gittern sitzt, bedeutet: Nichts mehr wird sein wie zuvor.

Die katholische Kirche hat schlicht den Zeitpunkt verstreichen lassen, bis zu dem sie sich aus der Umklammerung der Missbrauchskrise hätte befreien können. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben: Der Bischofsgipfel, den Papst Franziskus letzte Woche zum Thema einberufen hat, mochte speziell bei den immer noch nicht verstehenden Kirchenfürsten aus dem Süden Bewusstseinsbildung betrieben haben. Aber auch die Papstrede zum Abschluss des Gipfels zeigte, dass das Bewusstsein nicht so geschärft ist, wie es sein müsste.

Noch nie hatte Franziskus im deutschsprachigen oder angelsächsischen Raum eine so schlechte Presse wie nach dieser Rede. Zu Recht. Denn die Verbeulungen der Institution, die durch die Missbrauchstaten der katholischen Kirche zugefügt wurden, verlangen die intensive Konzentration auf ebendiese: Ja, es stimmt, dass Missbrauch überwiegend im familiären Umfeld geschieht, dass Kindern auch auf anderen Feldern unfassbares Leid angetan wird. Und wenn man dieser (Sprach-)Bilderwelt anhängt, kann man auch -wie eben in der Papstrede -das Satanische an den Vorgängen thematisieren. Aber anthropologische oder auch spirituelle Analysen werden den aktuellen Vorgängen nicht gerecht. Es geht vielmehr darum, dass die Affären ohne Wenn und Aber aufgearbeitet werden, dass ein glaubwürdiges System, das Missbrauch verhindert, auch weltkirchlich greift -und nicht nur in deutschen oder angelsächsischen Ländern, wo man ermutigender unterwegs ist.

Und: Weder die Kirche als Ganzes noch der Papst können sich länger um die Gretchenfrage nach den systemischen Änderungen drücken, die nötig sind, und die allzu lang nicht angegangen wurden: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Franziskus selber hat wiederholt den "Klerikalismus" als Ursache der Missbrauchskrise benannt. Wie wahr, abgesehen davon, dass nicht ganz klar ist, ob er und der europäische Beobachter darunter dasselbe verstehen.

Aber es muss das hermetische, intransparente, männerbündlerische, selbstrefenzielle System aufgebrochen werden, das den Missbrauch so lange unter der Decke hielt. Doch das geht nicht ohne grundlegende Veränderungen an Haupt und Gliedern -die Gestaltung des Priesteramts samt Zulassungsbedingungen steht da ebenso zur Disposition wie die Personal-und Entscheidungsfindung in der Kirche. Bei fast all diesen Vorgängen handelt es sich nicht um Wahrheits-oder Glaubensfragen, sondern um die menschliche Ausgestaltung einer Institution, die dem Heil der Menschen verpflichtet ist. Die Kirche kann und muss auch vom säkularen Bereich lernen -von den psychologischen Erkenntnissen zum Thema Homosexualität bis zu den Organisationsmodellen der Demokratie. Sie muss das schleunigst tun. Sonst wird sie weiter bitter erfahren: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Weder die Kirche als Ganzes noch der Papst können sich länger um die Gretchenfrage nach den systemischen Änderungen drücken.

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