Der Mensch im Mittelpunkt

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Arbeitspsychologe Helmut Graf im Gespräch über Viktor Frankl und die Sinnsuche in der Wirtschaft.

Die Furche: Warum sollte man sich heute noch mit Viktor Frankl auseinander setzen?

Helmut Graf: Frankl ist für mich noch immer zeitgemäß, denn mehr denn je ist im (Arbeits)-Leben nicht die Frage, warum man etwas tut, entscheidend, sondern wozu man es tut. Das Warum ist eher kausal und vergangenheitsorientiert, das Wozu hingegen impliziert ein Mehr, es geht hierbei um einen tieferen Sinn. Wohin will man sich im Leben bzw. in der Arbeit bewegen, das ist die Frage. Frankls Ansätze empfinde ich auch als Gegenpol zu einem reduktionistischen Wirtschaftsansatz, bei dem die Mitarbeiter Mittel zum Zweck werden und es nur noch um Gewinnmaximierung geht.

Die Furche: Frankl stellte also den Menschen ins Zentrum?

Graf: Es ging ihm um die Rehumanisierung der Medizin. Bereits in den 1930er Jahren vertrat Frankl diese Meinung. Der Mensch muss ganzheitlich behandelt werden, nicht nur körperlich, auch psychisch. Vor allem sind aber seine geistigen Bedürfnisse in den Heilungsprozess mit einzubeziehen. Dabei ist die Sinnfrage ein zentrales Thema. Ausgehend von Frankl, spreche ich von einer Rehumanisierung der Wirtschaft. Damit meine ich nicht noch mehr Sozialgesetze, sondern Arbeitsbedingungen, bei denen die größte Chance besteht, Sinn wahrzunehmen. So können Menschen sich selbst motivieren.

Die Furche: Wie sehen diese Arbeitsbedingungen konkret aus?

Graf: Jeder Mitarbeiter muss Verantwortung übernehmen, sich einzubringen, um Sinn in der Arbeit zu entdecken. Die Führungspersonen müssen darauf achten, dass das zwischenmenschliche Miteinander funktioniert. Fairness, Offenheit und Transparenz sind hier die Schlagworte. Und in einer Arbeitswelt, in der man immer öfter mit Einflüssen von außen umgehen muss, gilt es, auf unveränderliche Situationen lebensdienlich zu antworten. Auch wenn der Spielraum noch so klein ist. Entscheidend ist, wie man einer Situation begegnet.

Die Furche: Können nicht auch ein mehr an Macht sowie Incentives den Menschen Sinn geben?

Graf: Sinn kann gar nicht gegeben werden, und es geht auch nicht darum, machtzentriert zu motivieren, wie es heute oft propagiert wird. Schon gar nicht funktioniert das Spaß-Gequassel. Bereits Erich Fromm sagte, dass im Bereich des Habens der Mensch nie genug bekommen wird. Selbst wenn ein Mensch alles hat, muss er nicht unbedingt zufrieden sein. Umgekehrt kann jemand wenig haben und dennoch sinnerfüllt leben.

Die Furche: Gibt es eine Sinnkrise unter den Managern?

Graf: Bei etwa einem Fünftel der Manager ist eine existenzielle Fehlhaltung - Frankl spricht von kollektiven Neurosen - sehr stark ausgeprägt, die sich in der Scheu vor der Verantwortung und der Flucht vor der Entscheidungsfreiheit manifestieren.

Das Gespräch führte Thomas Meickl.

DIE KOLLEKTIVEN NEUROSEN IM MANAGEMENT - Wege aus der Sinnkrise im Management

Von Helmut Graf, Linde international, Wien 2007, 280 Seiten geb., € 30,80

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