Der Österreichische Held

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Was Marcel Hirscher von Hermann Maier unterscheidet, was Letzteren mit Herakles verbindet, und wie sich das Heldentum - nicht nur im Sport - mit der Zeit weitgehend entheroisiert hat.

Marcel, Du bist unser Held!“: Erwartungsgemäß adelte der Boulevard den frischgebackenen Slalom-Weltmeis-ter Marcel Hirscher zum Heros. Zweifellos ist der 23-jährige Salzburger ein herausragender Sportler - aber ein Held? In das Rennen, bei dem der Skifahrer seine Goldmedaille holte, ging er als Favorit. Von Kindheit an war das sportliche Talent des Sohnes zweier Skilehrer nach Kräften gefördert worden. Der Österreichische Skiverband ÖSV, unter dessen Ägide Hirscher groß wurde, ist eine höchst effiziente Kaderschmiede, die seit Jahrzehnten verlässlich Weltcupsieger, Weltmeister und Olympiasieger produziert. Bei allem Respekt - unter diesen Umständen ist ein WM-Sieg keine Heldentat.

Herakles, der größte aller antiken Heroen, war nicht nur ein Held, weil er die vielköpfige Hydra tötete oder den Stall des Augias ausmistete. Herakles vollbrachte seine glanzvollen Taten trotz größter Hindernisse: Zeitlebens wurde der uneheliche Sohn des Zeus von dessen rachsüchtiger Gattin Hera schikaniert. Herakles hatte auch seine dunklen Seiten: Im Wahn tötete er seine Frau und die drei gemeinsamen Söhne, auch der ruchlose Mord an einem Mitbegründer der Olympischen Spiele geht auf sein Konto. Und Herakles erlebte den totalen persönlichen Absturz: Drei Jahre lang diente er einer lydischen Königin als Sklave und musste dabei Frauenkleider tragen - in der Antike eine kaum zu überbietende Schande. Aber er schaffte es, sich von ganz unten wieder hinaufzuarbeiten und wurde nach seinem Tod als Gott in den Olymp aufgenommen. Das ist der Stoff, aus dem Heldenmythen gemacht sind.

Widerborstiger Herminator

In der österreichischen Sportgeschichte drängt sich sofort eine Gestalt auf, die den Titel "Held“ verdient: Hermann Maier. Der gelernte Maurer und Ski-Autodidakt, der neben seiner Arbeit ganz alleine auf selbstgesetzten Kursen trainierte, wurde erst spät und nicht ohne Widerstand vom ÖSV akzeptiert. Dann, nach einer beispiellosen Siegesserie, lieferte er bei den Olympischen Spielen in Nagano 1998 beim Abfahrtslauf einen spektakulären Sturz, den er wie durch ein Wunder unversehrt überstand, nur um Tage später Gold im Super-G und im Riesentorlauf zu holen. Nach drei Saisonen, in denen er den Skisport dominierte, wurde Maier bei einem Motorradunfall schwer verletzt und verlor beinahe ein Bein. Doch er kehrte eineinhalb Jahre später wieder in den Weltcup zurück und errang bereits im fünften Rennen einen Sieg. Das ist eine Heldenbiographie. Und nicht zu vergessen: Maier ist auch keiner dieser makellosen Strahlemänner, vielmehr eckt er immer wieder an. Sogar bei seinen Auftritten in TV-Werbespots präsentiert er sich als kantiger und widerborstiger Charakter, und als bei der WM in Schladming der im Vorfeld herbeigeredete Medaillenregen auf sich warten ließ, war er der einzige aus dem inneren Kreis des heimischen Skizirkus, der kritische Worte zu den überzogenen Erwartungen fand.

Insofern ist Hermann Maier kein typisch österreichischer Held. Denn den anderen offiziösen österreichischen Helden der jüngeren Geschichte ist eines gemeinsam: Nicht sie selbst waren die Außenseiter, die nach glanzvollen Zeiten am Boden lagen und sich dann wieder hinaufkämpften. Diese Rolle fiel vielmehr Österreich als Ganzem zu - die Sporthelden fungierten da nur als Platzhalter für ihr Land. Die einstige europäische Großmacht Österreich war 1918 zu einer kleinen Republik geschrumpft, die niemand wollte, 1938 ohne Gegenwehr von der Landkarte verschwunden, um schließlich ein kümmerliches Dasein im Niemandsland zwischen Ost und West zu fristen. Das einst herausragende Kultur- und Geistesleben des Landes war durch die nationalsozialistische Auslöschungspolitik schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Außer seiner glorreichen Vergangenheit hatte Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht viel zu bieten.

Da kristallisierte sich der Wintersport als Chance heraus, um dem Land wieder international Ansehen zu verschaffen. Als Toni Sailer 1956 drei Goldmedaillen bei den Olympischen Winterspielen gewann, war dies von mindestens ebenso großer Bedeutung für die österreichische Identität wie die Wiedereröffnung des Burgtheaters und der Staatsoper im November wenige Monate zuvor.

Das typisch österreichische Nachkriegszeitgefühl, nämlich unverdientermaßen zu kurz gekommen zu sein, fand schließlich in Karl Schranz die ideale Projektionsfläche. Schranz wurde 1972 aus einem läppischen Grund von den Olympischen Winterspielen in Sapporo ausgeschlossen. Die Rückkehr nach Österreich wurde zum Triumphzug, mehr als 100.000 Menschen jubelten dem Skisportler am Wiener Heldenplatz - wo sonst? - zu und erwirkten damit seine Transformation zum nationalen Heros.

Doch spätestens in den 1980er Jahren bröckelte der Begriff des Helden. Die beginnende Vergangenheitsbewältigung führte dazu, dass der Begriff zumindest hinterfragt wurde. Das kollektive Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, wallte zwar im Zuge der Waldheim-Affäre noch einmal gewaltig auf, doch aus dem einstigen Wehrmachtsoffizier und späteren Bundespräsidenten Kurt Waldheim ließ sich beim besten Willen kein Held mehr zimmern.

Fußball-Weltmeister Österreich …

Das Bild des österreichischen Helden, der stellvertretend für seine leidgeprüfte Heimat durchs Tal der Tränen geht, vergilbte. Heute ist Österreich ein anerkanntes Mitglied der europäischen Gemeinschaft und eines der Länder mit der höchsten Lebensqualität der Welt. Jeder, der sich für Skifahren interessiert, weiß um die führende Stellung des Landes in diesem Bereich. Auch auf kulturellem Gebiet braucht sich Österreich nicht zu verstecken - man denke nur an die internationalen Erfolge des österreichischen Films, die angesichts der vergleichsweise bescheidenen Finanzkraft der österreichischen Filmlandschaft ihrerseits als Heldengeschichte lesbar sind.

Wenn also heute siegreiche österreichische Skisportler zu Helden erklärt werden, ist das ein toter Reflex aus längst vergangener Zeit. Die österreichische Fußballmannschaft als WM-Sieger hingegen - ja, das wäre eine Heldensaga. Aber darauf wird man wohl warten müssen bis in alle Ewigkeit.

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