Wenn Sie diese Zeitung erhalten, wird gerade jene außerordentliche Sitzung des ORF-Stiftungsrats im Gange sein, an deren Ende die 35 Mitglieder des Aufsichtsgremiums eine/n Generaldirektor/in für die nächsten fünf Jahre wählen. Eigentlich wäre es ganz einfach: "ORF sucht Chef mit Zukunft" titelte die Presse am Mittwoch. So ist es - oder, noch einfacher formuliert: ORF sucht Zukunft.
Denn darin sind sich die meisten Beobachter einig: Für den ORF steht viel, fast alles auf dem Spiel: Der Neue an der Spitze wird sich einiges einfallen lassen müssen, will er verhindern, dass die Anstalt zwischen dem - teuren aber einzig und allein Gebühren legitimierenden - öffentlich-rechtlichen Auftrag und der - werbegelderträchtigen - Kommerzialisierung zerrieben wird.
Gewiss, die Stammtischweisheit, dass "das Fernsehen immer schlechter wird", begleitet dieses seit Anbeginn. Dennoch hat Generalintendant Gerhard Zeiler relativ schamlos neue Maßstäbe gesetzt, indem er "öffentlich-rechtlich" mehr oder weniger mit "mehrheitsfähig" gleichsetzte: Da hatte dann (fast) alles Platz, da war es nicht mehr weit zum so legendären wie letztlich zynischen Spruch von Ex-RTL-Chef Helmut Thoma, wonach der Wurm dem Fisch, nicht dem Angler schmecken müsse. Gerhard Weis, der sich später gerne als öffentlich-rechtliches Gewissen stilisierte, hatte in seiner großkoalitionären, sich allen anbiedernden Art dem Kurs seines Vorgängers im wesentlichen nichts entgegen zu setzen: Ihm ging es immer vor allem um sich selbst, notfalls hätte er seinen Sessel auch mit Jörg Haiders Hilfe gerettet.
Und dann Monika Lindner, mit der - laut Versprechen der Regierung - alles gut werden sollte. Gekommen ist es anders, am besten vielleicht mit der Paraphrasierung eines ORF-Slogans zu beschreiben: "Alles bleibt schlechter". Nicht so schlecht, wie manche jetzt meinen - ZIB2, Report, Am Schauplatz etwa sind durchaus sehenswert -, aber gemessen am eigenen, hohen Anspruch eben doch für zu leicht befunden. Der Redlichkeit halber ist freilich festzuhalten, dass es zunehmend schwieriger geworden ist - und noch schwieriger werden wird -, "öffentlich-rechtlich" unter den Bedingungen der sich rasant wandelnden Medienlandschaft zeitgemäß zu buchstabieren. Ein Rückgriff auf "Bacher" und "Club 2" hilft da noch nicht wirklich weiter. Die Arbeit der vier "Weisen", die im Hinblick auf ein neues (das jetzt geltende) ORF-Gesetz sich um eine Grundlagen-Definition für den Sender mühten, hat das deutlich gezeigt.
Zu den Rahmenbedingungen des ORF gehört natürlich auch der politische Einfluss. Auch hier lässt sich sagen: Selbst wenn der entsprechende Druck unter der jetzigen Regierung nicht größer geworden sein sollte als früher, wäre es ein Skandal - denn versprochen war anderes: eine neue Kultur auch in dieser Hinsicht. Ob es indes nicht zur genetischen Ausstattung eines öffentlich-rechtlichen Senders gehört, politischen Begehrlichkeiten ausgesetzt zu sein, sei dahingestellt. Vielleicht kommt es nur auf Ausmaß und Stil dabei an ...
Diesmal, knapp vor den Nationalratswahlen, ist die Kür des ORF-Chefs jedenfalls ein Politikum ersten Ranges, bei dem in den letzten Wochen und Monaten schon ungeheurer Schaden angerichtet wurde. Der oder die Neue müsste ein Wunderwuzzi sein, könnte er dies in absehbarer Zeit vergessen machen. RM
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