Die Zeitungslandschaft verändert sich rasanter, als bundesweite Kenndaten aussagen. Die wahren Umbrüche zeigen erst regionale Aufschlüsselungen der Media-Analyse (MA), Österreichs aufwändigster Marktforschung. Heute bleibt das meistunterschätzte Medium, weil die MA keine Gesamtreichweite für die in Wien, Nieder- und Oberösterreich erscheinende Gratiszeitung ausweist. Doch mit dort 711.000 Lesern ist sie hinter der Kleinen (Steiermark und Kärnten) bereits die drittgrößte Zeitung Österreichs. In Wien liegt das Gratisblatt sogar Kopf an Kopf mit der Nr. 1, der Krone, dem angeblich uneinholbaren, vermeintlich weltgrößten Kleinformat. Beide erreichen täglich jeweils mehr als eine halbe Million Menschen in der Hauptstadt. Nun wird das eine von Eva Dichand herausgegeben, das andere von ihrem Mann Christoph Dichand geleitet und dessen Vater Hans Dichand geführt. Doch offiziell haben die Blätter nichts miteinander zu tun, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Denn Krone-Mitgesellschafter WAZ ist Teil einer deutschen Verlagsallianz gegen Gratistitel. Insgeheim studieren jedoch die nachbarlichen Printkonzerne intensiv vor allem die komplementäre Entwicklung in Österreich (und auch von Österreich). Denn die Krone hat das älteste, Heute das jüngste Publikum aller Tageszeitungen. Fast jeder zweite Wiener unter 30 liest täglich Heute. Mit 245.000 Lesern zwischen 14 und 29 Jahren in nur drei Bundesländern verfügt es in dieser Altersgruppe über mehr Publikum als ORF2 österreichweit. Sollte es mit der Krone weiter bergab gehen, löst das nächste Dichand-Kleinformat sie an der Spitze ab. Ein Grund dafür ist redaktionelle Überheblichkeit und inhaltliche Geringschätzung etablierter Kauf-Titel gegenüber dem neuen Mitbewerber. So wurde auch in der Heimat der Neuen Zürcher Zeitung trotz des Boulevardblattes Blick die Gratiszeitung 20 Minuten im Nu zur Nr. 1.
* Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst
