Der neue Mensch als "Prothesengott"

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Karin Harrasser über High-Tech-Behindertensport, das sinnliche Versprechen medialer Körpererweiterung und den neuen Traum vom ewigen Leben.

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Karin Harrasser über High-Tech-Behindertensport, das sinnliche Versprechen medialer Körpererweiterung und den neuen Traum vom ewigen Leben.

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Wie könnte die Zukunft des menschlichen Körpers aussehen? Diese Frage vermag heute euphorische Fortschrittsvisionen ebenso wie großes Unbehagen auszulösen (vgl. FURCHE Nr. 33/2013). Die Kulturwissenschafterin Karin Harrasser hat mit ihrer aktuellen Buchpublikation "Körper 2.0" eine kritische Analyse zur fortschreitenden Technisierung des Körpers vorgelegt - die FURCHE traf sie zum Gespräch.

DIE FURCHE: Was war der Ausgangspunkt Ihrer Überlegungen zum biotechnologischen "Update des Menschen"?

Karin Harrasser: Dass wir heute gar nicht mehr so genau abgrenzen können, wo technische Eingriffe in den Körper in therapeutischer Funktion stattfinden, und wo die technische Manipulation bereits in andere Bereiche, etwa berufliche Anforderungen oder Lifestyle-Phänomene, hineinreicht. Gesund zu sein bedeutet heute mehr, als keine Krankheit zu haben, denn inzwischen sollte man ja dauernd damit beschäftigt sein, seine Gesundheit und Fitness zu steigern. Eine Brille und sogar eine Beinprothese können heute auch als Lifestyle-Produkte fungieren. Ich habe die Prothetik als Anlassfall genommen, da Prothesen so anschaulich und kulturell wirkmächtig sind. Fragen nach Normalität und Pathologie werden hier an der Körperoberfläche deutlich. Zudem sind Prothesen im Behindertensport in den letzten Jahren selbstverständlich geworden, wodurch großes mediales Interesse und hitzige Diskussionen losgetreten wurden.

DIE FURCHE: Inwiefern ist der Sport ein Kristallisationspunkt in den Debatten zur körperlichen Optimierung?

Harrasser: Der Prothesenläufer Oscar Pistorius ist hier eine der interessantesten Figuren, weil er nicht damit zufrieden war, bei den "Paralympics" anzutreten, sondern für sich in Anspruch genommen hat, an der Olympiade teilzunehmen. Das hat dazu geführt, dass er von der Anti-Doping-Kommission des Olympischen Komitees ausgeschlossen wurde, mit der Begründung, dass seine Prothesen ihm erlauben würden, schneller als ein Mensch mit gesunden Beinen zu laufen, also leistungssteigernd sind. Das ist ein schöner Knotenpunkt für wichtige Fragen: Wer hat hier die Definitionsmacht? Wer entscheidet darüber, was noch normal und was schon unerlaubt ist? Auf der einen Seite forderten Pistorius und eine Reihe von Behindertenaktivisten mit gutem Recht ihre Teilhabe ein, auf der anderen Seite hatte das Olypmische Komitee Angst davor, Prothesen zuzulassen, da dann bald alle möglichen technischen Geräte zum Einsatz kommen könnten. Ein Mitarbeiter des Olympischen Kommitees hat sogar phantasiert, dass Läufer künftig auch Propeller als Antrieb verwenden könnten.

DIE FURCHE: Wie bewerten Sie diese beiden Standpunkte?

Harrasser: Ich kann sowohl das Argument für Inklusion als auch die Riesenangst im Olympischen Komitee gut nachvollziehen. Denn der Einsatz technischer Geräte stößt tatsächlich eine Tür auf, die für den Leistungssport sehr gefährlich ist. Das wäre dann das Ende der Idee sportlicher Fairness, denn der nächste Schritt wäre, dass Läufer viel Kapital benötigen, um überhaupt mithalten zu können. Ich sehe auch keine Versöhnung dieser Argumente am Horizont. Diese Ambivalenz bleibt unaufgelöst.

DIE FURCHE: Ist nicht der alte "Traum vom ewigen Leben" das heimliche Ziel der Körperoptimierung in einer Gesellschaft, die durch große Todesangst geprägt ist?

Harrasser: Das ist natürlich eine Spitze in der ganzen Diskussion. Die "Transhumanisten" gehen davon aus, dass es bei ausreichender Forschung und "richtiger" Technologie-Entwicklung ein ewiges Leben geben könnte. Das ist aber nur eine kleine Fraktion in der großen Gemeinschaft der Techno-Gläubigen. Eine andere Gruppe verfolgt ein weniger ehrgeiziges Ziel, die Beseitigung aller körperlichen Mängel. Die Vorstellung vom Menschen als biologisches Mängelwesen hat eine lange Tradition in der Geistesgeschichte. Demnach fungiert Technologie als Kompensation für menschliche Schwächen: Laut Sigmund Freud ist der Mensch daher drauf und dran, sich zum "Prothesengott" zu machen. Diese Idee ist weit schlagender als der transhumanistische Wahnsinn, der den Tod ausschalten will.

DIE FURCHE: Und genauso problematisch?

