Der letzte Romantiker

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Michel Houellebecq konfrontiert den Leser mit Verdrängtem.

Es ist, als ob er mit seinen nikotingelben und nach Whisky riechenden Fingern in offenen Wunden wühlen würde: Wann immer die Sprache auf Michel Houellebecq kommt, erheben sich empörte Stimmen. "Ein frauenfeindlicher, dumpfer, reaktionärer Rassist", befanden aufgeschreckte profil-Redakteure, als ein offenbar genervter und wohl betrunkener Houellebecq ihnen ein paar politisch inkorrekte Sätze ins Mikro nuschelte. Andere Medien bekamen andere Antworten, dennoch kommt die Aufregung nicht von ungefähr: In seinem jüngsten Roman "Plattform" nämlich zwingt der skandalumwitterte französische Schriftsteller den Leser, in die gähnende Kluft hinabzublicken zwischen der Welt, wie sie ist, und der Welt, wie wir sie uns wünschen.

Denn "Plattform" kann als Thesenroman gelesen werden, als Illustration weltanschaulicher Prämissen des Autors. These eins: Der Islam ist eine Bedrohung für den Westen. These zwei: Das (sexuelle) Verhältnis zwischen Mann und Frau ist im Westen hoffnungslos gestört. Mit der Formulierung dieser Thesen rührt Houellebecq an einen gigantischen Verdrängungsmechanismus der westlichen Öffentlichkeit, denn kaum jemand will auch nur die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass an diesen Annahmen etwas Wahres dran sein könnte.

Wie schon "Elementarteilchen", hat sich "Plattform" als visionäres Werk erwiesen. Erschienen im August des Vorjahres, nahm es die Ereignisse vom 11. September vorweg: Im Buch fordert ein Attentat islamischer Fundamentalisten auf einen von Sextouristen (beiderlei Geschlechts) frequentierten Ferienclub in Thailand über 100 Todesopfer. Und die Reaktionen im Roman ähneln zum Verwechseln bestimmten Reaktionen auf die realen Terroranschläge: "Was bedeutet schon der Tod einiger satter reicher Europäer ..."

Houellebecq scheut sich nicht, entgegen der allgemeinen Heuchelei, sein Unbehagen über den Islam zum Ausdruck zu bringen. Wer etwa behauptet, der Islam habe nichts mit islamistischem Terror zu tun, der belügt sich selbst, die übermäßigen Reaktionen auf Houellebecqs offene Abneigung gegen den Islam sprechen Bände. "Der Islam ist die bescheuertste Religion der Welt", äußerte sich Houellebecq wenig diplomatisch - doch dies sollte eigentlich eine zulässige Meinung sein. Kein Bischof würde ernsthaft gegen dieselbe Äußerung in Bezug auf das Christentum gerichtlich vorgehen, Houellebecq hingegen hat ein Verfahren wegen "Anstiftung zum Rassenhass und zur religiösen Gewalt" am Hals. Die heftigsten, aus dem Kontext gerissen tatsächlich bedenklichen Ausfälle gegen den Islam (siehe Zitat) äußert der Ich-Erzähler von "Plattform" freilich, nachdem ihm fanatische Mörder im Namen dieser Religion alles genommen haben, was ihm etwas bedeutete.

Dass Houellebecq auf die Kollateralschäden der Emanzipation hinweist, hat ihm mindestens ebensoviel Kritik eingetragen. Die westlichen Frauen, so heißt es in "Plattform", hätten ihre Ansprüche viel zu hoch geschraubt: sie wollen aufregende und interessante Männer, Galans, die sie täglich aufs Neue mit ausgefeiltesten erotischen Kniffen verführen. Die meisten Männer jedoch seien langweilige Durchschnittstypen, uncharmant und unfähig, eine geistreiche Konversation zu führen. Die traditionelle Rolle als Hausfrau komme für viele Frauen überhaupt nicht mehr in Frage, die Männer hingegen wünschen sich insgeheim nach wie vor eine liebe Frau, die den Haushalt führt und sich um die Kinder kümmert. Und sie wünschen sich die schnelle Nummer vor dem Einschlafen ohne lästiges Drumherum. Houellebecq nennt den Ausweg, den viele Männer wählen, beim Namen: "Pornoprodukte und Prostitution", als höchstes der Gefühle die Sexreise nach Thailand. Oder sie suchen sich mittels Heiratsagenturen asiatische Frauen, die noch ganz in die traditionelle Frauenrolle fügen. "Ich kenne keine andere Lösung", bedauert Houellebecq, der den Auswegen des gebeutelten westlichen Mannes Verständnis und Mitleid, keineswegs aber Hochachtung entgegenbringt. Auch wenn einem andere Lösungen in den Sinn kommen mögen - die verfahrene Situation zwischen Mann und Frau ist eine Realität.

Michel und Valérie gehen in "Plattform" einen dritten Weg - und das ist das wirklich Aufregende an diesem Roman: Houellebecq, der große Pessimist, der auch in Liebessachen bislang nur noch die grausamen Gesetze des freien Marktes walten sah, hat nicht nur einen Thesenroman, sondern einen wunderschönen Liebesroman geschrieben. Inmitten einer kranken Welt finden zwei ihre Erfüllung in absoluter Hingabe aneinander. Houellebecq outet sich damit als einer der letzten Romantiker, der einer altmodischen, als kitschig verschrieenen Vorstellung von Liebe huldigt.

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