Der Laptop im Orchestergraben

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Die elektronische Musik, die bedeutendste Musikform der Gegenwart, hält Einzug in die Tempel der Hochkultur.

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Die elektronische Musik, die bedeutendste Musikform der Gegenwart, hält Einzug in die Tempel der Hochkultur.

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Ob hämmernder Techno-Rhythmus oder kunstvolles Gepiepse und Geblubber - elektronische Musik ist die bedeutendste, lebendigste Musikform der Gegenwart. Nirgendwo anders werden so konsequent neue Wege beschritten, nirgendwo anders ist die Verbindung zwischen Kunst und Jugendkultur so eng wie im Bereich der elektronischen Musik. Wer hätte gedacht, daß vergeistigte Adepten der Neuen Musik und hedonistische Techno-Fans je eine gemeinsame Kommunikationsbasis fänden (und sei es nur eine musikalische)? Jugend und Kultur im engeren Sinn - hier ist zusammengewachsen, wovon manche glaubten, es könne nicht mehr zusammengehören.

In Wien ist die die elektronische Musik im Begriff, die Tempel der Hochkultur zu erobern. Das Künstlerhaus präsentiert bis 16. April die einschlägige Ausstellung "sounds& files", eine exzellent durchdachte und ansprechend präsentierte Schau über die elektronische Musik in Gegenwart und Geschichte. Und nach dem unerwarteten Erfolg der Tschaikowsky-Bearbeitung "Schwanensee remixed" läd die Volksoper am 5. April zu "Audio Inn", einem abermals von den beiden Discjockeys Patrick Pulsinger und Erdem Tunakan konzipierten Elektronik-Abend. Es ist genau genommen eine Rückkehr, denn der Ursprung der elektronischen Musik liegt in der Hochkultur, nämlich in der Neuen Musik - zu einer Zeit, wo dort noch Kulturgeschichte geschrieben wurde.

"In der bisherigen Musikgeschichte hat es kaum eine radikalere Entwicklung gegeben. Der Musiker sieht sich vor die gänzlich ungewohnte Situation gestellt, den Klang selbst erschaffen zu müssen", schwärmte Pierre Boulez 1955. In jenen Jahren hatten sich Boulez und Komponistenkollegen wie Olivier Messiaen, Karlheinz Stockhausen oder Iannis Xenakis auf Entdeckungsreise in die bisher unbekannten Klangwelten begeben. 1953 war das legendäre Nordwestdeutsche Rundfunk Studio für elektroakustische Musik in Betrieb genommen worden, in dem aus Sinustönen - den elementaren Bauteilen aller Töne - mittels Filtern und Verzerrern beliebige Klänge und Geräusche erzeugt werden konnten. Nach diesem Prinzip funktionierte auch der von Robert Moog Mitte der sechziger Jahre erfundene Synthesizer, der Klänge sowohl erzeugen, als auch nach Belieben verändern konnte.

In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts nahm der britische Musiker Brian Eno für sich in Anspruch, die Werkzeuge der populären Musik mit der Theorie der E-Musik verbunden zu haben. Seine Platte "Music for Airports" (1978) gilt als Meilenstein der elektronischen Musik, ebenso wie die Alben des legendären deutschen Quartetts Kraftwerk ("Autobahn", "Die Mensch Maschine") "Was zu Beginn nur in öffentlich finanzierten Experimentalstudios erprobt werden konnte, läuft mittlerweile über Gerätschaften, die auf Koffergröße oder Aktentaschenformat zusammengeschrumpft sind", erklärt Roland Schöny, einer der Kuratoren von "sounds&files", den heutigen Stand. Der Laptop ist so zum wohl wichtigsten Musikinstrument der Gegenwart geworden. CDs können heute praktisch im Wohnzimmer produziert werden. Die klassische Rockband, die im Proberaum die Rebellion übt, ist zu einem Anachronismus der Jugendkultur geworden. Elektronische Musik ist allgegenwärtig.

Techno - die simple, tanzbare Form der elektronischen Musik - war die beherrschende Musikform des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Heute bildet sie die Klangkulisse für Massenevents, die Zeit ist nicht mehr fern, wo Techno ist musikantenstadeltauglich sein wird. Durch diese Inflation der computergenerierten Musik ist die Bereitschaft eines aufgeschlossenen Publikums größer geworden, sich von einem durchgehenden Rhythmus oder vorgegebenen Taktfolgen zu lösen.

Dieser "Emanzipationsprozeß von schematisierten Kompositionsformen" (Schöny) treibt bisweilen - zumindest für Außenstehende - seltsame Blüten: In Szene-Lokalen wie dem "rhiz" unter den Wiener Gürtelbögen kann es schon passieren, daß Stockhausen oder elektronisch verfremdete Bach-Kantaten den Hintergrund für gepflegtes Geplauder abgeben. So wird plötzlich zumutbar, was ein junges, dem Fortschrittsgedanken verpflichtetes Publikum in einem anderen Kontext weit von sich weisen würde.

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