Als Autor der düsteren Utopie einer "Schönen Neuen Welt“ ist der englische Schriftsteller Aldous Huxley in den 1930er-Jahren weltberühmt geworden. Als Autor des viel diskutierten Drogen-Essays "Die Pforten der Wahrnehmung“ hat er in den 1960er-Jahren bei der rebellierenden Jugend und der um sich greifenden Pop-Kultur maßgeblichen Einfluss erlangt. Und als Autor des weniger beachteten letzten Romans "Eiland“ hat er der Nachwelt sein utopisches Vermächtnis, das Destillat seiner geistigen Streifzüge und spirituellen Suche hinterlassen. Als Huxley am 22. November 1963 im Alter von 69 Jahren starb, ging diese Nachricht fast unter: Denn es war jener Tag, an dem John F. Kennedy in Dallas einem Attentat zum Opfer fiel.
Heute, zur Zeit seines 50. Todestags, erinnert eine Ausstellung im Londoner "Dairy Art Center“ mit zeitgenössischen Kunstwerken frei assoziativ an das bittersüße Szenario in Huxleys Roman "Eiland“: ein pazifistischer Staat auf einer tropischen Insel; ein an spirituellen Werten orientiertes Gemeinwesen; modernste Wissenschaft im Dienst menschlicher Entfaltung; sowie der stets drohende Untergang dieses Idylls durch die Machenschaften der Ölindustrie und die Expansion einer Militärdiktatur.
Biologie der Persönlichkeit
Zu Beginn des dritten Jahrtausends erscheint Aldous Huxley tatsächlich zeitgemäßer denn je - dann nämlich, wenn man Aspekte seines Spätwerks im Lichte aktueller wissenschaftlicher Entwicklungen betrachtet. Der gelehrte Schriftsteller bemühte sich Zeit seines Schaffens, zwischen den Wissenskulturen der Natur- und Geisteswissenschaften zu vermitteln. Sein Denken war exemplarisch interdisziplinär - ein Zauberwort, das heute gern strapaziert wird, aber noch kaum institutionalisiert ist. Das leuchtende Kaleidoskop von Huxleys Interessen wird gerade anhand des Romans "Eiland“ deutlich, dem eine gedankliche Vorlaufzeit von 20 Jahren zugeschrieben wird. Zu den vorbereitenden Studien zählte Huxley unter anderem "griechische Geschichte, polynesische Ethnologie, Übersetzungen von buddhistischen Texten in Sanskrit und Chinesisch sowie wissenschaftliche Beiträge aus den Bereichen Pharmakologie, Neurophysiologie, Psychologie und Pädagogik.“
Parallel zu seiner Wandlung vom zynischen Intellektuellen zum "modernen Heiligen“ (A. Kupfer) entwickelte sich Huxley vom Fortschrittsskeptiker zum Technologie-Optimisten. Biomedizinische Manipulationen sind bereits im Roman "Schöne Neue Welt“ zentral, und Huxleys Einschätzung, dass künftig gesellschaftliche Umwälzungen durch die biologischen Wissenschaften in Gang gesetzt werden, ist auch für sein Spätwerk - positiv gewendet - prägend. So kommen in "Eiland“ diverse Eingriffe am menschlichen Körper zum Einsatz, die zeigen, welche hochtrabenden Hoffnungen der Autor mit den künftigen Möglichkeiten der Medizin verband: beispielsweise die frühzeitige Identifizierung krimineller oder politisch gefährlicher Persönlichkeiten mittels diagnostischer Verfahren sowie die medikamentöse Behandlung entsprechender Risikopersonen, um einen "Haufen potentieller Versager und Verbrecher, Tyrannen und Sadisten“ in eine Gruppe "nützlicher Bürger“ zu verwandeln.
Mit solchen Szenarien hat der englische Autor die Idee einer biotechnologisch gesteuerten Persönlichkeitsveränderung vorweggenommen, die im wissenschaftlichen Diskurs erst seit den 1990er-Jahren für höchst kontroverse Debatten sorgt: Mit seinem Bestseller "Glück auf Rezept“ (1993) etwa prägte der US-amerikanische Psychiater Peter Kramer den Begriff der "kosmetischen Psychopharmakologie“ und diskutierte die Anwendung von Psychopharmaka auch im Sinne des Persönlichkeitsdesigns. Zehn Jahre später prognostizierte der Bioethiker Gregory Stock, dass durch Psychopharmaka und genetische Manipulation bald extreme Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmale nutzbringend für die Gesellschaft korrigiert werden können. Der Politologe Francis Fukuyama hingegen bezog sich auf Huxleys technokratische Utopie in "Schöne Neue Welt“ und warnte vor dem Potenzial der Biotechnologie, die menschliche Natur grundlegend verändern zu können.
