Der Mund hat das Wort

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Geglückte Uraufführung von Gert Jonkes "Redner rund um die Uhr" im Wiener Semper Depot und bis 6. März 2005 auf Österreich-Tournee.

Ein Mann stellt sich auf das leere Podium des Semperdepots. Speaker's corner anstelle einer Theatersituation erwartet das versammelte Auditorium. Doch nach wenigen Minuten wird klar, dass uns der Titel von Gert Jonkes neuestem Stück in die Irre führt. Die Uraufführung von "Redner rund um die Uhr" ist ein heftiger Dialog, ein wilder Zweikampf zwischen den Gedanken und ihrer Positionierung in der Außenwelt, zwischen seiner Innenschau und dem menschlichen Öffentlichkeitsorgan. "Halt den Mund, du Hund", brüllt er sich an, eine Selbstbeschimpfung gegen das aufmüpfige, sich verselbstständigende Organ.

In der Postmoderne sind wir uns selbst entfremdet, "Ich bin mir unerreichbar fern", antwortet der Mund. Der Sprechvorgang ist dem Denkvorgang entkoppelt, folgerichtige Anschlüsse sind unkontrollierbare Zufallstreffer einer dissoziierten Innenwelt.

In der Tradition der österreichischen Avantgarde stellt sich Jonkes Sprache im Spiel rhetorischer Figuren selbst aus. Doch Jonke geht noch einen Schritt weiter: Er konkretisiert das Wort zur dramatischen Figur und das Instrument des Künstlers zum eigentlichen Darsteller. Handelnde Person ist der Mund des Redners. Das personifizierte Sprechorgan handelt dem Jonkeschen Gedanken stets zuwider, so dass sich in der Ambivalenz des Wollens und des Sprechens (also Handelns) der Witz dieser kurzweiligen Produktion zielsicher hochschraubt. Dabei stellt Jonke höchst poetisch alle logischen Folgerichtigkeiten der Fragen von Ursache und Wirkung auf den Kopf. Ist zuerst der Text und erst dann der Gedanke?

Die Lebensgeschichte des Redners hört sich wie eine Totalverkehrung alles Bekannten an. Wenn er von seiner großen Liebe erzählt, dann möchte er (ja, wer nun eigentlich? Sagen wir, der, der gerade spricht) der Angebeteten zärtlich begegnen, der Mund währenddessen begrüßt sie aufs derbste, beißt in die Lippen der Begehrten und fordert unstatthaft zur sexuellen Handlung. "Warum stiehlst Du mir meine Öffentlichkeitsarbeit?", verzweifelt das Autor-Ich am Sprecher-Ich. Der darauf folgenden Wortflut versuchen die zwei mit dem Mund ringenden Hände von Bernd Jeschek ein Ende zu bereiten. Er hat sich vor dem ehemaligen Kulissenlager des Semperdepots als Redner in der Stille positioniert. Hinter ihm eröffnet sich die Tiefe der Halle mit ihrer schier endlosen Säulenflucht als Resonanzraum des Sprechers. Exakt eingestimmt trifft Jeschek die komplexen Töne der Text-Partitur, deren Tempo er systematisch hochzieht, um sie als zarte Melodie am Ende im Publikum ausklingen zu lassen. "Jetzt haben Sie das Sagen!"

Jonkes jüngstes Stück ist ein Monolog-Kampf ums Dramatiker-Sein, ums Schreiben und Sprechen, um überhaupt da zu sein. Es ist aber auch ein Stück, das keinem nach dem Mund redet, nicht einmal sich selbst, bis hin zur totalen Verballhornung des Textes. Diktiert hat ihm dabei einer, der leider nicht mehr da ist: Im Erinnern an Ernst Jandl hat Jonke zugleich auch einen ungewöhnlichen literarischen Nachruf verfasst.

Das Programmheft führt unter Regie Michael Gampe. Wo die Leistung der Arbeit - über ein Korrektiv hinaus - liegt, lässt sich schwer sagen. Gerne heißt es aber in Fällen wie diesen: Der Regisseur hat dem Text vertraut. Das Publikum auch, mit begeistertem Applaus dankte es dem anwesenden Autor.

Karten und Infos:

www.berndjeschek.at

Tel. 0676/3200368

Semperdepot,

Lehárgasse 6-10, 1060 Wien

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