Der Menschheit den Weg zum FRIEDEN WEISEN

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Der in sein neuntes Lebensjahrzehnt eintretende Dalai Lama versteht sich nicht mehr primär als Tibeter, sondern vor allem als Mensch und buddhistischer Mönch.

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Der in sein neuntes Lebensjahrzehnt eintretende Dalai Lama versteht sich nicht mehr primär als Tibeter, sondern vor allem als Mensch und buddhistischer Mönch.

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Jetzt werden wir also beide alt" hat er mir schon vor Jahren lachend ins Ohr geflüstert. Am 6. Juli feiert der 14. Dalai Lama seinen 80. Geburtstag. Und schiebt jetzt den Gedanken eines nahenden Abschieds von dieser Welt weit von sich: "20 Jahre mindestens" werde er noch gesund bleiben, verkündete er dieser Tage. Und nach seinen Träumen werde er sich dem ewigen Gesetz des "Stirb und Werde" sogar "bis zum 113. Lebensjahr" entziehen.

Den im nordindischen Exil versammelten Gratulanten war auch diese Perspektive zu kurz: "125 Jahre mindestens!" skandierten sie beim ersten Geburtstagsfest (nach dem tibetischen Mondkalender) vor zehn Tagen.

Die weltweite Fan-Gemeinde des als "erleuchtetes Wesen" (Bodhisattva) verehrten Friedensnobelpreisträgers bezaubern solche Aussichten. Für Chinas Führung aber klingen sie nach Albtraum. Verlängern sie doch ihre Bedrängnis, diesen unberechenbarsten Gegner nicht und nicht los zu werden.

Ausgeklügelter Pragmatismus

Seit Jahren schon quält der Dalai Lama ("Ozean der Weisheit") die KP-Nomenklatur in Peking mit seinem ausgeklügelten Pragmatismus. Jetzt brachte er es erneut auf den Punkt: Erst mit 90 werde er "klare Anweisungen" über das "Ob" und "Wie" seiner Nachfolge geben. Könnte durchaus sein, scherzte er listig, dass er der letzte Dalai Lama sei -oder aber "als neckische blonde Frau" zurückkäme.

Es gehört zum politischen Aberwitz des Dramas um Tibet, dass es nun die chinesischen Besatzer sind, die auf einer Wiedergeburt der verhassten Dalai Lamas bestehen. Haben sie doch über die Jahrzehnte eine Meisterschaft im Entführen, Manipulieren und willkürlichen "Finden" von geistlichen Führungsfiguren der Tibeter entwickelt.

Gut vier Jahre sind vergangen, seit sich der Dalai Lama als weltweit prominentester Flüchtling auch von allen politischen Ämtern getrennt hat und - fernab der Heimat - ein Parlament samt Regierung und Premier wählen ließ. Es war der Bruch mit einer Jahrhunderte langen Tradition, die Tibets weltliche und geistige Macht in eine Hand zusammenführte. Realpolitisch aber blieb es nur eine Geste der Demokratisierung, denn sie beschränkt sich auf jene Tibeter, die weltweit verstreut im Exil leben.

Die Idee dieses weltlichen Machtverzichts hatte den Dalai Lama schon seit Jugendtagen beschäftigt: ursprünglich, um sein Land aus der Rückständigkeit und dem diktatorischen Zugriff des Adels und der Klöster zu befreien. Zuletzt aber, um die Verantwortung für den Befreiungskampf Tibets in die Hände seines Volkes zu legen.

Nach wie vor aber versteht er unter "Kampf" ein strikt gewaltfreies Ringen. Eine Bedingung, die viele junge Tibeter nur widerwillig und aus Verehrung für ihren Übervater akzeptieren. Denn nicht zu bestreiten ist: Anders als sein Vorbild Mahatma Gandhi war dem Dalai Lama mit seiner kategorischen Gewaltfreiheit nicht der kleinste politische Erfolg gegönnt. Nach wie vor ist die Kluft zwischen Traum und Wirklichkeit riesengroß: Während das besetzte Tibet als "Land mit dem niedrigsten Stand an Freiheit" gilt, fordert der Dalai Lama: "Wer Tibet liebt, der muss auch China lieben". Also greifen mehr und mehr Tibeter zur Gewalt gegen sich selbst: 140 qualvolle Selbstverbrennungen wurden bisher bekannt.

So hat der politische Rückzug des Dalai Lama wenig verändert: Nach wie vor verketzert ihn China als "Bösewicht". Und auch im Westen ist ihm jene Doppelrolle geblieben, die er schon immer hatte: Hier die überragende Symbolfigur eines geschundenen Volks, dort eine Projektionsfläche unerfüllter spiritueller Sehnsüchte, die Millionen in ihren Bann zieht. Und nach wie vor verweigert ihm die Mehrzahl westlichen Regierungen aus Furcht vor der Wirtschafts-Großmacht China jeden hochrangigen Kontakt.

Menschliche Werte verkündigen

Die stärkste Veränderung hat der Verzicht auf politische Verantwortung im Selbstverständnis des Dalai Lama bewirkt. "Am Abend, als ich meine Macht übergeben hatte, war ich frei", sagt er. "Jetzt kann ich das tun, was ich wirklich zu tun habe: Die menschlichen Werte verkünden - und die religiöse Harmonie. Das ist meine Zuständigkeit!" Und er wird nicht müde, Menschen in aller Welt den Weg zum inneren Frieden und zum Mitgefühl zu weisen - und zu versuchen, sie von äußeren auf innere Werte umzupolen, unabhängig von Religionen und Kulturen.

In diesem Sinn versteht sich der in sein neuntes Lebensjahrzehnt eintretende Dalai Lama auch nicht mehr primär als Tibeter, sondern vor allem als Mensch und buddhistischer Mönch, geprägt von seinem unbedingten Glauben an die Wiedergeburt. Das aber bedeutet für ihn, den Zusammenhang von Allen mit Allen (und von Allem mit Allem) zu erkennen. Jeder könne demnach überall in der Welt wiedergeboren werden - und müsse also auch den Frieden überall ersehnen.

Aus dieser Überzeugung versteht er seine letzte Lebensetappe, wie lange sie auch sein mag, als Chance und Auftrag, für eine zutiefst verwirrte Menschheit ein global denkender Friedenswegweiser zu sein.

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