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Polens Beitrag zur europäischen Kultur.

Ein Land, das von seinen Dichtern und von seinen Werftarbeitern als romantisch, katholisch und patriotisch bezeichnet wird, vereint in dieser Selbsteinschätzung europäische Traditionen, die heute in der Regel in Europa weder selbstverständlich noch populär sind. Aber so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Karol Wojtyla und Lech Walesa haben das, was sie für Europa geleistet haben, nämlich die Überwindung der Teilung des Kontinentes, aus dieser kulturellen Überzeugung geschöpft.

Wer Polen verstehen will, muss mit seiner Kultur beginnen. Ein Staat, der über 1.000 Jahre alt ist, dessen Territorium sich aber in diesen Jahrhunderten durch äußere Einflüsse ständig verändert hat und der fiktiv und real immer in der Auseinandersetzung um kulturelle Selbstbehauptung zwischen Deutschland und Russland stand, muss seine Identität aus kulturellen Traditionen beziehen und diese auch kulturpolitisch fördern. Dies galt auch für die Volksrepublik Polen, die aber mit ihrem offiziellen Auftrag, dem "Aufbau einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft" zu dienen, wenig Spuren im heutigen kulturellen Leben hinterlassen hat - im Unterschied zu den damaligen staatsoppositionellen Gruppierungen, wie der Katholischen Kirche und der Gewerkschaft "Solidarnosc".

Entscheidend ist, dass sich die polnische Kultur im Gegensatz zur Moderne in Westeuropa nie von der Vorstellung verabschiedet hat, dass sie eine Aufgabe für die Gemeinschaft erfüllt. Vor diesem Hintergrund findet ein Wettstreit zwischen Tradition und Avantgarde statt, der nicht nur bis heute alle Kunstrichtungen umfasst, sondern auch das Selbstverständnis der polnischen Nation als Ort der Bewahrung und Kritik bürgerlicher Kultur betrifft. Seit dem demokratischen Neubeginn von 1989 gibt es nicht mehr den Künstler, der aus der moralischen Kraft eines politischen Protestes gegen den Kommunismus schöpfen kann. Dennoch ist es Teil polnischer Kultur geblieben, Aussagen über Gut und Böse und wie selbstverständlich eine Orientierung am Weltmaßstab als kulturelle Aufträge zu sehen.

Weltgeltung ...

Vieles davon entspricht den Traditionen der europäischen Romantik, die seit dem Ende der polnischen Eigenstaatlichkeit am Ende des 18. Jahrhunderts als Ausdruck der fiktiven Macht der Intellektuellen fast zweihundert Jahre lang zur Selbstbeschreibung einer nationalen Kultur genutzt wurde. Seit 1989 verliert die Romantik an Überzeugungskraft. Abgelöst wird sie von den ganz normalen Problemen, wie sie die Westeuropäer seit 1945 kennen: politisch-ökonomischer Wettbewerb und eine Orientierung an der Wohlfahrtsdemokratie. Auch die polnische Kunst gerät damit in das Fortschrittsdilemma der vom Westen formulierten Standards. Wenn Künstler den westlichen Vorbildern nacheifern, so werden sie als bloße Epigonen kritisiert, wenn sie auf Eigenem beharren, so lautet der Vorwurf, sie seien provinziell.

Europa profitierte im 20. Jahrhundert von einer polnischen Kunst und Kultur, die in vielen Bereichen zur Avantgarde zählte. Die Erneuerung des Theaters durch Jerzy Grotowski und Tadeusz Kantor, die Qualität des polnischen Films von Andrzej Wajda über Roman Polanski bis Stefan Kieslowski, die musikalische Weltgeltung von Komponisten wie Witold Lutoslawski, Henryk Górecki und Krzysztof Penderecki und die heimliche literarische Welthauptstadt Krakau, in der mit Czeslaw Milosz und Wislawa Szymborska nicht nur zwei Nobelpreisträger, sondern auch Slawomir Mrozek und Stanislaw Lem leben, sind Beispiele für die kulturelle Weltgeltung Polens.

