"Der Mensch ist ein Abgrund"

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Packender "Wozzeck" als letzte Opernproduktion der Saison in Klagenfurt.

Als die "moderne" Oper schlechthin hat Pierre Boulez den Wozzeck einmal bezeichnet. Und es ist tatsächlich erstaunlich, dass auch heute, gute 80 Jahre nach der Uraufführung des Werkes in Berlin, die Musik von Alban Berg immer noch unfassbar "modern" klingt und das Publikum verstört. Vor allem wenn Wozzeck, der auf einem der stärksten Dramen der deutschen Literatur von Georg Büchner basiert, sowohl szenisch als auch musikalisch derartig packend und mitreißend dargestellt wird, wie jetzt am Stadttheater Klagenfurt als letzte Opernproduktion dieser Saison.

Packend sind die Klänge, von erstaunlicher Klarheit, dramaturgischer Suggestion und Präzision im Kärntner Sinfonieorchester, sodass man glauben könnte, derartig komplexe und schwierige Werke wären sein tägliches Brot. Peter Keuschnig hat bei den intensiven Probenphasen und jetzt bei der Premiere am Pult ganze Arbeit geleistet.

Packend agiert das gesamte Ensemble und wird auch den diffizilsten Anforderungen wie dem gesteigerten Sprechgesang mit kleinen Einschränkungen gerecht: Markus Eiche spielt und singt den einfachen, von der Umwelt geschundenen Soldaten mit Bravour. Christiane Boesinger meistert mit ihrem schlanken, nicht immer ganz durchschlagskräftigen Sopran die Kräfte raubende Partie der Marie mit fesselnder Emotionalität. Ernst Dieter Suttheimer ist ein stimmlich und darstellerisch idealer Hauptmann. Rainer Zaun singt den Doktor mit vokaler Wucht. Maskulin und stimmgewaltig wirkt der Tambourmajor des Michael Ende. Tadellos sind auch die kleineren Partien besetzt, bestens vorbereitet zeigt sich der Chor.

Packend sind schließlich die dramaturgisch verdichteten Szenen. Olivier Tambosi zeigt mit entsprechendem Licht ausgeleuchtete, gelungene Stimmungsbilder einer Tragödie in einer kranken, unmenschlichen Welt.

Durch TV-Einspielungen auch von Nachrichten über Not und Tod zu Beginn und am Ende auf einer Leinwand wird die Gleichgültigkeit einer erbarmungslos konsumierenden Mediengesellschaft angeprangert. Trotz eines Sandbodens, auf dem geliebt, gekrochen und auch gestorben wird, ist das dramatische Tempo hoch und konzentriert. Die ideenreiche Führung der Personen, die wie Spießbürger alle in gleiche, kleinkarierte Anzüge gesteckt sind, ist vor allem in den Schlüsselszenen ebenso präzise wie ausgefeilt und zeigt die geschundene Kreatur Mensch. Dieser wird von seiner Umwelt gequält, an Infusionen angeschlossen und von seiner Frau betrogen, bis er vom Opfer zum Täter wird und zum brutal gezeigten Mord schreitet.

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