Der Mensch, eine Fälschung

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Das Museum der Moderne auf dem Salzburger Mönchsberg thematisiert anhand von Grafiken, Fotografien, Videos und Installationen von über achtzig Künstlern die komplexe Frage nach Identität und Ich jenseits vormoderner Gewissheiten und Zuschreibungen.

Das waren noch Zeiten, als einer "Ich“ sagte, und jeder wusste, was damit gemeint ist. Es ist das Kennzeichen des naiven Zeitalters, dass es keine Trennung gibt zwischen dem, was einer in der Gesellschaft darstellt, und dem, wie er sich fühlt. Die Grenzen zwischen den Milieus, den Klassen, den Geschlechtern sind in diesem System unüberwindbar. Wer gegen diese einfachen Spielregeln verstößt, fliegt raus. Das war einmal.

Das Museum der Moderne in Salzburg führt uns an Hand von Grafiken, Fotografien, Videos und Installationen von mehr als achtzig Künstlern auf eindrucksvolle Weise vor Augen, wie die Menschen anfangen, sich in Rollen einzuüben bis ihnen das virtuelle Leben, die Existenz als Simulation zur selbstverständlichen Daseinsform wird. Am Ende ist das Ich nicht einmal mehr ein Anderer, wie Arthur Rimbaud in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts von sich zu behaupten wagte, das Ich ist eines auf Widerruf geworden. In Goethes "Wahlverwandtschaften“-Roman wird eine Gesellschaft beschrieben, die versessen darauf ist, große Bilder aus der Kunstgeschichte nachzustellen. Vergleichbares leistet die Fotografin Julia Margaret Cameron (1815-1879), wenn sie Menschen in Kostüme steckt, um den Artus-Mythos in ihre Gegenwart zu holen. Sie imaginiert sich eine ideale Vergangenheit. Merlin mit langem weißen Bart und wallender Mähne und geschlossenen Augen vor einem mächtigen Baum, ihm gegenüber eine feenhafte Vivien, die ihm mit dem Zeigefinger an die Stirn tippt: Mit solchen Wunschfantasien der Erhabenheit und Ich-Versunkenheit kann keine Alltagswirklichkeit mithalten. Das so wohl konstruierte, gründlich inszenierte Rollenspiel holt den verlorenen Glauben an Magie zurück unter die zivilisationsgeprüften Bürger.

Kitsch und Kunst, nahe beieinander

Unsere Kultur findet ohne die christliche Ikonografie nicht ihr Auslangen. Der Amerikaner David LaChapelle, als Modefotograf berühmt und reich geworden, greift mit seinem Zyklus "Jesus is my homeboy“ (2008) auf Bibelmotive zurück, um sie in die Gegenwart zu übersetzen. "Last Supper“ bezieht sich auf Leonardo da Vincis "Letztes Abendmahl“ und siedelt es im Hip-Hop-Milieu an. Mitten aus dem Bild heraus sieht uns eine klassisch porträtierte Jesus-Gestalt an, präsentiert ahnungsvoll die Hände, von denen wir wissen, dass sie bald durchbohrt werden, auf dem Tisch. Seine Jünger, eine bunt gemischte Truppe farbiger, tätowierter rauer Kerle, umringen ihn. Und rechts im Hintergrund eine Frau mit himmelwärts gerichteten Augen. Kitsch und Kunst können ganz schön nahe beieinander liegen. Wie nüchtern nimmt sich dagegen die gleiche Szene beim israelischen Fotokünstler Adi Nes aus. In einer Arbeit aus dem Zyklus "Soldiers“ (1999) sitzt eine ausgelassene Runde an einfachen zusammengerückten Klapptischen bei einem einfachen Mahl, nur einer in der Mitte hält sich raus. Er wirkt isoliert, in sich gekehrt, er gehört nicht mehr so recht zu den anderen, ist vielleicht überhaupt nicht mehr so recht von dieser Welt.

In solchen Arbeiten verweisen die Abgebildeten auf eine jenseits von ihnen liegende Wirklichkeit, reißen ein Fenster in die Kulturgeschichte ebenso auf wie eines in die unmittelbare Gegenwart. Damit hat das Künstlerpaar Eva & Adele gar nichts zu schaffen. Sie selbst sind das Kunstwerk. Bei der Eröffnung gaben sie ganz in rosa Kleidchen gehüllt, kahl geschoren und aufgetakelt, stets charmant lächelnd Autogramme und posierten vor einer Wand mit Titelseiten bekannter Magazine und Zeitungen, auf denen sie charmant lächelnd posieren. Die beiden sind Kunstprodukte, dazu geschaffen, den Kult um Glanz und Glamour augenzwinkernd ironisch zu unterlaufen.

Im Spiegel ist nichts

Jedes Ich ist ein Verwandlungskünstler. Andy Warhol, Ikone der Pop-Kultur, gab es nur als Selbstdarsteller. "Es ist schwer, in den Spiegel zu schauen. Da ist nichts“, meinte er, der ganz an der Oberfläche der Dinge und Menschen interessiert war. Wenige Jahre zuvor ließ er sich in Fotosessions von Christopher Makos ausgesprochen künstlich in weiblicher Aufmachung fotografieren. Der Mensch, eine Fälschung. Die Chinesin Cao Fei ist mit ihrem Video "I. Mirror“ (2007) in der Computerwelt angekommen. Sie schickt die Figur China Tracy durch eine digitale Welt auf den Weg, die Wirklichkeit und vielleicht sich selbst zu finden.

Rollenbilder - Rollenspiele

MdM Mönchsberg, 5020 Salzburg

bis 30. 10., Di-So 10-18, Mi bis 20 Uhr (während der Festspiele auch Mo 10-18 Uhr)

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