... in Literatur

Literatur besitzt in Polen einen hohen öffentlichen Stellenwert. Bis zur Wiedererrichtung eines eigenen polnischen Staates 1918 und vor dem Ende des kommunistischen Regimes 1989 schufen literarische Werke - oft im Exil geschrieben - eine Form der Öffentlichkeit, die nationale Identifikation erlaubte. Dabei ging es im 19. Jahrhundert um das Idealbild des rebellischen romantischen Helden (Adam Mickiewicz, Juliusz Slowacki, Cyprian Kamil Norwid) und um die große erzieherische Erzählung (Henryk Sienkiewicz, Wladyslaw Reymont). Im 20. Jahrhundert trugen Namen wie Witold Gombrowicz, Bruno Schulz und später Tadeusz Konwicki, Stanislaw Jerzy Lec und Stanislaw Lem dazu bei, dass polnische Literatur als Ausdrucksform eines kritischen Bewusstseins in der modernen europäischen Welt gelesen wird. Einen besonderen Stellenwert nimmt die Lyrik ein. Polen ist ein Land der Lyriker. Zwei von ihnen, Milosz und Szymborska, haben den Literaturnobelpreis erhalten.

... Theater

Zu den Eigenheiten polnischer Kultur gehört auch die Entwicklung des modernen Theaters zwischen politischem Anspruch und ästhetischer Erneuerung. Die Überzeugung lautete, Illusionen auf dem Theater und in der Politik seien gleich gefährlich. Die großen Namen des polnischen Theaterlebens zeichneten sich im 20. Jahrhundert dadurch aus, dass sie nicht einfach gute Stücke für irgendwelche Bühnen der Welt schreiben wollten, sondern Reformen in der Theorie und in der Aufführungspraxis anstrebten (Witkacy, Jerzy Grotowski, Tadeusz Kantor) oder dass sie politische Mythen entlarven wollten (Stanislaw Wyspianski, Slawomir Mrozek). Die Grenzen zwischen Autor und Regisseur spielen in dieser Tradition der Avantgarde keine große Rolle. Stellte Stanislaw Wyspianski am Beginn des Jahrhunderts in Krakau noch mit großem Erfolg die nationalen polnischen Mythen dar, so entwickelte zur gleichen Zeit in Zakopane der aus heutiger Sicht als Medienkünstler zu bezeichnende Stanislaw Ignacy Witkiewicz ("Witkacy") eine Theorie der reinen Form, mit der er traditionelles Theater und dessen Illusionen beseitigen wollte. Nach 1945 gaben Jerzy Grotowski und Tadeusz Kantor dem europäischen Theater neue Impulse. Grotowski verzichtete auf das Ausstattungstheater und stellte die Frage nach der Funktion von Theatertexten. Kantor, der Gründer des Krakauer Theaters "Cricot 2", durchbrach die Theaterillusionen, indem er als Autor und Regisseur in das Geschehen jeder Aufführung eingriff und sie zur Probe jeder künftigen Aufführung machte. Die junge polnische Theaterszene lebt heute aus diesen Traditionen.

Mit Slawomir Mrozek besitzt Polen auch einen der führenden Vertreter des absurden Theaters, der nach einem erzwungenen Exil in Paris und Mexiko heute wieder in Krakau lebt. Die Erneuerung des Theaters schließt in Polen aber auch eine Wiederentdeckung österreichischer Erzähltraditionen mit ein. Der Krakauer Regisseur Krzystian Lupa präsentiert auf internationalen Theaterfestivals seine Dramatisierungen der Werke von Robert Musil, Hermann Broch und Thomas Bernhard als Teil der widersprüchlichen mitteleuropäischen Lebenswirklichkeit.

... und Musik

Polnisches Musikschaffen genießt in den verschiedensten Bereichen Weltgeltung: Krzysztof Penderecki komponierte im Jahr 2000 ein Auftragswerk für die großen Moskauer Jubiläumsfeiern, Zbigniew Preissner ist auch in Hollywood ein begehrter Komponist von Filmmusik, die III. Sinfonie von Henryk Górecki hat in internationalen Musikcharts lange Zeit den ersten Platz eingenommen. Werke von Lutoslawski und Penderecki werden von allen großen Orchestern der Welt gespielt und Fryderyk Chopin stellt geradezu ein Symbol der polnischen Kultur und ihrer romantischen Grundstimmung dar.

Polen ist ein faszinierender Bestandteil mitteleuropäischer Kulturtraditionen, die aus einer Vielfalt von europäischen Einflüssen schöpfen können, ohne sich zur Gänze west- oder osteuropäischen Modellen zuordnen zu lassen. Die Tatsache, dass wir ständig imaginäre und reale Grenzen überschreiten, die veränderbar sind und einen relativen Charakter besitzen, wird vielleicht an keinen anderen Orten Europas so deutlich wie in den polnischen Städten, die die Erinnerung verschiedener historischer Erfahrungen in sich tragen. In Polen ist Geschichte eine ästhetische und eine ethische Kategorie.

