Der Nachgeschmack der Seligkeit

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Vor bald 100 Jahren hat der - protestantische - Theologe Rudolf Otto die mittlerweile gängige Beschreibung des Heiligen als "Mysterium tremendum et fascinosum“ veröffentlicht. Auch an den römischen Ereignissen des letzten Wochenendes lässt sich manches durch diese Sichtweise verdeutlichen. Die Seligsprechung von Johannes Paul II. stellte einmal mehr das Faszinosum des Katholischen dar: Dieses Christentum definiert sich auch über angreifbare und fassbare Leitfiguren. Es verehrt seinen Gott auch, indem es sich an vorbildhaften Gestalten festmacht, die sie zu Seligen/Heiligen erklärt. Und es versteht zu feiern, gar im globalen Maßstab. Eine sinnliche Religiosität also.

Aber gleichzeitig geht damit das Befremdliche einher: Da hat einer das dem sterbenden Papst entnommene Blut aufbewahrt - und nun wird dieses der Verehrung anheim gegegeben, zur Schau gestellt, vom regierenden Pontifex ehrfurchtsvoll geküsst: Welch magisches Verständnis steht hinter solcher Geste? Und wie ist dieses mit einem vernunftgeleiteten Christentum zu vereinbaren?

Hans Küngs Körnchen Wahrheit

"Fides et Ratio - Glaube und Vernunft“ so lautete 1998 der Titel der Philosophie-Enzyklika Johannes Pauls II. Um diese Frage geht es weiter: Alle Verehrung samt deren haptischem Beiwerk darf den Blick darauf nicht verstellen.

Das gilt im Übrigen sinngemäß für die "politische“ Seite auch dieser Seligsprechung. Denn diese Dimension spielt gleichfalls in die Frage nach der Rationalität - und Opportunität - des frommen Geschehens. Man mag Hans Küng ja für einen Berufskritiker des selig gesprochenen wie des regierenden Papstes halten. Das bedeutet aber keineswegs, dass sein harscher Einwurf, es gehe im Vatikan zu "wie zu den Zeiten der Cäsaren, die den jeweils vorangegangenen Kaiser zum Gott erhoben“, nicht auch jenes Körnchen Wahrheit enthält, mit dem sich eine nachdenkliche Kirche(nleitung) auseinandersetzen sollte.

Gerade im Prozedere von Selig- und Heiligsprechungen spielt innerkirchliches Lobbying eine gewichtige Rolle. Das ist auch legitim: Heilige sind seit jeher Ausdruck und Folge von Volksfrömmigkeit und öffentlicher Verehrung. Bei Johannes Paul II. ist das evident.

Die "politische“ Dimension kommt dann ins Spiel, wenn andere Vorgänge mit in den Blick geraten. So wartet etwa das Verfahren für Erzbischof Oscar Romero, der 1980 im Kugelhagel einer Todesschwadron sein Leben ließ, weiter auf seinen Abschluss. Ende März hatte der Postulator des Seligsprechungsprozesses gemeint, die "politische Vereinnahmung“ verzögere die Seligsprechung des vom salvadorianischen Volk längst "heilig gesprochenen“ Märtyrerbischofs. Als ob auch diese Verzögerung nicht eine "politische Vereinnahmung“ darstellen würde - diesmal von der ideologischen Gegenseite …

Verzögerung bei Oscar Romero

Johannes Paul II. und sein Pontifikat stellt zweifelsohne ein verehrungswürdiges Zeichen des Christseins an der Schwelle vom 20. zum 21. Jahrhundert dar. Aber gerade das Katholische bedarf ebenso der Zeugnisse eines Oscar Romero - und der Anerkennung desselben auch von der Kirchenspitze.

Es sei aber zugestanden, dass selbst diese Forderung durch die oben eingemahnte Ratio nicht eindeutig zu klären ist. Johannes Paul II. selbst hat dies vor Augen geführt, als er im Jahr 2000 gleichzeitig die Päpste Pius IX. und Johannes XXIII. selig gesprochen hat: Der eine der beiden Seligen hatte bekanntlich alle Werte, die dem modernen Christenmenschen wichtig sind - Menschenrechte, Demokratie, Religionsfreiheit - als Häresie verteufelt. Der andere hatte die Kirchentüren zum genauen Gegenteil davon geöffnet. Bis heute ist diese doppelte Seligsprechung als "politisches“ Zeichen unverständlich. Manche verweisen da auf "Dialektik“, deren Meister Johannes Paul II. gewesen sei. Dennoch: "Rational“ lässt sich diese nicht begründen.

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