Der Maler als "Menschheitslehrer"

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Picasso erklärte ihn zur Vaterfigur, Henri Matisse sah ihn als "eine Art lieber Gott der Malerei" - Zum 100. Todestag von Paul Cézanne.

Ja, dem Maler Paul Cézanne verdanke ich es, dass ich an jener freien Stelle zwischen Aix-en-Provence und dem Dorf Le Tholenet in den Farben stand und sogar die asphaltierte Straße mir als Farbsubstanz erschien." In dem 1980 erschienen Prosaband Die Lehre der Sainte-Victoire erklärt Peter Handke Paul Cézanne zu seinem Lehrmeister - ja, zu viel mehr: Cézanne wird als "Menschheitslehrer der Jetztzeit" gefeiert. Der Besuch einer Cézanne-Ausstellung in Paris verhilft dem Erzähler - wie auch schon Rainer Maria Rilke siebzig Jahre zuvor - zu der Erkenntnis, dass man schreiben müsse, wie Cézanne malte. Einher mit der Verehrung Cézannes geht die Vergöttlichung der Kunst an sich. So fragt sich Handke, "ob nicht dort, wo ein großer Künstler gearbeitet habe, der Mittelpunkt der Welt eher als an Orten wie Delphi" sei.

Handkes Vorbild

Nicht nur für Handke war Paul Cézanne das Vorbild schlechthin. Sein verzweifeltes Ringen um die perfekte "Réalisation" und sein Versuch, "Konstruktionen und Harmonien parallel zur Natur" zu schaffen, haben Generationen von Kunstschaffenden beschäftigt. Pablo Picasso erklärte ihn zur Vaterfigur, Henri Matisse sah in ihm "eine Art lieber Gott der Malerei"- und für Per Kirkeby ist Cézanne auch heute noch eine Herausforderung. Eine Auseinandersetzung mit Cézanne könne sogar zur Krise im eigenen Schaffensprozess führen, so der dänische Maler, da hier "einer sein Künstlerleben als Pfand gegeben hat für etwas, das das meiste, womit wir uns üblicherweise beschäftigen, als ängstliche Originalitätssucht und Oberflächlichkeit erscheinen lässt."

Konsequent und tiefsinnig war Paul Cézanne bis in den Tod. Stets hatte er sich gewünscht, sein Leben würde "vor dem Motiv" enden. Tatsächlich starb Cézanne am 23. Oktober 1906 in Aix-en-Provence, nachdem er ein paar Tage zuvor während des Malens im Freien zusammengebrochen war - auf der Staffelei ein Porträt seines Gärtners Vallier: ein Bild, auf dem alles in Bewegung scheint. Keine präzisen Konturen und Linien - nur im Zentrum der Komposition sind die Umrisse einer Figur wahrzunehmen. "Wenn mir dieses Männchen gelingt, ist auch die Theorie wahr", soll der Vater der Moderne gesagt haben. So, als hätte er trotz tiefer Selbstzweifel geahnt, dass er, das "gescheiterte Genie", wie ihn sein Kindheitsfreund Emile Zola bezeichnete, zum Vorreiter der Moderne schlechthin werden würde.

Dass die Malerei seine Welt war, wusste der 1839 geborene Hutmacher-und Bankbesitzersohn im Grunde schon immer. Auch wenn er phasenweise verunsichert war, etwa weil er die Aufnahmeprüfung an der \0xC8cole des Beaux-Art zweimal nicht bestand, seine Bilder vom "Salon" mehrmals abgelehnt wurden und er sich auf Wunsch des Vaters doch in einer bürgerlichen Existenz in der Bank versuchte. Die Abkehr von der Künstlerlaufbahn währte nie lange und seit 1862 gab es für Cézanne nur mehr eines: Malerei.

Selbst seine Lebensgefährtin und spätere Frau Hortense Fiquet, die er gemeinsam mit dem unehelichen Sohn Paul vor seinem Vater verheimlichte, spielte in Cézannes Leben vor allem deshalb eine große Rolle, weil sie sein wichtigstes Modell war. Zahlreiche Darstellungen von "Madame Cézanne" zeugen von den stundenlangen Sitzungen, bei denen Hortense dem Maler geduldig als Studienobjekt im verzweifelten Ringen um die perfekte "Verwirklichung" diente. Nicht zufällig hat sich Cézanne mit dem Maler Frenhofer aus Honoré de Balzacs Erzählung Das unbekannte Meisterwerk identifiziert: Dieser verfällt dem Wahnsinn, als er nach unendlichen Versuchen, das perfekte Bild einer Frau zu malen, vor der Leinwand steht und nur mehr ein Gewirr aus Farben und Linien erkennt, in dem das Gesicht der Dargestellten nicht mehr zu finden ist.

