"Der Logik der Ausbeutung entkommen“

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Der ecuadorianische Ökonom Alberto Acosta fordert einen tiefgreifenden Wandel von Politik und Gesellschaft: Die Menschheit müsse lernen, mit der Natur harmonisch zusammenzuleben.

Der ecuadorianische Ökonom und Ex-Politiker Alberto Acosta beschäftigt sich seit Langem mit der Frage nach Alternativen zum herkömmlichen Modell von Entwicklung und Fortschritt. Das indigene Konzept des "Guten Lebens“ aus dem Andenraum ist für ihn der passende Gegenentwurf zu unserer Wachstumsideologie.

DIE FURCHE: Wenn ich meinen Mitmenschen in Österreich die Aktualität des indigenen Konzepts des Buen Vivir, des sogenannten Guten Lebens, erklären will, stoße ich immer wieder auf die Reaktion, dass sie das als indigene Esoterik, als Mystizismus verstehen. Wie würden Sie das den Europäern in möglichst prägnanter Form erklären?

Alberto Acosta: Ich würde als Ausgangspunkt für eine Reflexion über dieses Konzept, das die Quechua-sprechenden Indígenas Sumaq Kawsay nennen und die Aymara Suma Qamaña, erklären, dass diese Weltsicht kein theoretisches Konstrukt ist und auch keines für die Zukunft, sondern eines, das in der Gegenwart und in der Praxis lebt. Das Leben der indigenen Völker baut sich rund um dieses Konzept auf. Es ist nicht in die Zukunft gerichtet, sondern lebt in der Gegenwart. Viele Gemeinschaften haben mit ihren Werten und ihren Grundsätzen, mit ihrer Logik des Guten Lebens nicht nur das Überleben von 500 Jahren Kolonialgeschichte geschafft, sondern sie haben sich bewusst an den Rand der sogenannten westlichen Zivilisation gestellt, um sich eine Lebensoption zu schaffen.

DIE FURCHE: Ich habe den Eindruck, dass trotz aller Katastrophen und Krisen rund um unseren Entwicklungs- und Fortschrittsbegriff Entwicklung einfach immer noch zu positiv besetzt ist und die Menschen deshalb davor zurückschrecken, Alternativen zur Entwicklung anzudenken.

Acosta: Das spielt sich aber nicht nur hier ab, sondern in vielen Regionen der Welt. Die Idee der Entwicklung hat die Menschen wie ein Traum gefangen genommen, der aber für viele zu einem Albtraum geworden ist, denn auf der Suche nach der Entwicklung haben wir alle möglichen Übergriffe begangen. Ganze Kulturen, ganze Völker sind ausgerottet worden, die materielle Lebensgrundlage vieler Gemeinschaften wurde zerstört. Und trotz all dieser Erfahrungen hat das Schlagwort Entwicklung immer noch einen ungeheuer starken Symbolgehalt. Viele Gesellschaftssektoren auf der ganzen Welt wollen immer noch innerhalb dieser Logik der Entwicklung leben.

Wir dürfen nicht vergessen, dass im Jahr 1949, als US-Präsident Truman dieses Konzept der Entwicklung offiziell in die Geschichte einführte, zugleich eine verhängnisvolle Dichotomie etabliert wurde: entwickelte und unterentwickelte Länder, arme und reiche Länder, erfolgreiche und gescheiterte Länder. Und es wurde dadurch auch die Tür verschlossen, dass die armen, unterentwickelten, gescheiterten Länder andere Wege finden, die sie zu anderen, würdigeren Lebensformen führen. Stattdessen haben diese armen Länder versucht, das Niveau der reichen Länder zu erlangen, was natürlich unmöglich ist. Doch obwohl es unmöglich ist, träumen die Menschen weiterhin davon, dass sie in den Genuss dieser Art von Entwicklung kommen.

DIE FURCHE: Glauben Sie, dass all das, was wir jetzt als Konzept des Guten Lebens zusammenfassen, zu einem globalen Kampf gegen den wildgewordenen Kapitalismus, für eine Zukunft der Menschenwürde, der Solidarität führen wird?

Acosta: Ich glaube schon. Nein, sicherlich sogar. Das Konzept des Guten Lebens kann viele Menschen in Einklang bringen. Es gibt viele Menschen auf der Welt, und vor allem in Europa, wo die Krisen ständig an die Tür klopfen, die ihren Wohlstand bedroht fühlen. Und die Leute sagen sich, wir müssen etwas unternehmen. In diesem Moment taucht ein Vorschlag vom Rand der Peripherie, von den marginalisierten Völkern auf.

DIE FURCHE: Sie sind von der Ausbildung her Ökonom.Wie müsste oder könnte eine Ökonomie aussehen, die der Menschheit als Ganzes ein nachhaltiges Überleben sichert?

