Der Lauf der Ameise als Paradefall

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Das Wiener MUMOK widmet Peter Kogler eine umfangreiche Werkschau. Der Künstler ist heute vor allem durch seine Interventionen an öffentlichen Orten bekannt.

Die Renaissancekünstler waren unter anderem stolz darauf, dass sie mit Hilfe der neu entwickelten Methode der perspektivischen Konstruktion die Wirklichkeit so abbilden konnten, wie sie tatsächlich ist. Zumindest nahmen sie das an. Bereits eine Generation später verwendete man das Prinzip, um es in der abgewandelten Form der Anamorphose zur bewussten Verzerrung des Dargestellten einzusetzen. Die barocken Deckenfresken etwa bedienen sich dieses Tricks, um die Architektur aus Stein und Mörtel mit malerischen Mitteln in fiktive Räume zu erweitern. Spätestens hier wurde auch klar, dass sich die Wirklichkeit mit der Auswahl des Betrachterstandpunktes ändert. Für große Teile seines Œuvres zum System gemacht hat diese Erkenntnis in unserer Zeitgenossenschaft Peter Kogler, dem das Museum Moderner Kunst eine umfangreiche Werkschau widmet.

Heutzutage ist Peter Kogler vor allem für seine auf ganze Architekturen bezogenen Interventionen an öffentlichen Orten, wie etwa dem Grazer Hauptbahnhof oder dem Parkhaus beim Flughafen Wien, bekannt. Was sich hier als verschlungene Röhrenstränge oder zerrinnende Flüssigkeitsspuren über riesige Flächen spannt, nimmt Ende der siebziger Jahre in kleinen Aktionen und Filmsequenzen seinen konzeptuellen Anfang. In einer Performance im Jahr 1979 vollzog Kogler mit verschränkten Beinen einen Kopfstand, er und die neben ihm stehende Topfpalme warfen einen ähnlichen Schatten an die Wand. "Die Verwandlung des Körpers in ein Bild für anderes und der Vorgang insgesamt, der auf filmische Projektionen anspielt, suggeriert eine Angleichung des Verschiedenen, lässt aber den Prozess der Täuschung sichtbar werden", schreibt Rainer Fuchs im exzellenten Katalogbuch zur Ausstellung. Rumpf und Stängel tauchen später als Röhren wieder auf.

Das Labyrinth als Abbild der Welt

Ein Film aus dem Jahr 1981 verfolgt den Lauf einer Ameise über eine Zeitungsseite und erzeugt damit den Paradefall von Koglers Bildwelt. Die symmetrische Körperform des Insekts, dessen Laufspuren sich in ein unübersichtliches Labyrinth auswachsen, das sich überhaupt nicht an die Vorgaben der Schrift hält, lässt dieses Tier zu einem Lieblingsobjekt für viele weitere Arbeiten werden. Bilder vom Hirn passen sich dieser spannungsreichen Struktur zwischen Geordnetheit und dem nicht nachvollziehbaren Chaos, im Fall der Ameise als deren Laufspur, im Fall des Hirns als dessen Oberflächenbeschaffenheit, an.

Freilich, Peter Kogler geht es nicht um symbolische Aufladungen konkreter Gegenstände. Viel lieber kümmert er sich um Strukturierungsmöglichkeiten unserer gestalteten Umwelt. Seine Netze, die sich wie Verkehrsadern den Betrachtern an den Wänden, Decken und Fußböden der Präsentationsräume als Leitsystem anbieten, meiden jedoch jede Eindeutigkeit. Sie geben wunderbare Wege vor, verhehlen aber nicht, dass deren tatsächliche Besonderheit im Labyrinthhaften liegt und gerade deswegen genauso als Abbild der Welt gesehen werden können. Da beginnen dann bereits fix an Wand und Decke angebrachte Konstruktionsstreifen als zweite anamorphotisch aufgeklebte Architektur damit, den tatsächlich umbauten Raum in Schwingungen zu versetzen und die Betrachter mit auf eine "Weltreise" zu nehmen - vielleicht zu dem, was diese im Innersten zusammenhält.

Peter Kogler, Retrospektive

Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig

1070 Wien, Museumsplatz 1

bis 25. 1. 2009, Mo-So 10-18, Do 10-21 Uhr

Katalog: Museum Moderner Kunst (Hg.), Peter Kogler. Retrospektive, Köln 2008, 286 S., e 39,-

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