Rabeya Müller: „Der Koran ist geschlechtergerecht!“

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Feministische Theologie im Islam? Rabeya Müller vom Zentrum Islamische Frauenforschung und Frauenförderung in Köln propagiert eine neue Koranauslegung in weiblicher Perspektive.

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Feministische Theologie im Islam? Rabeya Müller vom Zentrum Islamische Frauenforschung und Frauenförderung in Köln propagiert eine neue Koranauslegung in weiblicher Perspektive.

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Die Furche: Nach der umstrittenen Stellungnahme einer deutschen Scheidungsrichterin heißt es einmal mehr, der Islam erlaube Gewalt gegen Frauen.

Rabeya Müller: Natürlich gibt es die Stelle in Sure 4, Vers 34. Wir haben als Frauenzentrum ein ganzes Buch (s. unten, Anm.) über diesen Vers herausgegeben, weil uns der sehr auf der Seele gelastet hat. Dabei haben wir auch herausgearbeitet - und zwar sowohl theologisch-methodologisch als auch etymologisch -, dass dieses Wort "schlagen" heißen kann, aber nicht muss: Das Wort daraba kann auch "getrennte Wege gehen" heißen. Interessant ist, dass im Koran daraba vier-oder fünfmal vorkommt, aber immer nur an dieser einen Stelle mit "schlagen" übersetzt wird.

Die Furche: Der Spruch der Richterin widerspricht also dem Koran?

Müller: Dem Koran ja, nicht allerdings einigen muslimischen Traditionen. Es ist nicht zu leugnen, dass Männer versuchen, mit diesem Vers, Gewalt gegen Frauen zu legitimieren. Aber es ist an der Zeit, ihnen auf eine adäquate theologisch-wissenschaftliche Weise den Boden zu entziehen.

Die Furche: Ist es möglich, den Koran "frauengerecht" zu machen …

Müller: … nicht "frauengerecht", sondern "geschlechtergerecht"! Wir haben mehrere hermeneutische Möglichkeiten und Methoden hergeleitet - aus dem Koran selbst, aber auch aus den althergebrachten Methoden; eine davon heißt "Hermeneutik der geschlechtergerechten Werkimmanenz". Das bedeutet, es geht nicht darum, den Koran für die Frauen zu biegen, sondern die Geschlechtergerechtigkeit, die ihm inne ist, herauszuarbeiten.

Die Furche: Vor kurzem gab es da auch einen christlichen Versuch: Der große Vorwurf an diese "Bibel in gerechter Sprache" lautet, dass die Bibel dort, wo Aussagen der Bibel nicht frauengerecht seien, sie auf die "Weltanschauung" der Geschlechtergerechtigkeit hin "umgeschrieben" worden sei. Gibt es diese Gefahr nicht auch beim Koran?

Müller: Das glaube ich nicht, denn wir haben ein grundsätzlich unterschiedliches Schriftverständnis. Der Koran ist nicht unmittelbar mit der Bibel vergleichbar, die Bibel hat eine völlig andere Entstehungsgeschichte. Der Koran ist viel eher mit der Person Jesu Christi vergleichbar, und wir sprechen in diesem Zusammenhang sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite von einer fortlaufenden Offenbarung, das heißt, der Koran offenbart sich in jeder Zeit seinem Leser, seiner Leserin neu. Und von daher können wir nicht hingehen und sagen, dass wir jetzt einen Koran in gerechter Sprache bräuchten, es sei denn, es ist uns bewusst, dass eine Übersetzung immer bereits eine Interpretation ist: Dann können wir davon ausgehen und sagen, eine Übersetzung in gerechter Sprache ist eine ganz wichtige Angelegenheit.

Die Furche: Gibt es neben Sure 4,34 weitere Beispiele?

Müller: Etwa die Schöpfungsgeschichte im Koran: In Sure 4, Vers 1, wird grundsätzlich gesagt, dass Gott den Menschen aus einer einzigen Substanz geschaffen hat und im Anschluss daran wird immer übersetzt: "Und daraus erschuf er seine Gattin." Das impliziert logischerweise, dass der erste Mensch ein Mann gewesen ist; daraus leiten viele Traditionalisten ab, dass die Frau nachrangig geschaffen ist. Aber dieses Wort "aus einem einzigen Wesen" ist grammatikalisch weiblich, und entsprechend steht dann bei dem Wort saudsch, das Ehefrau, aber auch Ehemann heißen kann, das Possesivpronomen. Und das wäre, würde es "seine Gattin" heißen, das Wort hu, tatsächlich steht aber ha da - "ihre". Wenn ich saudsch jetzt mit Ehefrau übersetze, dann heißt es wörtlich: "ihre Ehefrau". Und damit hätten einige unserer Hodschas Probleme! Also kann man logischerweise übersetzen: "Und er erschuf aus dieser einzigen Substanz den Menschen - und daraus das entsprechende Partnerwesen". Im Grunde genommen ist es koranisch nicht wesentlich, ob der erste Mensch ein Mann oder eine Frau war, denn es geht darum, die Stellung zwischen Schöpfer und Geschöpf darzustellen.

Die Furche: War die Entwicklung des Islam patriarchal geprägt, sodass man auf diese Spuren nicht mehr stößt?

Müller: Natürlich ist der Koran in eine patriarchale Gesellschaft hinein geoffenbart worden. Entsprechend wurden die Schlüsse auch patriarchal gezogen. Aber wenn wir von einer Gottesvorstellung ausgehen, die von einer gerechten Schöpferkraft spricht, hat man große Schwierigkeiten mit dieser patriarchalen Lesart. Deswegen ist es wichtig, diese verschütteten, geschlechtergerechten Aspekte wieder herauszuarbeiten.

Die Furche: Gibt es im Mainstream der islamischen Welt aber irgendeine Akzeptanz für derartige Überlegungen und Forschungen?

Müller: Das hat sich unglaublich gewandelt. Als unser Buch 2005 erschien, wurde es totgeschwiegen. Dann wurden allerdings die Fragen der nichtmuslimischen Welt in Bezug auf Sure 4,34 und die Frauenfrage überhaupt sehr stark: Plötzlich hörten wir viele der muslimischen Brüder unsere Argumente wiedergeben, allerdings ohne uns zu zitieren! In Deutschland sind wir das einzige Zentrum, weltweit gibt es aber viele muslimische Theologinnen wie Asma Barlas, Amina Wadud, Rifat Hassan, die "Sisters of Islam" in Malyasia, Indonesien, Marokko; letztere haben gar erreicht haben, die Gesetze ihres Landes frauenfreundlicher zu gestalten. Schön wäre es, wenn wir uns mehr vernetzen würden …

Die Furche: … und mit christlich-feministischen Theologinnen?

Müller: Ja. Darin bin ich selbst engagiert.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Buch zum Thema: Ein Einziges Wort und seine große Wirkung. Eine hermeneutische Betrachtungsweise zum Qur'an, Sure 4 Vers 34, mit Blick auf das Geschlechterverhältnis im Islam. Hg. Zentrum für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung, Köln 2005.

Zu beziehen über: www.zif-koeln.de

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