"Der ORF liefert Fast Food"

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Die Quoten der ORF-Informationssendungen schrumpfen. Kein Wunder, glaubt Manfred Jochum. Im Interview übt der Ex-Hörfunk-Intendant und Präsident des Österreichischen Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten harsche Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Die Furche: Vor zwei Jahren, kurz nach Ihrem Ausscheiden aus dem orf, haben Sie ein Buch mit dem Titel "Bis uns Hören und Sehen vergehen" veröffentlicht. Ist es Ihnen schon vergangen?

Manfred Jochum: Nein, der Titel war natürlich als Provokation gedacht. Aber ich habe schon Sorge: um die Entwicklung der Massenmedien, vor allem der elektronischen, aber auch schlicht um deren Überleben.

Die Furche: Um das Überleben von Ö3 werden Sie sich ja nicht sorgen&

Jochum: Stimmt. Ö3 hat uns immer als Cash-Cow gedient - und das ist bis heute so. Während überall die Werbeeinnahmen sinken, steht Ö3 diesbezüglich noch immer sehr ordentlich da und verdient eine Menge Geld. Eine nicht ganz richtige Kurzformel lautet: Ö3 verdient so viel, wie Ö1 kostet.

Die Furche: Mit Ö3 als "Plaudermaschine" haben Sie sich also abgefunden&

Jochum: Es hat keinen Sinn, dauernd zu intervenieren und zu sagen: Das war zu flach, das war zu banal. Dieser Sender hat über drei Millionen Hörerinnen und Hörer. Da werden also offenkundig Interessen und Bedürfnisse eines beträchtlichen Segments der Bevölkerung bedient.

Die Furche: Wann haben Sie zuletzt abgedreht, weil es für Sie unerträglich war?

Jochum: Wenn es nicht mehr erträglich ist, will ich erst recht wissen, wie das weitergeht, um etwas daraus zu lernen. Ich drehe ab, wenn mich etwas absolut nicht interessiert. Ich lasse mich nicht zwangsbeglücken und auch nicht zwangsbilden oder -informieren. Es gibt ein Bürgerrecht auf Informationsverweigerung.

Die Furche: Und wann haben Sie sich das letzte Mal geärgert?

Jochum: Also beim Fernsehen ärgere ich mich oft. Die zib - in erster Linie die zib1, also das Flaggschiff der orf-Information - ist wesentlich schwächer als noch vor einigen Jahren.

Die Furche: Inwiefern?

Jochum: Die Geschichten werden immer kürzer und flacher, und gewisse Dinge kommen überhaupt nicht mehr vor. Ich halte die Außenpolitikberichterstattung für beschämend schlecht. Das ist Fast Food, das ist die McDonaldisierung des orf. Für den anspruchsvollen Zuseher ist das eine Zumutung.

Die Furche: Auf solche Kritik wird meist mit dem Verweis auf Konkurrenz- und Quotendruck geantwortet&

Jochum: Dass das mit dem irrsinnigen Quotendruck zu tun hat, ist schon klar. Die Verantwortlichen sind da wirklich nicht zu beneiden, das sind arme Hunde.

Die Furche: Es gibt zwei Lesarten von "öffentlich-rechtlich": Die eine besagt, dass sich ein Sender Sachen leisten können muss, die sich Private nicht leisten; die andere, die im Wesentlichen auf Gerhard Zeiler zurückgeht, heißt: ein Öffentlich-Rechtlicher legitimiert sich nur dadurch, dass er für alle da ist.

Jochum: Beides ist nicht falsch. Ein öffentlich-rechtlicher Sender, der von einem überwiegenden Teil der Öffentlichkeit ignoriert wird, verfehlt seinen Zweck. Fast jeder Haushalt hat 33 tv-Programme, das werden demnächst noch viel mehr werden; und damit wird sich der orf auseinandersetzen müssen.

Die Furche: Was heißt das?

Jochum: Da geht es um die Frage der Programmierung, die fast schon eine Wissenschaft geworden ist: Was setze ich wann an, um zu verhindern, dass eine Seherin oder ein Seher weggeht. Wer weg ist, kommt nicht wieder. Bei solchen Überlegungen kann es nicht nur um Qualität gehen.

Die Furche: Als Vorbild wird immer wieder der deutsch-französische Kulturkanal "arte" genannt&

Jochum: Da kann ich nur schmunzeln: Bitte sehr: arte hat keine Seher - das ist furchtbar, aber es ist so. Dieser kulturell hochstehende Sender hat 1,4 Prozent Reichweite! Und das bei dem Geld, was da von Deutschland und Frankreich hineinrinnt.

Die Furche: Was lernen wir daraus?

Jochum: Die Quote regiert immer, nicht nur im Hauptabend. Das beste Programm ist wertlos, wenn es nicht gesehen oder gehört wird. Eine medientheoretische These lautet: Hochqualitative Programme wirken nicht kultivierend auf Seher und Hörer. Deswegen hat der legendäre Hauptabteilungsleiter Wissenschaft im orf, Ernst Schönwiese, einmal gesagt: Bildung und Wissenschaft muss man den Leuten meuchlings beibringen.

