Der Kern von Jesu Botschaft

Werbung
Werbung
Werbung

"Friede“ stand nicht auf der Agenda des II. Vatikanums. Hildegard Goss-Mayr erzählt, wie er da aufs Tapet kam.

Ein Gespräch mit Hildegard Goss-Mayr, der 82-jährigen Ehrenpräsidentin des Internationalen Versöhnungsbundes und Ehefrau von Jean Goss (vgl. Seite 21), ist ein Erlebnis: Wenn die zierliche Frau in ihrer Wohnung in Wien-Neuwaldegg von ihrem Engagement etwa auf dem II. Vatikanum erzählt, ist im Nu die Kraft der Kämpferin für den Frieden präsent.

Die Furche: Spricht man übers II. Vatikanum, dann ist von der Liturgiereform bis zum interreligiösen Dialog oder dem Verhältnis zum Judentum die Rede. Die Vision der Gewaltfreiheit kommt da kaum vor.

Hildegard Goss-Mayr: Man muss sich erinnern, dass das Konzil am Höhepunkt des Kalten Krieges stattfand. Die politische Situation zwischen Ost und West war äußerst gespannt. Die große Mehrheit der Bischöfe kam aus der westlichen Hemisphäre und hat zunächst die Aufrüstung und dieses Gleichgewicht des Schreckens zwischen kommunistischem und westlichen Block befürwortet. Allerdings gab es in der Bevölkerung große Angst vor einem Atomkrieg. Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, in welcher Furcht die Menschen gelebt haben. Es war da ja auch die Zeit der Kubakrise, wo ein Atomkrieg ganz direkt vor unseren Augen gestanden ist. Die Welt hat vom Konzil eigentlich ein starkes Wort zur Abrüstung erwartet. Doch zunächst meinten viele Bischöfe, es sei sehr schwierig, die Friedensfrage einzubringen. Aber wir von der Friedensbewegung, vom Internationalen Versöhnungsbund, haben uns dafür eingesetzt, dass diese ganz wesentliche Haltung, die die Grundhaltung des Evangeliums betrifft, zur Sprache kommt.

Die Furche: Sie hatten da einen interessanten Verbündeten - Kardinal Alfredo Ottaviani, der ja als die Symbolfigur der konservativen Hardliner beim Konzil gilt.

Goss-Mayr: Ottaviani war sicher die Bremse beim Konzil und hatte großen Einfluss. Mein Mann Jean Goss hatte aber schon seit 1950 Kontakt zu ihm. Er hatte erfahren, dass ein Prälat - eben Ottaviani - im Vatikan in einem seiner Bücher geschrieben hatte, der Krieg als solcher müsste verurteilt werden.

Die Furche: Und das zu einer Zeit, in der die Lehre vom gerechten Krieg immer noch …

Goss-Mayr: … im Vordergrund gestanden ist und nur die kleinen Friedensbewegungen versuchten, die Gewaltfreiheit Jesu theologisch herauszuarbeiten. Mein Mann fuhr nach Rom und ist unter Schwierigkeiten zu Msgr. Ottaviani vorgedrungen. Er hat in ihm eine Person erlebt, die erschüttert war, dass Kriege stattfinden und dass wir nicht genügend dagegen Stellung nehmen. Ottaviani hat von Gandhi gewusst und auf ihn verwiesen. Mein Mann meinte, dass der Krieg in totalem Gegensatz zum Evangelium steht, dass die Kirche die Kriegsdienstverweigerer schützen müsste und auch die Theologie der Gewaltfreiheit voranbringen müsste. Ottaviani meinte: "Die Kirche ist noch nicht so weit, aber du hast die Mission, innerhalb und außerhalb der Kirche zu arbeiten.“ Mein Mann erwiderte: "Wenn Sie mich segnen, dann segnen Sie alle Kriegsdienstverweigerer in mir.“ Ottaviani hat ihn gesegnet.

Die Furche: Und auf dem Konzil hat Ottaviani, dann längst Kardinal, …

Goss-Mayr: … gesagt, dass er prinzipiell den Krieg ablehnt, als es um das 5. Kapitel der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes“ ging.

Die Furche: Aber in dieser Radikalität ist das dann dort nicht eingeflossen.

