Der lauteste Tag der Geschichte

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Schon vor 121 Jahren, am 27. August 1883, wurden große Küstengebiete im Indischen Ozean von einer Serie ungeheurer Tsunamis verheert. Anders als am 26. Dezember 2004 war kein Seebeben, sondern die Explosion des Vulkans Krakatau in der Sundastraße zwischen Java und Sumatra die Ursache.

Als ich auf das Meer hinausblickte, bemerkte ich in der Düsternis ein dunkles, schwarzes Objekt, das auf die Küste zukam. Auf den ersten Blick wirkte es wie eine flache Hügelkette, die aus dem Wasser aufragte - doch ich wusste, dass es in jenem Teil der Sundastraße nichts dergleichen gab. Ein zweiter Blick - ein sehr hastiger zudem - überzeugte mich, dass es sich um einen riesigen, mehrere Fuß hohe Wellenkamm handelte."

Diese Beobachtung machte ein holländischer Lotse, als er den Strand von Anyer, einer kleinen Hafenstadt auf Java in Indonesien entlangspazierte - 121 Jahre vor der Flutkatastrophe, die vorvergangene Woche weite Teile Südostasiens heimsuchte.

165 Orte aus der Welt gefegt

Der zweite Blick fiel wohl auch deswegen so hastig aus, weil unser Lotse unmittelbar nach seiner Beobachtung um sein Leben rannte. Während er sich "an die Palme klammerte ... trieben die Leichen so mancher Freunde und Nachbarn vorüber. [...] Wo einst die geschäftige Gemeinde blühte, ist kaum noch etwas zu sehen." So wie Anyer wurden weitere 164 Orte zerstört, rund 35.000 Menschen wurden getötet, Abertausende verletzt.

Diese Zerstörung war Folge der Abschiedsvorstellung, die der 790 Meter über den Meeresspiegel ragende Vulkan Krakatau der Welt gab, bei der er sich mit vier ungeheuren Explosionen von den Landkarten dieser Welt sprengte. Mehr als 16 Millionen Kubikmeter Gestein waren dabei zerborsten und zu Asche, Bimsstein und Staub geworden.

Dass dieses Ereignis mehr war als der dramatischste Vulkanausbruch der Menschheitsgeschichte, erfahren wir in dem 2003 erschienenen Buch des britischen Journalisten und Autors zahlreicher Sachbücher, Simon Winchester.

Die Katastrophe vom 27. August 1883 gilt als das erste globale Ereignis. Die schicksalhaften Ereignisse in der Sundastraße, die vom 24. Mai an drei Monate andauerten, wurden weltweit und gleichzeitig wahrgenommen (siehe Kasten "Fünfzehn Worte"). Erstmals wurde auch nachgewiesen, dass ein - entsprechend großes - Naturereignis sich global bemerkbar macht. So wurde etwa die Flutwelle noch 10.729 Seemeilen entfernt im französischen Hafenstädtchen Socoa nahe Biarritz als sieben Gezeitenschwankungen von sieben Zentimetern Höhe gemessen.

Siebenmal um den Globus

Der Schall der vier finalen Detonationen wurde noch auf der 4.700 Kilometer weit entfernten Insel Rodriguez gehört. Das ist bis heute die größte Distanz, über die sich Schall nachweislich übertragen hat. Krakataus Ende ist damit das wahrscheinlich lauteste Ereignis der Menschheitsgeschichte. Unhörbare Druckwellen umkreisten, wie sich bald herausstellte, den Globus siebenmal. In jener Zeit zahlreicher Entdeckungen und Erkenntnisse betätigte man sich auch im Privaten naturwissenschaftlich. So gab es damals in vielen Häusern Barometer, wo man es sich leisten konnte sogar so genannte Barographen, die die atmosphärischen Schwankungen - natürlich auch jene, die auf Krakatau zurückzuführen waren - aufzeichneten.

Aber auch alle jene Menschen auf der Erde, die sich keine teuren Apparaturen leisten konnten, nahmen eine der Folgen der Naturkatastrophe wahr. Durch die Explosionen waren Millionen Tonnen feinsten Staubes in die oberen Schichten der Atmosphäre geschleudert und durch die starken Winde in diesen Höhen rund um den Erdball verteilt worden. Die Wolke aus vulkanischen Feinstäuben absorbierte und reflektierte das Licht der untergehenden Sonne und sorgte so für hinreißende Abendhimmel in allen möglichen Rottönen, wie man auf zahlreichen Gemälden von Landschaftsmalern jener Epoche sehen kann. Durch das Studium dieser Ereignisse erschlossen sich die Luftbewegungen der oberen Atmosphäreschichten, was sich für die moderne Meteorologie als bedeutsam erweisen sollte.

Alle diese weltumspannenden Erscheinungen wurden gewissenhaft vom Krakatau-Komitee der britischen Royal Society zusammengetragen, ausgewertet und in einem umfassenden Bericht veröffentlicht.

Der Rabauke kommt zurück

Krakatau, der sich in jenem Sommer 1883 plötzlich und ohne Vorwarnung in die Geschichte pöbelte und in Luft auflöste, hat sich neuesten Erkenntnissen zufolge wahrscheinlich schon einmal vor mehr als 60.000 Jahren mit einem lauten Knall pulverisiert. Seit 1927 reklamiert er als Anak Krakatau, malaiisch für "Kind des Krakatau", von neuem seinen Platz in der Geografie dieser Welt - bis auf Weiteres.

Buchtipp:

Krakatau. Der Tag, an dem die Welt zerbrach. 27. August 1883

Von Simon Winchester. Albrecht Knaus Verlag, München 2003, 367 Seiten mit zahlr. Abb., geb., e 24,60

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