Der ORF als "Hüter der Demokratie"

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"Demokratie funktioniert dort besonders gut, wo es einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt", meint ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz.

Die Furche: Vor einigen Tagen hat der ORF wieder ein großes Interview mit Natascha Kampusch gezeigt. Was ist an dieser Art der Berichterstattung öffentlich-rechtlich?

Alexander Wrabetz: Unsere Berichterstattung im Fall Kampusch ist ein gutes Beispiel dafür, was öffentlich-rechtlich auch ist. Wir greifen natürlich Themen, die die Menschen im Land interessieren, auf. Aber der ORF versucht - und das ist hier sehr gut gelungen - in einer eigenen Sensibilität mit diesen Fragestellungen umzugehen, die sich ganz klar von der Machart eines Privatsenders unterscheidet.

Die Furche: In Deutschland wurde das Kampusch-Interview von einem Privatsender gezeigt. Dort ist es "privat" und bei uns öffentlich-rechtlich?

Wrabetz: Nein. Frau Kampusch hat Wert darauf gelegt, dass sie, wenn sie sich elektronischen Medien stellt, das im ORF tut, weil sie sich sicher sein konnte: Hier wird mit besonderer Sensibilität umgegangen. Dass das dann auch international interessant ist, freut uns ja.

Die Furche: Was ist heute Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

Wrabetz: Es gibt nicht die Aufgabe, sondern das ist ein Aufgabenbündel, das man zu erfüllen hat, und das man nie - um auf Ihre erste Frage zurückzukommen - von einer einzelnen Sendung aus sehen kann. Man muss hier einen gesamthaften Ansatz nehmen und sagen: Der ORF ist ein elektronisches Medium, das ganz besondere Aufgaben für die Demokratie in Österreich, für die österreichische und die europäische Identität sowie für die Information der Bürger erfüllt.

Die Furche: Was leistet der ORF für die Demokratie?

Wrabetz: Private elektronische Medien sind kaum interessiert, wirklich politische Information in den Kern ihrer Aktivitäten zu stellen, sondern im Gegenteil - siehe ProSieben - das eher deutlich zu reduzieren. Die Voraussetzung, um am demokratischen Prozess teilzunehmen, ist, informiert zu sein. Demokratie funktioniert dort besonders gut, wo es einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, der sein Aufgabe erfüllt.

Die Furche: Wird es in nächster Zeit Formate geben, das zu fördern?

Wrabetz: Wir haben unsere Information breiter ausgebaut - mit unterschiedlichen Formaten für unterschiedliche Kundenbedürfnisse. Das wird weitergehen, es wird eine Sendung mit dem Arbeitstitel Bürgerforum kommen.

Die Furche: Ist das vergleichbar mit den legendären "Stadtgesprächen"?

Wrabetz: Das soll nach Möglichkeit neu sein, aber nachdem es beim Fernsehen immer am einfachsten ist, mit Chiffren zu sprechen: Ja in dieser Tradition stehend. Es soll auch eine Gesprächssendung in der Tradition des Club 2 geben.

Die Furche: Das ist das eingestellte "Extrazimmer" nicht geworden.

Wrabetz: Nein, denn Extrazimmer war als Unterhaltungssendung konzipiert.

Die Furche: Ihre Quoten werden zur Zeit ziemlich zerzaust. Aber wie sehen Sie die inhaltliche Performance seit Ihrem Amtsantritt?

Wrabetz: Wir hatten vor einem Jahr eine große Diskussion über die Unabhängigkeit und die Objektivität der Berichterstattung im ORF. Ich bin sehr froh, dass es diese Diskussion nicht mehr gibt. Die Zuschauer attestieren uns in den Umfragen, dass wir in der Information einen unabhängigen Kurs fahren. Wir haben jetzt auch fünf, in der Länge unterschiedliche Informationssendungen in ORF 1. Das war vorher in dem Ausmaß nicht der Fall. Mit einer jüngeren, aber deswegen nicht boulevardesken Informationskultur.

Die Furche: Sie haben angekündigt, öffentlich-rechtliche Inhalte stärker sichtbar zu machen.

Wrabetz: Eine ganz wichtige Frage für den ORF, aber auch für alle öffentlich-rechtlichen Anstalten in Europa ist, dass wir unter einen starken Argumentationsdruck kommen: Wir müssen sagen, was unsere eigentliche Leistung für die Gesellschaft ist - der Public Value, der Mehrwert, der die Gebühren rechtfertigt und uns von den Kommerziellen unterscheidet. Da ist es not-wendig, Kriterien klarer festzulegen und eine Verbindlichkeit mit der Öffentlichkeit darüber herzustellen. Wir können das nicht nur selber definieren, das muss einem auch geglaubt werden. Das ist die Voraussetzung: dass man es bewertbar macht, in gewisser Weise auch messbar. Man wird hier zu gewissen Kriterien kommen müssen, um in dieser Diskussion besser zu bestehen. Das ist auf europäischer Ebene im Gang.

Die Furche: Wie soll das konkret ausschauen: Gibt man einer Sendung dann Public Value-Punkte?

Wrabetz: Man darf sich da nicht Systeme erwarten, die eine Scheingenauigkeit produzieren. Ich glaube nicht, dass ein System herauskommt, wo man sagt, gestern haben wir 425 Public Value-Punkte erreicht, und heute sind es sogar 850.

Die Furche: Es wird keine Teletest-Tabelle kommen, wo neben dem Marktanteil eine Spalte "Public Value" steht.

Wrabetz: Das wird es nicht geben.

Die Furche: Wie soll der Public Value dann nachvollziehbar werden?