Goss-Mayr: Es gab eine starke Lobby, die vom Konzil eine Bekräftigung des gerechten Krieges und auch des Gleichgewichts des Schreckens erreichen wollte. Die Auseinandersetzungen darüber waren sehr heftig. Die Enzyklika "Pacem in terris“, ...

Die Furche: … die Papst Johannes XXIII. 1963 auf dem Sterbebett veröffentlicht hat …

Goss-Mayr: … ist weiter gegangen als "Gaudium et spes“, vor allem in der Frage der Ablehnung der Abschreckung, wo "Pacem in terris“ gesagt hat: Das Gleichgewicht des Schreckens muss durch ein Gleichgewicht des Vertrauens ersetzt werden. So weit ist das Konzil nicht gegangen. Aber es ist immerhin gelungen, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung gutgeheißen wurde. Wir hatten drei Punkte vorgeschlagen: 1. die Verurteilung des modernen Krieges und der Abschreckung, 2. die theologische Aufarbeitung der Gewaltfreiheit als Kernpunkt der Botschaft Jesu, 3. die Kriegsdienstverweigerung. Konzilstheologen wie Karl Rahner, Yves Congar und Bernhard Häring haben uns geholfen, diesen Text auf Latein zu formulieren - und der ist dann großteils in die Pastoralkonstitution aufgenommen worden.

Die Furche: Die Aufzählung dieser Namen zeigt, dass auch der fortschrittliche Flügel in dieser Frage gewonnen wurde.

Goss-Mayr: Innerhalb des Konzils ist auch ein Prozess vor sich gegangen: Fragen von Frieden und Gerechtigkeit, wirtschaftlichem und sozialem Unrecht waren nicht vorgesehen. Mein Mann und ich hatten da schon Ost-West-Arbeit gemacht und über den Eisernen Vorhang hinweg einen Dialog aufgebaut - mit der orthodoxen Kirche und mit der sowjetischen Friedensbewegung: In einem kleinen Bereich haben wir erreicht, dass Dialog möglich ist. Wir hatten mit hunderten jungen Leuten am Roten Platz in Moskau über die Möglichkeit diskutiert, anstelle der Abschreckung den Dialog zu führen. Ich glaube, dass dieses Zeugnis, dass tatsächlich ein Dialog möglich ist, dass es die Mission der Christen wäre, diesen Dialog zu fördern, in unseren Gesprächen mit den Bischöfen von großer Bedeutung war.

Die Furche: Ihr Lobbying beim Konzil war aber auch ein starkes Einbringen als Laien - bei den meisten anderen Themen gab es vor allem Priester und Theologen, die die Bischöfe beraten haben.

Goss-Mayr: Ich denke schon, dass es sehr wichtig war. Der Internationale Versöhnungsbund hatte sich zur Frage der Gewaltfreiheit schon bei den Sitzungen des Weltkirchenrates eingebracht. Wir haben das nun auch beim - katholischen - Konzil versucht. Mein Mann und ich haben gesagt: Wir sind auf Jesus Christus getauft und mit unserer Taufe haben wir die Verantwortung, Zeugen zu sein und in der Kirche Mitverantwortung zu übernehmen. Johannes XXIII. hat ja alle aufgefordert, Vorschläge einzubringen, um die Kirche mit den Problemen der modernen Welt zu konfrontieren. Während der Diskussion ums Friedenskapitel in "Gaudium et spes“ hat eine Gruppe von Frauen eine Woche lang gefastet und an die Bischöfe die Botschaft geschickt mit dem Appell: "Wir Frauen, die wir die Leiden der Gewalt und der Kriege kennen und als Mütter uns verantwortlich fühlen für den Frieden, fasten dafür, dass die Bischöfe den Mut haben, ein starkes Wort zur Friedensfrage zu sprechen und der Welt Hoffnung zu geben.“ Der Bischof von Verdun hat das dann im Namen von 70 Bischöfen in der Konzilsaula eingebracht und gesagt: "In meiner Diözese wurde im Ersten Weltkrieg eine Million Menschen getötet; ich überbringe diese Botschaft der Frauen.“ Das war das einzige Mal, dass von außen eine Botschaft ans Konzil aufgenommen wurde!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung