Der Kern des Parlaments

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Zweimal schoss 1918 ein Soldat auf die Statue der Pallas Athene vor dem Parlament, offensichtlich, so hieß es, geistesgestört. "Wieso?" kommentierte Karl Kraus. "Die kann einen schon aufregen. Ich war nicht im Krieg und trage kein Gewehr bei mir. Aber so oft ich die sehe, in ihrer vollkommenen Nichtbeziehung zu den Dingen, die in dem Haus drin und außerhalb vorgehen, (...) da spür' ich ordentlich, daß ich kein Gewehr bei mir trage!"

In der aktuellen, sehenswerten "Orestie"-Inszenierung am Burgtheater dampft Regisseur Antú Romero Nunes den dritten Teil der Trilogie radikal-plakativ auf den geharnischten Auftritt der Pallas Athene ein: mit ihrer Stimme verkündet Aischylos das Ende des blutigen Rachereigens und die Einsetzung des Aeropags, des menschlichen Gerichtshofs. Demokratische Abstimmung statt des Wütens der Erinnyen, die sich, zu Eumeniden bezähmt, pastelligen Tüll über ihr archaisches Feldgrau streifen. Die alten Fetzen scheinen freilich durch.

Man könnte die Entscheidung für den Umbau des Parlaments symbolisch als Anerkennung seiner Bedeutung lesen. Genauso gut aber als Mangel an Respekt vor seiner Tradition. Das Haus des Theophil Hansen wird nämlich nicht "saniert", sondern entkernt: um mehr als 400 Millionen Euro. Denkmalschützer haben vergeblich vor der Demontage des 50er-Jahre-Plenarsaals gewarnt - man stelle sich vor, im britischen Unterhaus würden die historischen Sitzreihen herausgerissen. In politisch sensibler Zeit wird zudem der gesamte parlamentarische Betrieb in Fertigteilhütten ausquartiert, die Heldenplatz und Burghof auf Jahre verschandeln.

Die Pallas Athene wird's überstehen, als "eine noch immer fesche Hausmeisterin des hohen Hauses oder Verkörperung des Ideals halt von etwas Idealem oder Antikem oder in der Art".

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin

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