Wrabetz: Ganz wichtig ist es, Kriterien für Public Value festzustellen. Die sind in vier Dimensionen feststellbar: das Publikum, die Öffentlichkeit, die Politik und der ORF selbst. In jeder dieser Dimensionen wird es unterschiedliche Kriterien geben. Das, was den höchsten Public Value bei der Gesamtbevölkerung hat, ist die Unterbrecherwerbungsfreiheit der Filme. Da gibt es die größte Zustimmung auf die Frage: Wozu zahle ich Gebühren? In unseren gesetzlichen Aufträgen kommt das so ja gar nicht vor. Man muss sich darauf einigen, ob das überhaupt ein Kriterium ist. Oder: Österreichischer Film. Auch wenn sie in einem populären Genre spielt, hat eine österreichische Produktion meiner Meinung nach einen höheren Public Value als eine Kaufproduktion. Denn außer uns kann in Österreich keiner Filme drehen oder beauftragen und fördern. Dann gibt es Dinge, wo sich alle einig sind - etwa, dass es Ö 1 geben soll. Aber dort diskutiert man die Frage des Orchesters, wo ich sehr wohl der Meinung bin, dass dieses zu unserem Auftrag gehört. Wenn Sie die Bevölkerung fragen, wird die Zustimmung möglicherweise geringer sein. Das alles muss man in ein Gesamtsystem bringen.

Die Furche: Und die Quote?

Wrabetz: Sendungen, die einen ganz besonders hohen öffentlich-rechtlichen Wert und eine ganz besonders hohe Reichweite haben, das sind die Stars, die man anstreben sollte. Und gleichzeitig müssen in einem Portfolio auch Sendungen sein, wo man weiß, hier spricht man Minderheiten an, die vom kommerziellen Sektor sicher nicht bedient werden. Allerdings darf die Reichweite auch nicht gegen Null gehen. Wenn ich weiß, es gibt 14 Prozent Operninteressierte, dann werden wir mit einer Opernübertragung nicht weit darüber hinauskommen. Aber diese 14 Prozent muss ich anstreben!

Die Furche: Forcieren Sie bewusst solch quotenärmere Sendungen?

Wrabetz: Natürlich. Das ist ja in der öffentlichen Diskussion leider unbemerkt geblieben. Wir hatten vier Opern-Liveübertragungen; wir haben dem europäischen Film einen eigenen Sendeplatz gegeben, wir sind mit kreuz & quer nach vorne gerückt, wir bauen am Donnerstag die neue Dokumentarleiste Menschen und Mächte statt Vera auf. Wir haben jeden Tag unser öffentlich-rechtliches Profil deutlich geschärft - das kostet uns im Schnitt zwei Prozent Marktanteil. Nicht gelungen ist uns, dass wir mit populären Programmen einen Teil dieser in Kauf genommenen Marktanteilsverluste kompensieren.

Die Furche: Müssen wir uns fürchten, dass Sie die öffentlich-rechtlichere Programmierung wieder zurückfahren?

Wrabetz: Die Programmierung ist ein ständiger Prozess, vielleicht haben wir beim Start dieser Programmreform zu große Erwartungshaltungen geweckt. Aber wir werden hier nicht den Weg zurückgehen, sondern man muss überall schauen, wie man optimiert. Wir werden uns auch in Zukunft genau diese öffentlich-rechtliche Programmierung leisten.

Die Furche: Hat der ORF nicht ein Jugend-Problem - gerade im öffentlich-rechtlichen Bereich?

Wrabetz: Wir schlagen uns da bislang wesentlich besser als viele unserer öffentlich-rechtlichen Kol-legen, die ja eigentlich in der Zielgruppe der Unter-50-Jährigen praktisch inexistent sind. Wenn ich lese, das ZDF möchte den Anteil der Unter-50-Jährigen von vier auf acht Prozent verdoppeln: Da wären wir schon in besonderen Schwierigkeiten, wenn wir dieses Problem hätten.

Aber wir sind hier auch in einer Experimentierphase. Der Klimatag auf ORF 1 war so ein Versuch, den ganzen Tag mit einem schwierigen kritischen Thema auch auf unserem "jüngeren" Sender an die Zielgruppe heranzukommen und trotzdem eine gewisse Reichweite erzielen.

Die Furche: Müssen Sie nicht auch auf dem Gebührensektor aktiv werden - auch wenn alle schreien, der ORF soll keine höheren Gebühren bekommen?

Wrabetz: Dass es irgendwann einmal wieder eine zumindest teilweise Abgeltung der Inflation und damit eine Geldwertsicherung geben muss, ist klar, das ist unbestritten. Die Frage ist nur, wann.

Die Furche: Sagen Sie das so, weil die Forderung nach so einer Gebührenanpassung zur Zeit für Sie ein politisches Problem darstellt, oder kommen Sie eh mit weniger Geld aus?

Wrabetz: Die Frage ist immer die: Wie viele gute, spannende Projekte sagt man ab oder nicht. Das ist die Frage. Auskommen oder Programm bespielen können wir noch lange. Es gibt viele tolle und wichtige Anliegen, die man sich dann nicht leisten kann.

Die Furche: Was würden Sie sich als erstes leisten, wenn Sie von der Gebührenseite wieder hinaufkämen?

Wrabetz: Ich möchte das jetzt nicht bedingungsmäßig verknüpfen. Aber wir machen beispielsweise sehr viel für die österreichische Filmwirtschaft. Aber es gibt immer wieder schöne Projekte von Filmschaffenden, wo wir sagen müssen, leider, wär' schön, aber das Geld ist nicht da.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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