Der Philosoph als Menschenfreund

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Er wollte die Philosophie aus ihrem Elfenbeinturm holen und in den Dienst des konkreten Menschen stellen: zum 300. Geburtstag des schottischen Aufklärers David Hume.

"Die Attribute gesellig, gutmütig, menschlich, gütig, dankbar, freundlich, großzügig, wohltätig sind in allen Sprachen bekannt und sie drücken universell das höchste Verdienst aus, das die menschliche Natur zu erreichen fähig ist.“ Diese Bemerkung des Philosophen David Hume ist für sein gesamtes Denken charakteristisch. Er war ein umgänglicher Menschenfreund, gern gesehener Gast in Intellektuellen-Salons, charmanter Plauderer und Liebhaber kulinarischer Genüsse. Das war aber nur eine Seite des Philosophen. Er konnte in Diskussionen aufbrausend sein, vor allem, wenn es um das Thema Religion ging. Neben den Aufklärern Voltaire, Diderot und La Mettrie zählt er zu den vehementesten Religionskritikern seiner Zeit. In seinen philosophischen Schriften bekämpfte er religiöse und metaphysische Systeme, die er dafür verantwortlich machte, dass die Menschen kritiklos dogmatische Überzeugungen übernehmen. Dies trug ihm die Anerkennung von Immanuel Kant ein. "Die Philosophie Humes war diejenige“, so schrieb der "Alleszermalmer der Metaphysik“, "die mir den dogmatischen Schlummer unterbrach und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab.“

Rückbindung an menschliche Erfahrung

Humes besondere philosophische Leistung bestand in der Konzeption des Empirismus, also jenes Denkens, das sich auf die menschliche Erfahrung beruft, die auf der Sinnlichkeit und den Emotionen beruht. Hume war fest davon überzeugt, dass eine Philosophie, die die menschliche Erfahrung gering schätzt, schädlich sei. Der Philosoph sollte sich nicht in den Elfenbeinturm der einsamen Reflexion zurückziehen, so lautete sein Anspruch, sondern sich vor allem um das Allgemeinwohl kümmern. Dabei dürfe er auch sein körperliches und seelisches Wohlbefinden nicht außer Acht lassen. Um des Denkens willen wollte er niemals auf die Vergnügungen des Lebens verzichten, bekannte Hume offenherzig. Der Hauptgegenstand seines Philosophierens war die menschliche Natur; sie sollte im Sinne einer Anthropologie sorgfältig erforscht werden, um daraus die Grundlagen für eine Moralphilosophie abzuleiten.

Geboren wurde David Hume am 7. Mai 1711 in der schottischen Hauptstadt Edinburgh als Sohn einer verarmten adeligen Familie. Sein Vater verstarb sehr früh; seine streng religiöse Mutter erzog ihn rigoros nach den Grundsätzen des Calvinismus, den er als eine Art von Dressur erlebte. So erstellte er als Kind einen Katalog, in dem er seine Laster aufzählte. Die frühe Bekanntschaft mit der fanatischen Religion des Calvinismus war die Grundlage für Humes lebenslange, tiefgehende Abneigung gegen jede Form der religiösen Indoktrination, die für ihn eine Vergewaltigung der menschlichen Natur darstellte. Er sprach von theologischen Unsinnigkeiten, die selbst von gebildeten Menschen kritiklos akzeptiert würden und ein kritisches Denken verhinderten. Ab 1726 studierte Hume Rechtswissenschaften an der Universität Edinburgh, brach jedoch bald das Studium ab und vertiefte sich in theologische und philosophische Werke. Dies tat er so intensiv, dass körperliche Beschwerden und Depressionen auftraten. Bald erkannte er die Ursache seiner Leiden. Hume streifte das Korsett der philosophischen Abstraktionen ab und führte nunmehr ein Leben, das von sinnlichen Erfahrungen und von leiblichen Genüssen bestimmt wurde.