Erfolg hatte Paul Cézanne mit seiner Kunst vorerst keinen. Jahrzehnte wurde seine Malerei von renommierten Kritikern bloß belächelt. Nur durch finanzielle Unterstützung des wohlhabenden Vaters konnte sich der Maler über Wasser halten. Als dieser 1886 starb, erbte Cézanne ein beträchtliches Vermögen, so dass er sich endgültig von Paris nach Aix zurückziehen konnte, um sich ganz seiner Kunst zu widmen. Erst in den letzten Lebensjahren nahm die Bekanntheit Cézannes explosionsartig zu - bis zwei Jahre vor seinem Tod seine Bilder den Pariser Herbstsalon beherrschten.

Eigenleben der Malerei

Paul Cézanne war ständig auf der Suche. "Werde ich das Ziel, das ich so sehr gesucht und so lange verfolgt habe, erreichen?" Was aber war dieses Ziel, das Cézanne so unermüdlich suchte? Wollte er es überhaupt finden, oder ging es ihm nicht vielmehr um den Weg? Prägend für nachfolgende Künstlergenerationen wie Expressionisten oder Kubisten war Cézannes Auffassung, dass sich die Natur aus geometrischen Figuren zusammensetzt. "Man behandle die Natur gemäß Zylinder, Kugel und Kegel", soll Cézanne laut dem französischen Maler Emile Bernard gesagt haben. Beinahe wissenschaftlich untersuchte Cézanne die Strukturen, Farben und Formen seiner Motive wie etwa die Früchte seiner Stillleben. Seine Bilder baute er nahezu abstrakt aus einzelnen Pinselstrichen auf. Jede Farbe, jeder Strich hat seine Bedeutung - nirgendwo ein überflüssiges Detail.

Cézanne glaubte an ein Eigenleben der Malerei - an eine Kunst, die nicht nach der Natur, sondern wie die Natur vorzugehen habe. Diese Parallelwelt ließe sich aber nur in ständiger Konfrontation mit der Natur erschaffen, so Cézanne, durch wiederholte Meditation "sur le motif", wie er es nannte.

Zum Inbegriff der Cézanne-Landschaft wurde die Montagne Sainte-Victoire. Jedem Kunstinteressierten ist dieser Gebirgszug heute - auch wenn er nie in Aix-en-Provence war - aus Cézannes Sicht so bekannt, als hätte er ihn selbst gesehen. Als späte Anerkennung für diese Werbung hat Aix heuer im Frühjahr eine wenig innovative Statue des Niederländers Gabriel Sterk aufgestellt - zu seinem 100. Todestag blickt Cézanne jetzt in Bronze verewigt Tag für Tag dem geliebten Berg entgegen.

Montagne Sainte-Victoire

Die seit Peter Handkes Lehre der Sainte-Victoire beinahe zum heiligen Ort erklärte Bergkette hat Cézanne von Jugend an fasziniert. In den letzten Jahren setzte er sich nahezu besessen mit dem zwölf Kilometer langen Kalksteinmassiv auseinander - malte, zeichnete und aquarellierte es aus stets neuen Perspektiven. Eindrucksvoll zeigt dies eine Fassung aus dem Kunsthaus Zürich mit dem Titel Monte Sainte Victoire von Les Lauves aus gesehen (um 1904-1906). Aus Blau-, Ocker-und Grüntönen baut sich die Bildstruktur wie ein flächiges Gewebe auf. Bestechend ist die rhythmische Strukturierung des Bildganzen. Bewegte Linien und schroffe Pinselstriche bilden eine Landschaft, in deren oberen Drittel sich der Berg monumental erhebt. In der unteren Hälfte finden sich unbemalte Stellen, an denen die Leinwand sichtbar ist. Ein Phänomen, das die damalige Kritik dazu veranlasste, die meisten Bilder Cézannes als unfertig zu erklären. Die Auslassungen sind jedoch bewusst gesetzt - und heute faszinieren gerade das Offenlassen und das Fragmentarische.

Paul Cézanne hat auch zu seinem 100. Todestag noch so viel zu sagen, weil er sich von der Kunst als Abbild der Wirklichkeit verabschiedete - und weil er aufzeigte, dass es in der Kunst wie im Leben nicht eine, sondern viele Wahrheiten gibt. Stattdessen stellte er den unabschließbaren künstlerischen Prozess in den Vordergrund. Ein Moment, der die Betrachter in höchstem Maße motiviert, selbst im Sinne von Mitschöpfern gestalterisch tätig zu sein. Kein Wunder also, dass Cézanne für Peter Handke zu Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit identitätsstiftende Funktion einnahm: "Konnte ich damals im Jeu de Paume nicht spüren, dass Cézannes nur einmal möglicher Ding-Bild-Schrift-Tanz unsereinem machtvoll und dauernd das Reich der Welt offen hält?"

Buchtipp:

Paul Cézanne

Von Götz Adriani. C. H. Beck Verlag,

München 2006, 128 S., kart., e 7,90

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