Ahnherr der Neurotheologie
Das Gehirn ist bei Huxley der konkrete Ansatzpunkt für politische Repression und Täuschung ("Schöne Neue Welt“) oder für das Realisieren des ultimativen menschlichen Potenzials ("Eiland“). Sein Werk kündet bereits vom Höhenflug der Gehirnforschung, der gegen Ende des 20. Jahrhunderts begonnen hat. Damit einhergehend ist ein Menschenbild in den Vordergrund getreten, in dem sämtliche Aspekte der Persönlichkeit primär auf einer biomedizinischen Ebene aufgefasst werden. Der Soziologe Nikolas Rose sprach in diesem Zusammenhang kritisch von einem "neurochemischen Selbst“. Bei Huxley ist dieses verstärkt neurochemische Verständnis zwar bereits angelegt, aber stets in ein ganzheitliches Menschenbild eingebettet, das auch eine spirituelle Dimension mit einschließt. Bezeichnend ist insofern, dass der englische Schriftsteller, der seit den 1930er-Jahren ein ausgeprägtes religiöses Interesse entwickelt hatte, seine literarische Imagination gerade an den Schnittstellen von Neurowissenschaft und Spiritualität entfaltete. Im Roman "Eiland“ etwa prägte Huxley den Begriff der "Neurotheologie“, lange bevor dies zum beliebten Schlagwort für die Beschäftigung mancher Neurowissenschaftler mit religiösen Phänomenen werden sollte.
Die illustren Experimente heutiger "Neurotheologen“ sind mit ihrem grundsätzlichen Erkenntnisinteresse in Huxleys Werk vorweggenommen: Man denke an Forscher wie Michael Persinger, der bei seinen Probanden mit einem Elektrohelm die Schläfenlappen des Gehirns stimulierte, um deren Rolle bei religiösem Erleben zu erhellen, oder Andrew Newberg, der die Gehirnaktivität von Testpersonen während des kontemplativen Gebets oder der Meditation evaluierte. Bereits in Huxleys Roman "Eiland“ streben Neurotheologen danach, die neurologischen Korrelate spiritueller Erfahrungen zu erforschen - von Visionen, Telepathie und anderen parapsychologischen Phänomenen bis hin zur "vollentfalteten“ Mystik. Auch die pharmakologische Erforschung halluzinogener Drogen, denen der Autor aufgrund seines einschneidenden Meskalin-Experiments das Potenzial einer sakralen Wirkung zuschrieb, erscheint hier im Kontext solch "empirischer Theologie“.
Die Entdeckung der Achtsamkeit
Auffallend ist nicht zuletzt, dass in Huxleys utopischer Gegenwelt das Üben von Achtsamkeit in allen Gesellschaftsbereichen dermaßen selbstverständlich ist, dass sogar die tropischen Vögel regelmäßig daran erinnern: "Gib acht!“, singen sie eintönig, manchmal auch nur "Hier und Jetzt!“ Die Inseleinwohner in Huxleys Romans praktizieren Meditation und kultivieren somit die heilsame Geistesqualität der Achtsamkeit, um tief sitzende destruktive Gewohnheiten zu durchbrechen und "klüger zu werden auf der Ebene konkreter Erfahrungen und persönlicher Beziehungen.“ Dass Achtsamkeit seit den 1970er-Jahren aus einem ursprünglichen spirituellen Kontext für wissenschaftsbasierte Anwendungen in der Medizin, Psychotherapie oder Pädagogik übersetzt wurde, konnte Huxley noch keinesfalls ahnen; ebenso wenig wie die zeitgemäße Sehnsucht nach Besinnung im Zuge des aktuellen "Achtsamkeitsbooms“.
Ob sich der Autor mit der Entwicklung der westlichen Gesellschaften en gros hätte anfreunden können, darf angesichts seiner radikalen Ideen bezweifelt werden. Dass heute im angloamerikanischen Raum das interdisziplinäre Feld der "kontemplativen Wissenschaften“ begründet wurde und an der renommierten Universität Oxford das Phänomen der Achtsamkeit klinisch und neurowissenschaftlich erforscht wird, würde ihn aber zweifellos erfreuen - und zeugt einmal mehr von der visionären Kraft seines literarischen Werks.