Acosta: Zu allererst müssen wir sehen, dass die Menschheit ein Teil der Natur ist. Wir dürfen einfach nicht glauben, dass wir das Recht haben, die Natur auszubeuten. Das muss uns dazu führen, ein neues Instrumentarium einzuführen, um mit der Natur harmonisch zusammenzuleben. Diese Vorstellung ist ja schon einigermaßen akzeptiert.

Die Wirtschaft muss lernen, dass es nicht nur einen Tauschwert, sondern auch einen Gebrauchswert gibt, und das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Wirtschaft braucht eindeutig einen zivilisatorischen Umschwung, der der dazu führen muss, dass sie und auch die Menschenrechte keine Ware mehr sind. Die Märkte müssen kontrolliert und zivilisiert und der Staat muss partizipativ werden. Und die Zivilgesellschaft muss organisiert werden - das ist das dritte Standbein. Also eine andere Wirtschaft, ein anderer Staat und eine Zivilgesellschaft, die in die wirtschaftlichen und staatlichen Angelegenheiten eingreift.

DIE FURCHE: Es erscheint aber als ein großer Widerspruch, wenn nun gerade die Staaten, die dieses Konzept des Buen Vivir in ihre Verfassung aufgenommen haben, nämlich Ecuador und Bolivien, an einer Wirtschaftspolitik des Wachstums und der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen festhalten bzw. diese fortführen. Irgendetwas stimmt da nicht?

Acosta: Ja, da besteht ein enormer Widerspruch zwischen dem Diskurs und der Praxis. Selbst die Eliten der fortschrittlichen Regierungen haben es als eine unbestrittene Gegebenheit aufgefasst, dass man sich am Weltmarkt orientieren muss, besonders im Bereich der Rohstoffe. Und da beginnt eine Reihe von Problemen. Sowohl Ecuador als auch Bolivien waren bisher nicht imstande, einen entsprechenden Übergangsprozess einzuleiten und der Logik der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zu entkommen. Und ein drittes Element: Die ökonomischen und sozialen Gruppen, die von dieser Wirtschaft profitiert haben, üben weiterhin Druck aus, um diese Ausbeutungsökonomie fortzusetzen.

DIE FURCHE: Hat das Konzept des Guten Lebens die Fähigkeit, sich weltweit als Alternative zur Entwicklung, und auch als eine Alternative zum Kapitalismus, zu etablieren?

Acosta: Zweifellos. Das Gute Leben ist aus verschiedenen Gründen eine Alternative zur Entwicklung. Zuerst einmal weil es einen strikten Respekt vor den Rechten der Menschen und der Natur verlangt. Die Wiederbegegnung mit der Natur bedeutet, sie von ihrem Warencharakter zu befreien und den Menschen als einen Teil von ihr zu verstehen - was natürlich dem traditionellen Verständnis von Entwicklung völlig widerspricht, das auf einer ständigen Akkumulierung von Gütern beruht. Das Konzept des Guten Lebens stellt von seinem Wesen her die Entwicklung, den Fortschritt, die herkömmlichen Ideen infrage, weshalb wir von einer Alternative zur Entwicklung sprechen. Es handelt sich jedoch nicht nur um eine Alternative im Bereich der Umwelt, sondern auch im Sozialen. In diesem Kontext stellt das Gute Leben die herkömmliche Vorstellung von Fortschritt als einer ständigen und unendlichen Anhäufung von Gütern infrage. Das Gute Leben öffnet die Tore zu einer umfassenden und sehr reichen Diskussion, die nicht nur im andinen und lateinamerikanischen Raum geführt wird, sondern weltweit, in anderen Kulturen, in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

* Das Gespräch führte Werner Hörtner |

Volkswirt und Reformer

Alberto Acosta war 2007/08 Präsident der Verfassunggebenden Versammlung von Ecuador und zuvor Minister für Energie und Bergbau. Er gilt als der geistig-politische Ziehvater des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, an dessen Regierungsprogramm er mitgearbeitet hat.

Acosta studierte von 1971 bis 1974 Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule und anschließend Volkswirtschaftslehre an der Universität Köln, zunächst Wirtschaftsgeografie, dann mit Schwerpunkt Energiewirtschaft. Nach dem Wahlsieg von Rafael Correa wurde Acosta zu einem wichtigen Ratgeber des Staatschefs. Er entwickelte auch die Idee der Yasuní-Initiative, bei der es darum geht, durch internationale Ausgleichszahlungen für nicht gefördertes Erdöl weltweit zur Senkung der Emission von Kohlenstoffdioxid beizutragen (siehe Beitrag in Furche Nr. 49/2010).

Alberto Acosta gilt als einer der namhaftesten politischen Denker Lateinamerikas. Er ist heute als Professor am Sozialforschungsverbund FLACSO in Quito für Post-Graduate-Studien tätig. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind das indigene Konzept des Guten Lebens und die Solidarökonomie. Acosta hielt sich in der zweiten Oktoberwoche zu drei Veranstaltungen in Wien auf, eingeladen von der Informationsgruppe Lateinamerika (IGLA), dem Solidaritätskomitee Guatemala und Südwind. (wh)

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