Harrasser: Vorsicht ist angebracht, weil die Idee vom Mängelwesen Mensch auch eine Interpretation zulässt, die da lautet, es gäbe eine Notwendigkeit der Selbststeigerung. Diese Verpflichtung zur körperlichen Verbesserung hat im 20. Jahrhundert eine unselige Geschichte hinter sich, weil sie sich mit industrieller Ausbeutung und Krieg verbindet. Dazu gehört auch die Vorstellung, dass jeder dauernd produktiv sein muss. Es gibt eine unheilvolle Allianz zwischen einer philosophischen Idee der Selbstverbesserung und einer fiesen wirtschaftlichen Logik, die einfach immer mehr aus den Körpern rausholen will. Und in diese Richtung sind wir bereits einen weiten Weg gegangen.

DIE FURCHE: Wie lässt sich der sozioökonomische Hintergrund beschreiben, vor dem heute biotechnologische Eingriffe am Menschen realisiert werden?

Harrasser: Es ist die Entwicklung hin zu einer möglichst umfassenden Nutzbarmachung der Körper und Köpfe, deren Impuls uns seit der Industrialisierung antreibt. Dabei herrschte zunächst ein enormer Verschleiss menschlicher Arbeitskraft, die auch mit dem Raubbau in den Kolonien einherging: aus heutiger Sicht ein überaus zynisches und gleichgültiges Verhältnis zu den Körpern. Dann wurde versucht, durch verbesserte Ernährung und regulierte Arbeitszeiten die körperliche Leistung zu maximieren und gewissermaßen pfleglicher mit dem Körper umzugehen. In der aktuellen Phase wurde die Produktivitätssteigerung auf die seelischen Kräfte, die ganze Persönlichkeit, ausgedehnt. Heute wird die Freizeit immer rarer, bedingt durch Informationstechnologien dehnt sich das "work-life"-Kontinuum zunehmend aus. Fast alle Menschen tragen mediale Körpererweiterungen mit sich herum. Das Smartphone ist wohl das beste Beispiel, da es uns in Arbeitszyklen rund um die Uhr einbinden kann.

DIE FURCHE: Wobei die "mediale Erweiterung" des Menschen noch weiter vorangetrieben wird - Stichwort Google-Brillen, deren Markteinführung mit Spannung erwartet wird...

Harrasser: Es zeigt sich, dass die Technologien immer näher an den Körper heranrücken. Die Google-Brille ist ein Smartphone, das die Verschmelzung der sinnlichen Wahrnehmung mit der Technologie verspricht. Das Produktmarketing sagt uns, dass man vom Smartphone auf die Google-Brille umsteigen sollte, damit man durch das Hantieren am Handy weniger abgelenkt wird (lacht). Die Vorstellung der Verschmelzung mit Technik wird gruselig, wenn der User die Tatsache des Artefakts vergisst und ohne Reflexion dem Programm des Herstellers folgt. Eine nahtlose technische Erweiterung des Menschen wird auch die Google-Brille nicht ermöglichen. Dass damit aber Menschen aufgenommen werden können, ohne es zu wissen, ist ein ethisches Problem. Zudem weiß niemand wirklich, was mit all diesen Daten im Google-Konzern passiert.

DIE FURCHE: Der Philosoph Peter Sloterdijk sieht technologische Bearbeitungen des Körpers als Schwundstufe spiritueller Askese-Praktiken. Umgekehrt erscheinen spirituelle Praktiken wie etwa Yoga heute oft im Zeichen einer Fitness- und Wellness-Ideologie. Besteht die Gefahr, dass Spiritualität von diesem Zeitgeist vereinnahmt wird?

Harrasser: Absolut. Das wäre auch mein Misstrauen dem Buch von Sloterdijk gegenüber (Anm.:"Du mußt dein Leben ändern"). Sloterdijk ist auf dem Auge der problematischen Indienstnahme von spirituellen Praktiken relativ blind. Er beschreibt die menschliche Sehnsucht nach Perfektion und Selbsttransformation als Motor der abendländischen Kultur, was eingängig und toll dargestellt ist. Aber gerade das aktuelle Amalgam, in dem spirituelle Praktiken von einer Fitness- und Wellness-Logik aufgesogen werden, will er nicht recht sehen. Das Vorantreiben des verbesserten Menschen ist heute sehr subtil geworden.

DIE FURCHE: Angesichts dieser vielfältigen Problemzonen der Körperoptimierung: Welchen Umgang mit Technologien schlagen Sie vor?

Harrasser: Man könnte ein ganz anderes Leben mit Technologien durchdenken, das eben nicht einer Steigerungslogik folgt: Wo die Verbindung von Körper und Technologie nicht automatisch heißt, besser, gesünder, schlauer, etc. zu werden. Wenn es immer nur um Leistungssteigerung geht, fällt vieles weg, was seitwärts passiert, aber das Leben schöner und interessanter macht. Ich bin ein Fan von Donna Harraways "Cyborg-Manifest", in dem das Zusammenleben mit den "nicht-menschlichen Akteuren" der technischen Welt als etwas situativ Variantenreiches und stets Überraschendes beschrieben ist. Das kann man weiter auskosten: also ein neugieriger, lustvoller und zutiefst verantwortlicher Umgang mit Technologien - und immer darauf achten, welchen Unterschied sie in der konkreten Situation machen.

Körper 2.0 Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen. Von Karin Harrasser. transcript-Verlag 2013. 144 Seiten, kartoniert, € 17,99

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