Sein weiteres Leben widmete er einem Projekt, das man in der Geistesgeschichte als Aufklärung - "Enlightenment“ oder "les Lumières“ - bezeichnet. Diese philosophische und literarische Strömung, zu der Voltaire, Diderot, Baron d’Holbach oder Immanuel Kant zählten, war von der Hoffnung beseelt, dass sich die Lage der Menschheit allmählich verbessern würde. Mit einem Großteil der französischen Aufklärer wurde Hume im Jahr 1763 gut bekannt. Sein tolerantes, menschenfreundliches Wesen machte ihn bald zum Liebling dieser Leute, die sich in den Salons trafen. So notierte Hume, dass er in den Pariser Zirkeln nichts als Ambrosia und Nektar trinke, nichts als Weihrauch atme und auf Blumen wandle.

Als Philosoph und Gelehrter avancierte Hume zu den bedeutendsten Denkern des 18. Jahrhunderts. Neben seiner "Untersuchung über die Prinzipien der Moral“, neben verschiedenen philosophischen Essays verfasste er eine mehrbändige Geschichte Englands. Als Hauptwerk gilt heute der zwischen 1739 und 1740 publizierte "Traktat über die menschliche Natur“, der damals nicht den gewünschten Erfolg hatte; Hume sprach von einer "Totgeburt“. In diesen Werken, die in einer diffizilen Terminologie abgefasst sind, bemühte sich Hume, die Grundrisse seiner empirischen Philosophie darzustellen. Sie steht im Gegensatz zur Philosophie von René Descartes, der das reine Denken als das Hauptmerkmal des Menschen angegeben hatte. Gegen dieses körperlose cartesianische cogito stellt Hume den konkreten Menschen mit seiner Leiblichkeit und seinen Affekten.

Solidarität und Sympathie statt Egoismus

Er unterscheidet dabei zwischen ursprünglichen und sekundären Affekten. Als Beispiele für die ursprünglichen Affekte nennt Hume die Kinderliebe, die Liebe zum Leben insgesamt und den Wunsch, unsere Freunde glücklich zu sehen und vor allem die Sympathie, die er mit dem Mitgefühl gleichsetzt. Sympathie bedeutet für Hume, Gefühle anderer zu teilen und sie nachzuempfinden. Sie bestimmt das menschliche Leben und bildet den Kern des sozialen Wesens. Was passiert, wenn zwei Menschen einander sympathisch finden, beschreibt Hume folgendermaßen: "Der Geist erwacht wie aus einem Traum. Das Blut fließt rascher, die Stimmung wird gehoben und der ganze Mensch erwirbt eine Kraft, über die er in seinen einsamen und ruhigen Augenblicken nicht verfügt.“ Durch den Affekt der Sympathie ist einem der Andere nicht gleichgültig; man fühlt sich für sein Wohlergehen verantwortlich. Somit wird der Egoismus - nach Auffassung zahlreicher Philosophen wie Thomas Hobbes, der Antriebsmotor der menschlichen Existenz - durch ein solidarisches, menschenfreundliches Modell ersetzt. Ein nicht-egoistisches Handeln wird zu einer Quelle des Friedens und der Freude. Das altruistische Verhalten vermittelt dem Individuum ein Gefühl der Selbstachtung, "des Wohlwollens und der Freundschaft, der Menschlichkeit und der Güte, lieblich, wohltuend, zart und angenehm, unabhängig von allen Glücks- und Unglücksfällen“. All dies ist die Basis eines gelassenen, heiteren Lebens, das im Gegensatz zum hysterischen Fanatismus jeglicher Ideologie steht.

Die heitere Gelassenheit begleitete Hume bis zu seinem Tode im Jahre 1776. Im Nachruf seines Freundes, des schottischen Nationalökonomen Adam Smith hieß es: "Er entsprach dem Ideal eines vollkommen weisen und moralischen Menschen so weit es die Unvollkommenheit der menschlichen Natur zulässt.“

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