Die Furche: Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Jochum: Wissenschaft ist eine spröde Materie - und schwer zu verbildlichen. Natürlich kann ich ein paar gescheite Leute in dunklen Anzügen hinsetzen und diskutieren lassen, aber das hat wenig Sinnlichkeit. Personalisierung ist hier die einzige Chance. So wie bei Hugo Portisch, der immer als "Geschichtslehrer der Nation" bezeichnet wird, auch wenn er das nicht gerne hört&

Die Furche: Oder wie es Anton Zeilinger macht, der über eine eigene pr-Verantwortliche verfügt&

Jochum: Ich bin der letzte, der hier den Moralapostel spielt. Anton Zeilinger hat dadurch viele Leute darauf aufmerksam gemacht, dass es Physik überhaupt gibt. Wenn er sagt, dass eine physikalische Gleichung schön ist, dann fasziniert das die Leute.

Die Furche: Personalisierung ist auch billiger als teure Recherchen im Ausland&

Jochum: Obwohl sie gar nicht so teuer sein müssten: Zu meiner Zeit sind Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten zu mir gekommen und haben gesagt: Ich möchte nach England oder in die Türkei fahren, und weil ich auch schon eine Übernachtungsmöglichkeit habe und mit dem Zug zweiter Klasse fahre, kostet das Ganze nur 2000 Schilling. Das muss man sich einmal vorstellen!

Die Furche: Wann hat es Sie am meisten geschmerzt, dass eine Wissenschaftsgeschichte aus Geldmangel nicht gemacht werden konnte?

Jochum: Das war Mitte der neunziger Jahre über Silicon Valley. Um das ordentlich zu machen, hätten zwei Leute zwei Wochen lang recherchieren müssen.

Die Furche: Gilt dieser Spardruck für Radio und Fernsehen gleichermaßen?

Jochum: Fernsehen ist dermaßen teuer geworden, dass es fast nicht mehr zu bezahlen ist. Dagegen ist Radio lächerlich billig. Was allein im Fernsehen für Sport-Übertragungsrechte bezahlt werden muss, ist gigantisch. Aber kein Sender kann darauf verzichten.

Die Furche: Dorthin also geht das Geld, das etwa bei Ö1 eingespart werden muss&

Jochum: Also, wenn Ö1 abgeschafft wird, erfängt sich das Fernsehen deswegen auch nicht. Da geht es um ganz andere Dimensionen. Nur ein Extrembeispiel zur Illustration: Die Kosten für eine Weihnachtsfeier im tv-Sport waren einmal höher als mein Jahresbudget für die Wissenschaft im Radio. Das ist einfach obszön.

Das Gespräch führten Otto Friedrich und Doris Helmberger.

Bildungsjournalismus in großen Dimensionen

Er ist ein Fan extravaganter Sehgläser, doch die rosarote Brille hat Manfred Jochum längst abgelegt. Zu lange hatte der 1942 in Wien geborene Doyen des österreichischen Wissenschaftsjournalismus Einblick in die Entwicklung des orf. Sein (medien-) pädagogischer Zugang wurzelt schon in seiner Ausbildung: Jochum studierte Erziehungswissenschaft, Psychologie und Geschichte an der Universität Wien und arbeitete dort als Assistent, als ihn Hubert Gaisbauer in den siebziger Jahren zum Radio holte. Als Redakteur des orf-Schulfunks stieß er jedoch bald an seine Grenzen. Jochum suchte spannendere Alternativen - und kreierte das "Radiokolleg", das mittlerweile rund 100.000 Hörerinnen und Hörer erreicht. Die Ö1-Wissenschaftssendung ist nicht sein einziges Kind - auch an der Entwicklung der "Dimensionen" war er maßgeblich beteiligt. Besonders stolz ist Jochum, der 1992 Chef der Hörfunk-Hauptabteilung "Wissenschaft und Bildung" wurde und 1998 zum Hörfunk-Intendanten avancierte, auf seinen rebellischsten Spross: den Musik- und Jugend-Sender FM4. Dass hier wissenschaftliche Beiträge - wie im gesamten orf - dünn gesät sind, schmerzt ihn: "Es ist einfach nicht gegangen", erinnert sich der Präsident des Österreichischen Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten und Universitätsrat der Uni Klagenfurt. Auch seine Verlängerung als Hörfunk-Intendant durch Monika Lindner scheiterte: "Meine Bewerbung ist nicht einmal zur Kenntnis genommen worden", kommentiert er seinen Abgang im Jahr 2002. Dennoch würde er auch heute wieder beim orf anheuern: "Ich wüsste mir nichts anderes."

BUCHTIPP:

BIS UNS HÖREN UND SEHEN VERGEHEN.

Stolpersteine auf dem Weg zu einer

neuen Medienwirklichkeit.

Von Manfred Jochum. Kremayr & Scheriau,

Wien 2003. 189 S., geb., e 19,-.

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