Der Pegasusritt durchs Zwischenreich

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Zum 35. Todestag des wirklichen Dichters Alexander Lernet-Holenia am 3. Juli. | Roman Rocek bewährte sich als unermüdlicher Herausgeber und Biograf.

Die Krone Polens dem, der noch weiß, wer Alexander Lernet-Holenia war. Besser: der weiß, wer Alexander Lernet-Holenia ist. Richtig, der mit der "Standarte“! Und sonst? Schweigen. "Dieses Stück, dieses Weltkriegsstück - 2. Oktober 1918!“ Fast richtig. Erstens heißt das Stück "3. November 1918“ und zweitens ist es von Franz Theodor Csokor. Auch so ein Großer, dessen Werk von den Zwergen des Literaturbetriebes eifrig vergessen wird. Und Lernet-Holenias Vorgänger im Amt des österreichischen PEN-Club-Präsidenten.

Den Ersten Weltkrieg (üb)erlebte der 1897 als Lernet geborene, in seiner Abstammung stets geheimnisumwitterte (ein Erzherzog als Vater?) angehende Jurist als Dragoneroffizier im Osten Europas. Diese Erlebnisse wurden ihm zu einem Lebensthema - und führten zu seinen vielleicht größten Publikumserfolgen. Ist es mit der erwähnten "Standarte“ die individuell gefühlte Agonie der Monarchie, die sich in dem sinnlosen, blutteuren Auftrag der Rettung einer Kavalleriefahne abbildet, die bei der hastigen Räumung von Schönbrunn erst recht verheizt wird, so ist es mit "Mars im Widder“ einer der herausragenden Romane über den Zweiten Krieg, über das Nicht-Zusammenpassen der äußeren Wirklichkeit mit der inneren Befindlichkeit.

Durch Lernet-Holenias Werk zieht sich leitmotivisch die Vorstellung von einem zu durchmessenden Zeitraum zwischen dem Diesseits und dem wo auch immer liegenden Jenseits. Immer wieder sucht er den Grenzgang zwischen den Welten, begegnen die Figuren seiner Prosa im Zwischenreich ihrem Gegenspieler, dem Gegner in ihnen, gehen an diesen Konflikten zugrunde oder, zum Leben erstarkt, daraus hervor.

Vergangenheit als Zukunft

Doch Lernet-Holenia verstand sich nicht nur als Sänger einer versunkenen Welt. In manchen Reisebeschreibungen findet man Schilderungen, die von seiner großen Sensibilität für das Schöne zeugen, in ihrer idyllischen Zartheit näher stehend der Lyrik als den Reiterromanen.

Höchst zu empfehlen sind die Gedichte, teils lange Texte, in längst vergessenen Versmaßen, in denen der "letzte Dichter Habsburgs“ (© Ulrich Weinzierl) Versunkenes heraufbeschwört und Archaisches zu Zeitlosem formt.

Eigentlich bedarf es keines Gedenktages, um an diesen großen, wirklichen Dichter zu erinnern, um aufzufordern zur Lektüre. "Er ist der Caballero, der Lordsiegelbewahrer, der Grandseigneur unter den Dichtern seiner Generation.“ (Carl Zuckmayer 1967) Zu Lebzeiten wurde er, der sich bewusst zwischen die politischen und gesellschaftlichen Lager stellte, von allen Seite hofiert und gewürdigt. Sein Tod hat ihn ziemlich rasch aus dem österreichischen Bewusstsein gerückt; sein Werk wird kaum beachtet, die Lyrik gerät in Vergessenheit. Seine einst höchst erfolgreichen und preisgekrönten Dramen, liest kein Dramaturg. Seine Gedenktafel in der Hofburg hängt unbeachtet. Seltsames Schicksal der Dichter, der Dichtung ...

Alexander Lernet-Holenia war nicht frei von Opportunismus, und doch ein genauer Kritiker der Vergessenskultur der Nachkriegsjahre. Er stritt mit der nächsten österreichischen Dichtergeneration, doch gleichzeitig entstanden seine Romane gegen die österreichische Bürokratie, gegen das individualitätsverachtende System, das er schon früh durchschaute. Entstanden Texte von Schönheit und Modernität, die nicht veralten.

Er lebte am Wolfgangsee, kannte alle und jeden, schrieb Briefe und Beschwerden, förderte und schob an, pflegte Freund- und Feindschaften auf hohem Niveau. In Roman Rocek hat er einen unermüdlichen Herausgeber und Biografen gefunden, der Paul Zsolnay Verlag hat ihm durchaus über die Jahrzehnte die Treue gehalten, viele Bücher sind liefer- und auffindbar.

Bücher mögen in Vergessenheit geraten, aber sie lösen sich nicht in Luft auf. Es gibt die Geduld der Literatur. Bücher von Geltung stehen wie Karyatiden im Regal, stumm und die Zeit überdauernd, wenig beachtet von den Vorbeieilenden. Jederzeit bereit, mit dem Fragenden in Dialog zu treten, Bericht zu geben, von dem was sie wahrgenommen, mitzuteilen, was sie an Schätzen bergen. Und wenn irgendwann die Karyatiden die Lesebrille aufsetzen und aus dem unaufhörlichen Strom der Literatur das Gültige herausfischen, dann wird das eine oder andere Buch von Alexander Lernet-Holenia dabei sein. Und das ist nicht das Schlechteste, was man von einem Dichter sagen kann.

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