Dazu gehört auch die Erinnerung an das mitteleuropäische Judentum, die Erinnerung daran, dass Polen vor dem Zweiten Weltkrieg jener europäische Staat mit der größten Zahl an jüdischen Staatsangehörigen war. Der Philosoph Martin Buber, der Filmregisseur Billy Wilder, der Schriftsteller Bruno Schulz, der Dichter und Komponist von jiddischen Liedern Mordechai Gebirtig und Simon Wiesenthal können für die Vielfalt österreichisch-polnisch-jüdischer Kulturtraditionen stehen. Nach Auschwitz besteht zwar weiterhin in Warschau eines der wenigen jüdischen Theater Europas und in Krakau findet seit einigen Jahren ein jedes Jahr von mehr Menschen besuchtes Festival jüdischer Kultur statt, aber eine wahrlich lebendige jüdische Kulturszene kann es nicht mehr geben. So werden die zahlreichen Synagogen Krakaus seit 1989 teilweise mit Hilfe ausländischer jüdischer Organisationen renoviert, aber doch in erster Linie dazu, um sie Touristen als Teil einer zerstörten Tradition kultureller Vielfalt zu zeigen.

Zu den praktischen Konsequenzen der Veränderungen seit 1989 zählt die auch in Westeuropa geführte Diskussion um eine Amerikanisierung der Alltagskultur, um Hollywood, Disney und McDonalds. Polen hat in dieser Diskussion eine Position, die in anderen europäischen Staaten kaum anzutreffen ist. Die USA werden im Eintreten für eine an Freiheitsrechten orientierte Demokratie von den Polen als Verbündete gesehen, deren Massenkultur auch das Ergebnis einer demokratischen Grundhaltung darstellt.

Erbe und neue Zeiten

Zu den neuen Zeiten zählt es auch, dass die großen Kultureinrichtungen des Landes unter wirtschaftlichen Druck geraten, staatliche Subventionen gekürzt werden und etwa im Verlagswesen mehr Unterhaltungsliteratur als Klassiker produziert wird. Nach dem vom Kommunismus geforderten und gepflegten Bruch mit historischen Traditionen und europäischen Bezügen wird heute viel Geld und Engagement in die Bewahrung des kulturellen Erbes, in historische Architektur und die Rekonstruktion kultureller Räume investiert. Polen entdeckt in Städten wie Danzig, Breslau und Krakau von neuem sein kulturelles europäisches Erbe und hat etwa keine Scheu mehr, auch an die ausländischen, vor allem deutschen und österreichischen Traditionen dieses Erbes zu erinnern.

Im Theater des Tadeusz Kantor werden Verstorbene aus der Vergessenheit zurückgeholt. Verwandte, Schulfreunde, Theaterkollegen bevölkern dabei wie Gliederpuppen das "kleine Zimmer seiner Phantasie". Diese Phantome erscheinen auf seiner Bühne, gezeichnet vom Stigma des Todes, als weit entfernt und gleichzeitig familiär nah, zugleich witzig und tragisch, vom Leid deformiert und verwundet und gleichzeitig wunderschön. Sie haben keine wichtige historische Mission zu erfüllen - außer es sind die Geister des Schicksals und der Geschichte, die im Parademarsch rhythmisch auf die Bühne marschieren.

Als Österreicher können wir ahnen, was Kantor uns damit über die Geschichte und Kultur Polens und Europas gesagt hat.

Der Autor ist Leiter der kulturpolitischen Sektion im Außenministerium und Koordinator des Polnischen Jahres in Österreich.

Polnisches Jahr

Polnischer Jazz

30. 11. - 7. 12. 2002

Porgy & Bess, Riemergasse 11, 1010 Wien, www.porgy.at

Schatzkammer Polen

Ausstellung im Kunsthistorischen Museum, 3. 12. 2002 bis März 2003, www.khm.at

Die Freiheit riecht nach Vanille Lesung polnischer Gegenwartsautoren

Akademietheater Wien 11. 12. 2002, www.burgtheater.at

Der neue Staat

Polnische Kunst zwischen Experiment und Repräsentation von 1918 bis 1939

Leopold Museum Wien, 25. 1. - 31. 3. 2003,

www.leopoldmuseum.org

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